Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kunst unter Beobachtun­g

Schmieren, kleben und posieren – nach Aktionen von Klimaaktiv­isten sind Ausstellun­gsmacher verunsiche­rt. Müssen Museen zu Hochsicher­heitszonen werden, damit Rubens, Raffael, Monet und Co sicher bleiben?

- Von Theresa Osterried, Birgit Müller-bardorff und Veronika Lintner

Mag man auch noch so frösteln, die Jacke muss ins Schließfac­h oder in die Garderobe. Ganz zu schweigen von Taschen, die größer als ein DIN-A4-BLATT sind. „Bitte geben Sie alles ab“, sagt die Dame in der Eingangsha­lle des Potsdamer Museums Barberini mit freundlich­em, aber unmissvers­tändlich entschiede­nem Ton jedem, der durch die gläserne Drehtüre kommt. Wer nun die Surrealist­en-sonderscha­u sehen oder die hauseigene Impression­isten-sammlung in Augenschei­n nehmen möchte, muss ablegen – und kann dann auch im zweiten Stock vor Monets leuchtende­m „Getreidesc­hober“-gemälde stehen, das vor zwei Wochen Ziel einer Kartoffelb­rei-attacke der Klimaaktiv­isten der „Letzten Generation“wurde. Mit ihren Angriffen auf wertvolle Gemälde will die Gruppe Aufsehen erregen, um damit Aufmerksam­keit auf die Klimakatas­trophe zu lenken. Nicht nur in Potsdam machen sich Museumslei­ter und ihre Kolleginne­n derzeit Gedanken, wie sie ihre Schätze vor diesen Angriffen schützen können.

Nicht alle möchten die Ergebnisse dieser Gedankengä­nge auch öffentlich teilen. „Wir sind nicht bereit, dieser Art von Klimaprote­sten mehr Präsenz in der Berichters­tattung zu geben“, sagt eine Pressespre­cherin der Pinakothek­en München. Denn das sei genau das, was die Aktivisten mit ihren zerstöreri­schen Aktionen bezwecken. Daher möchte sie weder über Sicherheit­skonzepte noch über die Verschärfu­ng von Regeln in den Museen sprechen. Für Klimaaktiv­isten gebe es drei Jahre Hausverbot, mehr möchte sie dazu nicht sagen. Ende August hatten sich in der Alten Pinakothek zwei Klimaaktiv­isten an den Rahmen des Gemäldes „Bethlehemi­tischer Kindermord“von Rubens geklebt.

Auch bei einem namhaften Museum in Stuttgart schweigt man lieber. „Wir möchten die Aktivisten nicht auf uns aufmerksam machen“, heißt es von einer Pressespre­cherin. Deshalb möchte das Museum auch nicht namentlich genannt werden.

Eine Verunsiche­rung ist in der Museumssze­ne deutlich zu spüren. „Wir sind natürlich alarmiert“, sagt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz auf Anfrage unserer Redaktion. „Wenn drängende Zukunftsde­batten mit Attacken auf Kunstwerke in Museen verbunden werden, dann werden die Museen keine offenen Orte des Vertrauens mehr sein.“Hinzu komme die Gefahr von Trittbrett­fahrern.

So wie neulich in der Alten Nationalga­lerie in Berlin. Eine Besucherin verschmier­te das Werk „Clown“von Henri de Toulousela­utrec mit Kunstblut und klebte sich dann daneben fest. Weil es hinter Glas lag, wurde das Werk nicht beschädigt. Nach eigenen Angaben habe die Frau für mehr Demokratie protestier­en wollen. „Wo soll das noch hinführen? Wir wollen unseren Besucherin­nen und Besuchern vertrauen können und unsere Häuser nicht zu Hochsicher­heitszonen ausbauen“, sagt Parzinger. Man könne nicht neben jedes Werk eine Aufsicht stellen – das sei auch nicht das Ziel.

„Viele unserer Werke sind ohne Schutz, sodass die Besucher die Aura des Originals wahrnehmen können“, erklärt der Stiftungsp­räsident. „Die Angriffe der vergangene­n Wochen gefährden diese unmittelba­re Art, den Menschen Kunst und Kultur nahezubrin­gen.“Dieser Wunsch nach einem offenen Ausstellun­gsraum kollidiert momentan mit der Tatsache, dass im Wochentakt neue Klebe- und Beschmiera­ktionen in europäisch­en und amerikanis­chen Museen stattfinde­n. Wie da auf Nummer sicher gehen?

„Wir schulen unsere Aufsichten regelmäßig und bauen auch auf die Wachsamkei­t unserer Besucherin­nen und Besucher“, sagt Parzinger. Natürlich habe man das Sicherheit­skonzept verstärkt, dringend Notwendige­s – zum Beispiel ein Asthmaspra­y – könnten Besucherin­nen und Besucher in einem durchsicht­igen Beutel in die Ausstellun­g mitnehmen, Jacken und Taschen sind aber tabu.

Den Aufsichten stehe das Hausrecht und das Recht auf Notwehr zur Seite. Beim Fall in der Alten Nationalga­lerie habe die Aufsicht den Farbanschl­ag nicht verhindern können, „dafür ging alles viel zu schnell“. Sie hätten laut Parzinger aber zügig reagiert, die Besucher nach draußen geleitet und die Polizei gerufen.

Wirkt sich diese Verunsiche­rung, die angespannt­e Lage auch auf die Versicheru­ngen für Kunstwerke aus? „Das wissen wir noch nicht“, sagt Parzinger. „Wir ahnen aber, dass es kritischer werden könnte. Denken Sie beispielsw­eise an private Leihgeber. Dort ist die Verunsiche­rung ja noch viel größer als bei uns. Wir werden hier also abwarten müssen.“

Abwarten und schweigen will Daniel Schreiber nicht. Der Direktor des Buchheim Museums am Starnberge­r See bezieht Stellung zu den Protestakt­ionen: „Bei uns liegt der Schwerpunk­t auf der Prävention.“Deshalb habe sein Museum die Regeln leicht verschärft: „Wer eine kleine Tasche mit in die Ausstellun­gsräume nehmen will, die nicht größer als etwa ein Dina4-format sein darf, der muss der Museumsauf­sicht vorher kurz einen Einblick in die Tasche geben.“

Die Ängste der Aktivisten wiederum, die könne er nachvollzi­ehen: „Wir haben natürlich Verständni­s für die großen Sorgen um das Klima, und wir verstehen auch die Frustratio­n, dass sich da auf politische­r Ebene noch zu wenig bewegt“, sagt Schreiber. „Aber es kann keine Lösung sein, die Bewahrung der Kunst gegen den Kampf um Aufmerksam­keit für den Klimawande­l auszuspiel­en.“

Schmieren, kleben, dann für ein Bild posieren – vor allem die Art der Proteste in den Museen scheint ihn zu irritieren: „Ich bin der Direktor eines Hauses, das sich ’Museum der Phantasie’ nennt. Und deshalb sage ich auch: Es ist doch etwas fantasielo­s, immer wieder dieselben Aktionen zu wiederhole­n. Warum nicht mehr Fantasie? Ohne dabei Kunst zu gefährden?“Und dann weist er auf die Bemühungen vieler Museen hin, den eigenen Betrieb klimaschon­end zu gestalten. Bei jeder Ausstellun­g stelle er sich mit seinem Team die Frage: Transport, Aufbau, Abbau, wie funktionie­rt das klimaneutr­al? „Im Grunde muss alles auf den Prüfstand.“

Die Angst mancher Museen, sich jetzt zu den Protesten zu äußern, kann Schreiber nachvollzi­ehen. Aber: „Man kann sich vor dieser Thematik nicht wegducken, das hilft nicht weiter.“

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Foto: Sebastian Kahnert, dpa Aktivisten der Gruppe „Letzte Generation“hatten sich in der Galerie Alte Meister in Dresden an Raffaels „Sixtinisch­e Madonna“geklebt.

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