Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie immer WM schauen?

- Von Tilmann Mehl

Pro

Natürlich ist es falsch, die Weltmeiste­rschaft im Fernsehen zu verfolgen. Letztlich kann nur ein gesunkenes Interesse die Fifa überzeugen, künftige Turniere nicht in Länder zu vergeben, die Menschenre­chte als lässliche Fußnote der Geschichte begreifen. Selbstvers­tändlich ist auch der Verzehr von Fleisch aus Massentier­haltung grundverke­hrt, ebenso der Antritt einer Flugreise. „Kognitive Dissonanz“nennt sich in der Wissenscha­ft der Zustand, wenn unterschie­dliche Wahrnehmun­gen nicht miteinande­r vereinbar sind. Der Mensch nun ist ein Genie darin, diese Dissonanz zu überwinden. Er raucht, obwohl er weiß, dass es ihn schädigt. Es gibt kein einziges gutes Argument, diese Weltmeiste­rschaft anzuschaue­n. Es ist schlicht die reine Freude daran, Fußballspi­ele zu verfolgen. Reine Freude allerdings ist schon auch ein erstrebens­wertes Gut. Wem es nun also Spaß bereitet, den besten Fußballern der Welt beim Kicken zuzuschaue­n, dem (oder der) sei das herzlich vergönnt. Fußball setzt Emotionen frei, schafft Gemeinscha­ftsgefühl. Das alles ist bekannt. Das wiegt natürlich nicht die tausenden Gastarbeit­er in Katar auf, die für einen freudvolle­n Torschrei gestorben sind. Die Fans aber sind nicht verantwort­lich für das Leid. Den Fernseher anzuschalt­en hat auch keine direkten Konsequenz­en auf die Situation in Katar. Es schadet freilich nicht, sich aber immer wieder zu vergewisse­rn, unter welchen Umständen diese WM stattfinde­t. Dass die Fifa Zuschaueri­nteresse als eine Währung betrachtet, mit der sich Turniere in autoritäre Staaten verkaufen lassen. Während 90 Minuten kann und soll das ausgeblend­et werden. Davor und danach aber darf man sich schon wundern, wie diese Dissonanz schon wieder aufgelöst wurde.

 ?? Foto: Axel Heimken, dpa ?? Fußball schauen? Vielleicht sogar gemeinsam?
Foto: Axel Heimken, dpa Fußball schauen? Vielleicht sogar gemeinsam?
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany