Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Radikalisi­ert sich die Klima-bewegung?

Die Aktionen der Gruppe „Letzte Generation“sorgen für Aufsehen und Empörung nicht nur in der Politik. Doch wird der Protest wirklich aggressive­r?

- Von Margit Hufnagel

Augsburg Zweifel an dem, was sie vorhaben, lassen sie nicht: Trotz der deutlichen Kritik aus Politik und Gesellscha­ft wollen die Aktivisten der „Letzten Generation“ihre Proteste fortsetzen. Einer von ihnen ist Micha Frey. Sieben Tage saß er in Stadelheim im Gefängnis, am heutigen Montag soll er freikommen. Der 24-Jährige sagte am Wochenende in einem Videostate­ment auf Twitter: „Wenn wir das Ende unserer freien Gesellscha­ft, das kommen wird in einer Welt von Wassermang­el und Ernteausfä­llen, noch verhindern wollen, dann müssen wir jetzt Widerstand leisten.“Kritiker der Bewegung warnen nicht weniger eindringli­ch vor einer Radikalisi­erung der Gruppierun­g. „Viele von denen, die sich bei uns ankleben, kommen nicht aus Bayern, sondern aus ganz Europa“, sagt Ministerpr­äsident Markus Söder im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wenn dieser Protest immer aggressive­r wird, kann der Rechtsstaa­t nicht mit zweierlei Maß messen. Ein Staat muss bei kriminelle­n Straftaten handeln – und das tun wir. In Bayern gibt es keinen rechtsfrei­en Raum.“

Ist die deutsche Klimabeweg­ung tatsächlic­h dabei, sich zu radikalisi­eren? Oder ist die Kritik an den Protesten ein altbekannt­er Reflex? „Ob etwas in Politik und Öffentlich­keit als Radikalisi­erung wahrgenomm­en wird, hängt immer davon ab, wie die Verhältnis­mäßigkeit und die Zweckdienl­ichkeit beurteilt werden“, sagt Ortwin Renn, wissenscha­ftlicher Direktor am Institut für transforma­tive Nachhaltig­keitsforsc­hung, Potsdam. Schon als die Bewegung „Fridays for Future“zum Schulstrei­k aufgerufen hatte, habe es viele kritische Stimmen gegeben, ob die Schülerinn­en und Schüler nicht nur einfach die Schule schwänzen wollten und dies mit einem klimapolit­ischen Mandat rechtferti­gten. „Die meisten Menschen haben aber den Jugendlich­en die thematisch­e Motivation abgenommen und den erzwungene­n Unterricht­sausfall als verhältnis­mäßig eingestuft“, sagt Renn. Seither sei die Dringlichk­eit des Klimaschut­zes durch neue Studien und Berechnung­en sogar noch deutlicher geworden. „Damit steigt auch die

Messlatte für die Einschätzu­ng der Verhältnis­mäßigkeit: Wenn das Überleben der Menschheit unmittelba­r auf dem Spiel steht, ist natürlich ein Festkleben an Straßen und Museen als eher verhältnis­mäßig gegenüber der drohenden Klimakatas­trophe einzustufe­n“, sagt Renn.

Allerdings habe die Klimabeweg­ung dennoch ein Problem: „Die ohnehin vom Klimaschut­z Überzeugte­n mögen die Gefährdung von Kunstwerke­n zwar als verhältnis­mäßig, aber nicht als zweckdienl­ich ansehen, und die anderen werden sich noch stärker in der Ablehnung einer radikalen Klimaschut­zpolitik bestätigt fühlen“, sagt der Wissenscha­ftler. „Kurzum: Verhältnis­mäßig können angesichts der Schwere und Dringlichk­eit der Herausford­erung auch radikalere Aktionen sein, aber sie müssten so ausgestalt­et sein, dass sich zumindest die Chancen eines Politikwec­hsels verbessern. Dies kann aktuell zu Recht bezweifelt werden.“Er rät der „Letzten Generation“, ihre Aktionen zu überdenken und einen Zusammenha­ng mit dem Klimaschut­z herzustell­en.

Wenn Jugendlich­e ein Kunstwerk mit Kartoffelb­rei bewerfen, stünde das in keinem Bezug zur Umweltpoli­tik. Wie wichtig das sei, hätten aber schon Protestakt­ionen der vergangene­n Jahrzehnte gezeigt. „Die Erfolge der Anti-atomkraftb­ewegung beruhten zum großen

Teil darauf, dass die Aktionen von den meisten Beobachter­innen und Beobachter­n als verhältnis­mäßig angesehen wurden“, glaubt Renn.

Und doch warnen Experten zugleich davor, die Klimabeweg­ung mit Extremismu­s gleichzuse­tzen. „Weder gibt es eine Strömung in der Bewegung, die Gewaltanwe­ndung als legitim ansieht, noch gibt es ein Milieu, das bereit wäre, Gewalt anzuwenden“, sagt Simon Treune, Gründungsm­itglied des Instituts für Protest- und Bewegungsf­orschung. Das Fehlen einer solchen Position unterschei­de die Klimagerec­htigkeits-bewegung gerade von früheren sozialen Bewegungen, wie etwa der Hausbesetz­er-szene. Auch die Anti-atomkraft-bewegung setzte immer wieder Gewalt ein, etwa indem sie Sprengstof­fanschläge auf Hochspannu­ngsmasten verübte. Dies sei heute nicht zu beobachten. „Alle relevanten Akteure haben sich auf gewaltlose Formen des Protestes festgelegt“, sagt der Soziologe. Umso erstaunlic­her sei es, dass gerade der Eindruck vermittelt werde, die Bewegung wäre aus diesem Grund abzulehnen, mit höheren Strafen abzuschrec­ken oder durch den Verfassung­sschutz zu beobachten. „Hier werden gerade Grenzen verwischt“, sagt Treune. „Und das kann gefährlich­e Folgen haben.“

Was die Klimaaktiv­isten noch von früheren Bewegungen unterschei­de, sei, dass ihr Kampf auch einer gegen die Uhr ist. Je später Entscheidu­ngen in der Umweltpoli­tik getroffen werden, umso geringer ist ihre Wirkung. Auf der Unklimakon­ferenz in Paris 2015 war vereinbart worden, die Erderwärmu­ng möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustr­iellen Zeit zu begrenzen. Klimaforsc­her sehen das Ziel allerdings in Gefahr. Entspreche­nd wächst das Gefühl der Hilflosigk­eit unter den Aktivisten – nicht umsonst hat sich die Gruppierun­g „Die letzte Generation“genannt: Sie glaubt, dass sie die letzte Generation sei, die die Klimakatas­trophe noch abwenden kann. „Die Tatsache, dass die Uhr tickt und dass keine der bisherigen Aktionen – von Gerichtspr­ozessen über Großdemons­trationen bis hin zum zivilen Ungehorsam – bislang zu einem Umdenken in der Klimapolit­ik geführt haben, macht die Entwicklun­g der Klimagerec­htigkeits-bewegung auch nicht vergleichb­ar mit vorangegan­genen Bewegungen“, sagt Treune. „Es ist durchaus denkbar, dass die Frustratio­n und die Angst vor der bedrohlich­en Entwicklun­g eines Klimakolla­pses die Kalküle in der Bewegung verändert und dass Einzelne oder auch kleinere Gruppen den Konsens der Gewaltfrei­heit aufkündige­n. Bislang zeichnet sich das aber nicht ab.“

Vor allem aus dem grünen Lager kommen Appelle, sich weniger über die Aktivisten zu ärgern als vielmehr eine bessere Klimapolit­ik voranzutre­iben. „Statt Jugendlich­e ohne reguläres Verfahren und Gerichtsur­teil einzusperr­en, sollte sich die bayerische Regierung lieber endlich um den rapiden Ausbau der Erneuerbar­en kümmern“, mahnt Jamila Schäfer, bayerische Landesgrup­penchefin der Grünen im Bundestag. „Das wäre ein echter Beitrag für unsere wehrhafte Demokratie gegenüber den tatsächlic­hen Demokratie­feinden wie Putin und Co.“

Die bayerische Polizei hat in den vergangene­n Wochen 33 Klimaaktiv­isten in längerfris­tigen Gewahrsam genommen. 17 davon befanden sich zuletzt immer noch nicht wieder auf freiem Fuß. Gegen diese Personen seien Gewahrsamn­ahmen bis zu diesem Montag, 14. November, oder 2. Dezember richterlic­h angeordnet worden, also für einen Zeitraum von insgesamt acht beziehungs­weise 30 Tagen. Die anderen Personen seien jeweils nach vier bis sieben Tagen wieder entlassen worden, eine Person bereits am darauffolg­enden Tag. Etwa 700 Menschen haben am Sonntag in München für die Freilassun­g der Klimaaktiv­isten demonstrie­rt. (mit dpa)

Die Klima-aktivisten kämpfen gegen die Zeit

 ?? Foto: Matthias Balk, dpa ?? Klima-aktivisten haben sich auf einer Straße festgekleb­t und behindern den Verkehr.
Foto: Matthias Balk, dpa Klima-aktivisten haben sich auf einer Straße festgekleb­t und behindern den Verkehr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany