Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein bisschen mehr Singapur, ein bisschen weniger China

Leitartike­l Pünktlich zur Asien-pazifik-konferenz der deutschen Wirtschaft macht die Ampel-regierung einen kraftvolle­n Aufschlag in der Handelspol­itik.

- Von Christian Grimm

Kein zweites Mal soll Deutschlan­d verwundbar sein, wenn ein Diktator in ein anderes Land einmarschi­ert. Wegen der gefährlich­en Abhängigke­it von Gas, Öl und Kohle aus Russland konnte die Bundesregi­erung zunächst nicht die volle Härte gegen Wladimir Putin einsetzen. Dieses Albtraumsz­enario soll sich nicht wiederhole­n, falls Chinas Staatschef Xi Jinping seine Truppen gegen Taiwan in den Krieg schickt.

Ein Dreivierte­ljahr nach dem Angriff auf die Ukraine lenkt die Ampel-koalition die Handelspol­itik um. Passend zum Auftakt der Asien-pazifik-konferenz der deutschen Wirtschaft in Singapur präsentier­t sie ein Bündel an Initiative­n. Das Regierungs­bündnis vergisst dabei nicht, dass die deutsche Wirtschaft wie wenig andere vom Export lebt. Ökonomisch­er Selbstmord

steht nicht auf der Agenda. Dieser Ansatz ist richtig, auch wenn er keine moralische Reinheit beanspruch­en kann, wie es das Ziel einer wertegelei­teten Außenpolit­ik eigentlich verlangt.

Im Kern geht es darum, ohne blinden Aktionismu­s die Abhängigke­it von China zu schmälern.

Dem Milliarden­markt den Rücken zuzukehren ist ausdrückli­ch nicht das Ziel. „China ist ein wichtiger Markt für Deutschlan­d“, versichert Wirtschaft­sminister Habeck.

Die Bundesregi­erung stupst die Unternehme­n deshalb auf andere asiatische Länder – dazu zählen klassische Partner wie Japan, Südkorea und Singapur, aber auch aufstreben­de Wirtschaft­smächte wie Indien, Vietnam und Malaysia. Damit der Anreiz größer wird, dort eine neue Fabrik zu errichten und nicht mehr im Reich der Mitte, werden künftig die Investitio­nsgarantie­n für China begrenzt.

Dass die deutsche Wirtschaft schnell aus der Bredouille kommt, erwartet in Berlin keiner. Zehn bis 15 Jahre beträgt der Zeithorizo­nt, den die Bundesregi­erung unterstell­t, um zum Beispiel Minen für Rohstoffe wie Seltene Erden in anderen Ländern aufzutun. Es wird auch noch mindestens eine Dekade dauern, bis Indien fehlende Straßen, Schienen und Häfen aufgebaut hat, um zu China aufzuschli­eßen und eine kaufkräfti­ge Mittelschi­cht auszubilde­n, die deutsche Autos kauft.

Deshalb heißt die Formel unter den Managern bei ihrem Treffen in Singapur: China plus eins. Das heißt, die asiatische Basis in China wird nicht infrage gestellt. Bei anstehende­n Investitio­nen überdenkt der Vorstand aber, in ein anderes asiatische­s Land zu gehen.

Die Bundesregi­erung arbeitet allerdings daran, dass die Auswahl im Menü größer wird. Die Freihandel­sabkommen mit Kanada, Mexiko und Chile sollen jetzt endlich zu einem Abschluss kommen, um Geschäfte im westlichen Bündnis und mit Lateinamer­ika anzukurbel­n. Diversifiz­ierung heißt die Marschrout­e, und sie bedeutet, dass auch weiterhin Geschäfte mit Staaten gemacht werden, wo Menschenre­chte mit Füßen getreten werden. Homosexual­ität wird in den arabischen Öl-ländern bekämpft, Muslime werden in der Demokratie Indien diskrimini­ert, Vietnam ist eine Diktatur unter einer kommunisti­schen Partei.

Die Wirtschaft­spolitik bleibt also moralisch heikel, selbst wenn es anders im Koalitions­vertrag steht. SPD, Grüne und FDP halten am Wirtschaft­smodell der BRD AG fest, streuen jedoch das Risiko. Zeitenwend­e und Wohlstand gehen Hand in Hand. Die große Unbekannte in dieser Gleichung ist, wie stark die USA Gefolgscha­ft verlangen, sollte China Taiwan überfallen. Nicht nur Deutschlan­d müsste sich entscheide­n, sondern auch die anderen Hoffnungst­räger der Unternehme­n in Asien. Die Entscheidu­ng China oder Amerika würde Asien zerreißen und in Europa der Wirtschaft massiv schaden.

Wirtschaft­licher Selbstmord ist nicht das Ziel

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