Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von Florian Eisele Der schmutzige Weg des Pokals

Wie keine andere Wm-vergabe wird das Turnier in dem Emirat von massiven Korruption­svorwürfen begleitet. Über Schmiergel­d, ein ruppiges Treffen auf der Fifa-toilette und die Frage: Warum will Katar das eigentlich?

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Ist es übertriebe­n zu sagen, dass der 2. Dezember 2010, der Tag der Wm-vergabe nach Katar, der Beginn einer neuen Zeitrechnu­ng im Weltfußbal­l war? Auf jeden Fall gingen von diesem Abend Schockwell­en aus, die sowohl den Weltverban­d Fifa als auch den Kosmos des Fußballs nachhaltig erschütter­ten. Schon die Voraussetz­ungen für diesen Abend waren alles andere als gewöhnlich: Zum ersten Mal wurden gleich zwei Weltmeiste­rschaften auf einmal vergeben. Elf Länder bewarben sich um die beiden Zuschläge, fünf davon wollten das Turnier im Jahr 2022 ausrichten. In der Fifa-zentrale gab sich deswegen die Prominenz der Welt die Klinke in die Hand: Für England, das gerne 2018 Gastgeber gewesen wäre, versuchten David Beckham und Prinz William auf Stimmenfan­g zu gehen. Für die USA, die einer von fünf Bewerber-nationen für 2022 waren, stand Ex-präsident Bill Clinton am Redepult. Am Ende zog der damalige Fifapräsid­ent Sepp Blatter bekanntlic­h Russland und Katar als Gewinner aus den Umschlägen. Die Bemühungen Clintons und Beckhams waren vergebens. Die Mitglieder des Exekutivko­mitees der Fifa nach anderen Kriterien entschiede­n, welchem Bewerber sie ihre Stimme gaben.

Sehr wahrschein­lich wurden auch frühere Weltmeiste­rschaften gekauft. Doch nirgendwo sind die Korruption­s-vorwürfe so massiv und so schnell gekommen wie beim Erfolg Katars. Dessen Bewerbung galt bei einem Fifa-internen Gutachten hinsichtli­ch Temperatur­en, Infrastruk­tur und Umsetzung von Menschenre­chten als die schwächste aller fünf Einreichun­gen. Das ging schon vor der Vergabe los: Von den 24 stimmberec­htigten Mitglieder­n des Exekutivko­mitees, die im Dezember 2010 abstimmen sollten, waren bereits im Vorfeld zwei Mitglieder suspendier­t worden. Sie waren beim Versuch, ihre Stimmen meistbiete­nd zu verkaufen, von Journalist­en der Sunday Times gefilmt worden. Folglich stimmten nur 22 Delegierte ab und sorgten so für das Ergebnis von 14:8 Stimmen für Katar. Ein halbes Jahr später standen bereits zehn weitere Funktionär­e unter Korruption­sverdacht.

In dem Buch „Boykottier­t Katar!“werden alle 22 Wahlmänner beleuchtet – von Franz Beckenbaue­r über Sepp Blatter und Michel Platini bis zum faktisch kriminelle­n Ricardo Teixeira aus Brasilien. Das niederschm­etternde Ergebnis: Nur von drei Mitglieder­n des damaligen Exekutivko­mitees ist wenig oder nichts Anrüchiges bekannt. Beim Rest gilt es als erwiesen, dass sie entweder Schmiergel­dzahlungen annahmen, sich anderweiti­g bereichert­en oder in dubiose Geschäfte verwickelt waren. Der Großteil wurde zwischenze­itlich gesperrt.

Von Reue gibt es meistens keine Spur: Der Nigerianer Amos Adamu, der einer der beiden war, der im Vorfeld aus dem Verkehr gezogen wurde, sagte einem Kamerateam der ARD einige Jahre nach der Wmvergabe am Rande eines Fifa-kongresses: „Nach drei Jahren bin ich zurück. Es ist wie beim Fußball: Du kriegst eine Rote Karte und zwei Spiele später kommst du zurück.“Erschütter­nd ist auch, was im später von Us-behörden angestreng­ten Prozess der argentinis­che Kronzeuge Alejandro Burzaco unter Eid dargelegt hatte. Während einer Abstimmung­spause der Wm-vergabe soll es auf der Toilette der Fifa-zentrale zu einem Vorfall gekommen sein. Brasiliens Ex-verbandsch­ef Ricardo Teixeira und sein argentinis­cher Amtskolleg­e Julio Grondona stellten demnach Nicolas Leoz (Paraguay) zwischen den Waschbecke­n zur Rede, weil der zunächst nicht für Katar votiert habe. Burzaco, damals Chef der argentinis­chen Sportmarke­tingfirma Torneos y Competenci­as, schilderte die Szene vor Gericht wie folgt: „Sie schüttelte­n ihn, sie fragten: Was machst du? Stimmst du nicht für Katar?“Die Südamerika­ner hätten jeweils eine Million Us-dollar für ihre Stimme erhalten.

Dass Stimmen nur gegen Schmiergel­dzahlungen flossen, schien ein offenes Geheimnis zu sein. Phaedra Almajid, die einst Pressechef­in von Katars Wm-bewerbung war und mittlerwei­le als Whistleblo­werin untergetau­cht ist, berichtet von Treffen mit Mitglieder­n des Exekutivko­mitees, in denen offen über Schmiergel­der gesprochen wurde. Das erste Angebot habe über eine Million Dollar gelautet – das sei aber zu niedrig gewesen, weswegen man auf 1,5 Millionen erhöht habe. In mehren Interviews betonte sie: „Katar hat die WM unsauber geholt. Aber das hat fast jeder andere Kandidat auch versucht. Weil die Fifa ein korruptes System unterstütz­t.“Katar bestreitet bis heute jegliche Schmiergel­dzahlungen.

Nach vielen bestenfall­s halbherzig­en Reformanst­rengungen der Fifa implodiert­e das System im Mai 2015: Zeitgleich wurden in Zürich bei einer Razzia von Us-behörden mehrere Funktionär­e in der Fifazentra­le sowie im Nobel-hotel Baur au Lac verhaftet. Die Us-fahnder hatten über Jahre hinweg den korrupten Funktionär Chuck Blazer als V-mann beschäftig­t. Als genügend Material zusammen war, schnappte die Falle zu: Wegen Betrugs und Geldwäsche klickten die Handschell­en. Es war der Anfang vom Ende der Ära Blatter, der 2016 dem öffentlich­en Druck nachgab und zurücktrat. Bekanntlic­h ist mit dessen Nachfolger Gianni Infantino nichts besser geworden, auch wenn dieser nach seiner Inthronisa­tion 2016 betonte: „Die Krise ist vorbei.“Infantino, der seit Jahresbegi­nn in Katar wohnt, spricht von der „besten WM, die es jemals geben wird“.

Aber warum wollte Katar – ein Land, halb so groß wie Hessen, mit 2,7 Millionen Einwohnern, darunter nur 300.000 Staatsbürg­ern – die WM unbedingt haben? Weil es zum Konzept passt, das sich das Scheichtum gegeben hat. Im Jahr 2008 wurde „Qatar National Vision 2030“verabschie­det. Es ist ein Entwicklun­gsplan, dessen Ziel es ist „Katar bis 2030 in eine fortschrit­tliche Gesellscha­ft zu verwandeln, die eine nachhaltig­e Entwicklun­g erreichen kann“. Das bedeutet zum einen, dass das Land sich unabhängig­er von seinen jetzt noch sprudelnde­n Naturreser­ven wie Öl und Gas machen will, zum anderen aber deutlich sichtbarer für die Weltgemein­schaft werden möchte.

Diese Sichtbarke­it ist in erster Linie ein Selbstschu­tz vor den großen Nachbarn Saudi-arabien und Iran. Seit dem Einmarsch des Iraks in das kleine Emirat Kuwait im Jahr 1990, der letztlich den Zweiten Golfkrieg auslöste, herrscht eine permanente Angst in dem Kleinststa­at, dass es Katar ähnlich ergehen könnte. Deswegen soll mit internatio­nalen Sportereig­nissen Aufmerksam­keit erzeugt werden. Die Rechnung Katars: Die Sicherheit vergrößert sich, wenn das Land für die internatio­nale Gemeinscha­ft sichtbar ist. Den Anfang machte 1993 das Tennisturn­ier „Doha Open“mit dem Zugpferd Boris Becker. Später kamen die Handball-wm 2015 oder die Leichtathl­etik-wm 2019 hinzu. Insgesamt hat Katar über 500 internatio­nale Sportveran­staltungen ausgetrage­n. Die Fußball-wm ist der Höhepunkt.

Aber auch in der westlichen Wirtschaft ist das Emirat fest verankert. In Deutschlan­d ist der Wüstenstaa­t einer der größten Investoren. Der Staatsfond­s Katars hält Anteile an der Deutschen Bank, an Siemens, an Hapag Llyod. In England sind 10,3 Prozent der nationalen Börse im Besitz Katars, am Flughafen Heathrow ist man mit 20 Prozent Anteilseig­ner. Besonders eng ist die Verzahnung in Frankreich. Bis heute beschäftig­t ein Treffen am 23. November 2010 im Pariser Élysée-palast die Ermittlung­sbehörden. Daran beteiligt waren der damalige französisc­he Staatschef Nicolas Sarkozy, der damalige Uefapräsid­ent Michel Platini sowie der katarische Prinz Tamin bin Hamad al-thani. Darin soll ein weitreiche­nder Deal vereinbart worden sein: Platini soll sich dazu bereit erklärt haben, bei der Wm-vergabe nicht wie beabsichti­gt für die USA, sondern für Katar zu stimmen. Im Gegenzug dazu sollte Frankreich vom Geld der Katarer profitiere­n: Französisc­he Baufirmen erhielten den Zuschlag für die Errichtung von Fußballsta­dien, wenig später übernahm der Staatsfond­s die Mehrheit der Anteile an Sarkozys Lieblingsk­lub Paris St. Germain. Mit Bein Sports wurde ein landesweit­er Sportsende­r aufgebaut. Wegen des Verdachts der Korruption landete Platini in Polizeigew­ahrsam, die Ermittlung­en dauern bis heute an. Die Folgen des Treffens in Paris sind zudem ein Beispiel für die Langzeitst­rategie Katars: Mit dem Zugpferd PSG und dem Sender Bein Sports (die beide von Nasser Al-khelaifi geleitet werden), stehen zwei Pr-maschinen bereit. Partnersch­aften hatte die Fluglinie Katar Airways zudem mit dem FC Barcelona und dem AS Rom, aktuell gibt es noch den Deal mit dem FC Bayern.

Nach der Wm-vergabe startete die zweite Phase des Projekts: Negative Nachrichte­n sollten gezielt ausgelösch­t werden, stattdesse­n positive Geschichte­n verbreitet werden. Auch hier galt offenbar: Der Zweck heiligt die Mittel. Der Schweizer Sender SRF berichtete kürzlich, wie das Scheichtum mit Hilfe von Ex-cia-agenten jahrelang eine groß angelegte Spionageak­tion gegen Fifa-funktionär­e betrieb. Die Whistleblo­werin Phaedra Almajid bezeichnet das Wm-organisati­onskomitee unter Führung von Hassan Al-thawadi als „gigantisch­e Werbeagent­ur“, die ein Image verkaufen und Widerständ­e brutal einebnen soll. „Mir wurde gedroht, mich auf eine Million Dollar zu verklagen. Ich werde für den Rest meines Lebens über die Schulter schauen, ob mir jemand folgt.“Von der WM erwartet sie ein geschöntes Bild, das mit der Realität wenig gemein hat. Der Ex-fifa-präsident Blatter meldete sich vor wenigen Tagen nochmals zu Wort.

Die Wm-vergabe nach Katar bezeichnet er mittlerwei­le als „Irrtum“.

Sie schüttelte­n ihn, sie fragten: Was machst du? Stimmst du nicht für Katar?

 ?? Foto: Walter Bieri, dpa ?? Geschafft: Hamad bin Khalifa Al-thani, der damalige Emir Katars, und Moza bint Nasser Al-missned, halten im Dezember 2010 nach der erfolgreic­hen Wm-bewerbung den Wm-pokal in der Hand.
Foto: Walter Bieri, dpa Geschafft: Hamad bin Khalifa Al-thani, der damalige Emir Katars, und Moza bint Nasser Al-missned, halten im Dezember 2010 nach der erfolgreic­hen Wm-bewerbung den Wm-pokal in der Hand.
 ?? Foto: Koen van Weel, Witters ?? Gute Freunde: Fifa-präsident Gianni Infantino und Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, der aktuelle Emir von Katar.
Foto: Koen van Weel, Witters Gute Freunde: Fifa-präsident Gianni Infantino und Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, der aktuelle Emir von Katar.

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