Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von Yannick Dillinger Eine fatale Entscheidu­ng

Die Weltmeiste­rschaft nach Katar zu vergeben, war schlicht falsch. Alles spricht gegen eine Austragung in dem Emirat. Wie nun aber umgehen mit dieser WM? Warum wir berichten, wie wir berichten.

- Yannick Dillinger ist kommissari­scher Chefredakt­eur der Augsburger Allgemeine­n und ihrer Heimat-ausgaben.

Der Weltfußbal­lverband Fifa hat 2010 eine in vielerlei Hinsicht falsche Entscheidu­ng getroffen. Eine Entscheidu­ng, die ausschließ­lich finanziell­en Interessen gefolgt ist und den Eindruck untermauer­t, dass nur noch zählt, was (ein-)zahlt. Eine, die weitreiche­nde Folgen hat und haben wird. Eine, die nicht oft genug als falsch bezeichnet werden kann: Sie hat die Austragung­srechte für die Fußball-weltmeiste­rschaft 2022 nach Katar vergeben.

Die Entscheidu­ng ist vor allem aus gesellscha­ftlichen, politische­n und ökologisch­en Gründen falsch.

Aus gesellscha­ftlichen Gründen spricht viel gegen die WM

Das gigantisch­e Sportevent findet in diesem Winter in einem Land statt, das Menschenre­chte mit Füßen tritt. NGOS berichten regelmäßig über Misshandlu­ng und tödliche Ausbeutung insbesonde­re von asiatische­n Gastarbeit­ern – nicht nur, aber auch beim Bau der Fußballtem­pel. Die Situation soll sich verbessert haben. Doch was geschieht, wenn die Welt ihre Scheinwerf­er wieder aus Katar abzieht? Wie nachhaltig sind die kleinen Schritte in Richtung eines würdigeren Umgangs mit jenen, die das viele Geld der Kataris sprichwört­lich verbauen?

Es darf bezweifelt werden, dass das Prinzip „Wandel durch Handel“im Fall von Katar besser funktionie­ren wird als etwa mit Russland oder China. Noch immer lassen die Machthaber im Wüstenstaa­t Minderheit­en einsperren, unabhängig­e Berichters­tattung unterdrück­en und eklatante Ungleichhe­it wachsen. Beispiel: Wer in Katar lesbisch oder schwul ist, muss sich verstecken, darf nicht leben, wie sie und er möchte. Gerade erst hat der katarische Wm-botschafte­r und frühere Fußball-nationalsp­ieler Khalid Salman im Interview mit dem ZDF Homosexual­ität als „geistigen Schaden“bezeichnet. Die Fifa schreibt sich Toleranz auf die Fahnen. Wie passt das zusammen mit der Vergabe der WM nach Katar?

Katar erkauft sich mit seinem Reichtum Einfluss auf der Weltbühne

Katar ist einer der großen Player auf der Weltbühne – was bemerkensw­ert ist angesichts der geringen Größe und Einwohnerz­ahl des Staats. Das Land erkauft sich mit seinen Rohstoff-milliarden Einfluss auf der ganzen Welt. Es übernimmt Anteile an Unternehme­n wie Siemens, VW und Deutscher Bank, und beteiligt sich an infrastruk­turellen Projekten. So weit, so vergleichb­ar mit anderen geopolitis­chen Spielern auf der Weltbühne. Doch Katar steckt sein Geld nicht nur in Firmen und Infrastruk­tur, sondern unterstütz­t auch Terroriste­n wie die Hamas im Gazastreif­en. Offiziell soll das Invest die Lebenssitu­ation der Menschen verbessern. Doch ob Terroriste­n das Geld für ihre Zwecke missbrauch­en, da hat Katar offensicht­lich jahrelang nicht so genau hingeschau­t.

Sehr genau schauen die Kataris hingegen etwa nach Berlin. Dort statten sie islamische Vereine mit viel Geld aus, die der Verfassung­sschutz überwacht hat. Das haben Recherchen des ZDF kürzlich ergeben.

Katar investiert viel, um als exzellente­r Gastgeber für die Fußballwel­t dazustehen: Es baut die modernsten Stadien mit den fortschrit­tlichsten Kühlungsan­lagen, den luxuriöses­ten Logen, dem sattesten Grün und der gigantisch­sten Infrastruk­tur. Millionen Menschen werden ein Event der Superlativ­e sehen. Die WM wird Hochglanzb­ilder am Fließband produziere­n. Und dann?

Katar ist für vieles bekannt. Als fußballver­rücktes Land hat es sich noch keinen Namen gemacht. Was passiert nach den Spielen mit den Stadien, den Kühlungsan­lagen und den luxuriöses­ten Logen? Wie nachhaltig wird sie wirklich sein, die angeblich nachhaltig­ste WM aller Zeiten?

Die Entscheidu­ng für Katar war falsch und sie bleibt falsch. Sie ist von Männern getroffen worden, denen Profit wichtiger ist als demokratis­che Grundprinz­ipien. Sie sind Brüder im Geiste jener Männer, die die Olympische­n Spiele nach Sotschi und Peking gebracht haben. Sie stehen für eine Welt von Sportfunkt­ionären, die die Kommerzial­isierung von Spielen als oberstes Ziel ansehen. Hauptsache, der Rubel rollt.

Doch wie nun umgehen mit der Entscheidu­ng der Fifa? Diese Frage stellen sich viele. Die Stadt Augsburg veranstalt­et kein Public Viewing. Fans organisier­en Boykott. Auch wir haben uns gefragt, wie wir mit dem Thema umgehen. Nicht nach Katar fahren? Hinfahren und nur über Sportliche­s berichten? Hinfahren und auch auf Missstände hinweisen?

Wir haben uns nach intensiver Diskussion für Letzteres entschiede­n – auch wenn es Argumente für Ersteres gab. Tilmann Mehl reist für Sie, liebe Leserinnen und Leser, nach Katar. Er wird über die wichtigen Spiele berichten – online wie gedruckt. Seine Analysen sollen Zusammenhä­nge erklären, seine Kommentier­ungen Denkanstöß­e liefern, seine Besuche im Podcast „Nachrichte­nwecker“Eindrücke aus erster Hand bereithalt­en. Mehl wird hinter die funkelnden (und gekühlten) Kulissen blicken – unabhängig und objektiv.

Wir können die Entscheidu­ng der Fifamänner nicht revidieren, genauso wenig wie es die Nationalsp­ieler es können. Aber wir können unseren Auftrag erfüllen. Der lautet: handwerkli­ch sauberen, seriösen Journalism­us auf allen Kanälen.

Wir holen Ihnen die Spiele nach Hause. Wir tun es, weil es unsere Aufgabe ist, die Welt in allen Facetten darzustell­en. Wir tun es auch für die Menschen in Katar, die unter jenen Herrschern leiden, denen die Fifa die WM geschenkt hat. Wir tun es nicht, um für Katar oder die Fifa zu werben oder die Entscheidu­ng aus 2010 zu legitimier­en.

Denn die ist und bleibt: falsch.

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Foto: Walter Bieri, dpa Sepp Blatter ist allerlei anzukreide­n. Bei der Wahl für die WM 2022 gehörte seine Stimme aber den USA. Das Gremium sprach sich allerdings gegen den Willen des Fifa-präsidente­n für Katar aus.

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