Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
In die Wüste geschickt
Mal wieder folgt ein Bundestrainer bei der Quartierwahl dem Wunsch, sich abzuschotten. Auch sonst weist die WM Parallelen zu früheren Turnieren auf: von Folterknechten bis zu eigenwilligen Maskottchen.
Immerhin das haben sie ja nun ganz gut hinbekommen. Lediglich 29 Tage dauert das Turnier und somit so kurz wie seit 1978 nicht mehr. Damals – möge man die blutige Parallele erkennen – unterbrach die argentinische Militärjunta ihre exzessiven Folter- und Mordserien für 25 Tage, um am Ende den Sieg der eigenen Mannschaft zu feiern. „Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen“franzelte Berti Vogts und lieferte einen verbalen Steilpass, der Jahrzehnte später von einer mittlerweile arg fahlen Lichtgestalt verwandelt wurde. Er, der Beckenbauer Franz, habe „noch keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen alle frei rum“, vogtste der Kaiser nach einer Besichtigung des jetzigen Gastgebers 2013. Ja gut, ähh.
Der DFB hat seit 1978 freilich dazu gelernt. Interessant aber, erinnert wird sich eher an narrisch werdende Österreicher und eine Schmach, als an tot geprügelte Oppositionelle. Dem heutigen Präsidenten Bernd Neuendorf fiele es jedenfalls nicht ein, wie sein Vorgänger Hermann Neuberger, einen ehemaligen Nazi ins Mannschaftsquartier einzuladen. Der Schlachtflieger und spätere Ns-fluchthelfer Hansulrich Rudel traf das Team im Trainings quartier. Neuen dorf hingegen: guter Mann. Kritisiert die Fifa und macht sich glaubwürdig für die Einhaltung der Menschenrechte stark.
Deutschlands beste Kicker allerdings residieren auch diesmal fernab des Trubels, der ja die Immer und immer weiter konzentration auf das Wesentliche( den Fußball, klar) auf das Empfindlichste stören könnte. Die Sehnsucht nach Abgeschiedenheit scheint zumindest im Wesen sämtlicher Bundestrainer angelegt. Geist von Spiez, die feuchten Abende am Schluchsee (Schlucksee, hihi), Bootsfahrten zum legendären Campo Bahia oder das selbst gewählte Exil in Watutinki. Auch hier nimmt 1978 eine exponierte Stellung ein, langweilten sich die Spieler doch in Ascochinga, was in der Übersetzung der indigenen Wortherkunft tatsächlich „toter Hund“heißt. In Katar nun haben es die Dfb- reiseplan e rum Expedit ions planer Oliver Bierhoff geschafft, die Mannschaft in jener Hotelanlage unterzubringen, die am weitesten entfernt ist von der Hauptstadt Doha. Das Zulal Wellness Resort liegt in der Stadt Al-ruwais und somit am nördlichsten Zipfel Katars. Flug-pendeleien oder stundenlange Bustouren bleiben den Spielern aber trotzdem erspart, zählt das Emirat doch zu den kleinsten Ländern der Welt. Oder aber, um es mit deutschen Maßstäben zu beschreiben: Ein Katar ist ein halbes Hessen. Andere Umrechnungskurse sind freilich noch nicht festgelegt. Wie vielen toten Gastarbeitern entspricht auf der Betroffenheitsskala beispielsweise ein toter Deutscher?
Besagtes Zulal Wellness Resort nun liegt hinter kilometerlanger Wüste – wie sämtliche Siedlungen und Städte beinahe ausschließlich von Sand umgeben sind. Dem Reportierenden sind die nächstliegenden Sprachbilder die liebsten, weshalb es nicht schaden kann, die Lesenden und Schauenden bereits vor dem Turnier auf die beliebtesten Phrasen der kommenden Wochen hinzuweisen. Katars Reichtum basiert zu einem Großteil auf dem glücklichen Zustand, dass dieser Mini-staat über das riesigste Gasvorkommen der Welt verfügt. Ergo, wenngleich ein wenig schief daherkommend, gibt es Gas wie Sand am katarischen Meer und der Wohlstand des Emirats ist selbstredend eben nicht auf Sand gebaut (sondern auf Gas, geschickter Politik und Ausbeutung). Wenn Fifa-boss Gianni Infantino wider besseren Wissens die Wm-vergabe an Katar verteidigt und faserscheinigste Argumente dafür anführt, streut er Sand in die Augen. Dann, wichtig: Bloß nicht den Kopf in den Sand stecken. Immer schön die Augen offen halten. Ansonsten stehen die Mahnerinnen und Nichtregierungsorganisationen als das da, was sie nicht sein wollen: einsame Rufer in der Wüste.
All die zarten Fortschritte, die es in dem Land tatsächlich gibt, würden dann im Sande verlaufen. Nicht fehlen darf selbstredend der Sand, der sich in den Getrieben mehrerer Mannschaften wiederfinden wird, wenn der sportliche Erfolg nicht im Einklang mit der Erwartungshaltung geht. Auch das ein wiederkehrendes Motiv. Wie korrupte Fifa-gesandte. Oder die Mäkeleien am Maskottchen, das im Vierjahresrhythmus grundsätzlich für schräge Fantasien eines Grafikers gehalten werden muss. Diesmal also La’eeb. Irgendwas zwischen Scheich, Mullwindel und Schlossgespenst. Vor La’eeb rangieren in der Ahnengalerie unter anderem das Dreibindengürteltier Fuleco (das ausgerechnet im hemmungslos rodenden Brasilien auf Umweltschutz aufmerksam machen sollte), der hosenlose germanische Löwe Goleo oder auch die 1982er Orange Naranja (die ja tatsächlich an spanische Orangenexporte erinnern sollte). In Argentinien warb 1978 übrigens die Spielfigur Gauchito für die WM, ausgerüstet mit einer Peitsche. Humor haben sie damals ja schon gehabt. (Foto: picture alliance/dpa/fifa)