Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie immer WM schauen?
Pro
Natürlich ist es falsch, die Weltmeisterschaft im Fernsehen zu verfolgen. Letztlich kann nur ein gesunkenes Interesse die Fifa überzeugen, künftige Turniere nicht in Länder zu vergeben, die Menschenrechte als lässliche Fußnote der Geschichte begreifen. Selbstverständlich ist auch der Verzehr von Fleisch aus Massentierhaltung grundverkehrt, ebenso der Antritt einer Flugreise. „Kognitive Dissonanz“nennt sich in der Wissenschaft der Zustand, wenn unterschiedliche Wahrnehmungen nicht miteinander vereinbar sind. Der Mensch nun ist ein Genie darin, diese Dissonanz zu überwinden. Er raucht, obwohl er weiß, dass es ihn schädigt. Es gibt kein einziges gutes Argument, diese Weltmeisterschaft anzuschauen. Es ist schlicht die reine Freude daran, Fußballspiele zu verfolgen. Reine Freude allerdings ist schon auch ein erstrebenswertes Gut. Wem es nun also Spaß bereitet, den besten Fußballern der Welt beim Kicken zuzuschauen, dem (oder der) sei das herzlich vergönnt. Fußball setzt Emotionen frei, schafft Gemeinschaftsgefühl. Das alles ist bekannt. Das wiegt natürlich nicht die tausenden Gastarbeiter in Katar auf, die für einen freudvollen Torschrei gestorben sind. Die Fans aber sind nicht verantwortlich für das Leid. Den Fernseher anzuschalten hat auch keine direkten Konsequenzen auf die Situation in Katar. Es schadet freilich nicht, sich aber immer wieder zu vergewissern, unter welchen Umständen diese WM stattfindet. Dass die Fifa Zuschauerinteresse als eine Währung betrachtet, mit der sich Turniere in autoritäre Staaten verkaufen lassen. Während 90 Minuten kann und soll das ausgeblendet werden. Davor und danach aber darf man sich schon wundern, wie diese Dissonanz schon wieder aufgelöst wurde.