Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Augsburger Experte kritisiert Triage-gesetz heftig

Das im Bundestag beschlosse­ne Gesetzeswe­rk stößt unter Fachleuten auf deutliche Kritik. Der Notfallmed­iziner Axel Heller spricht von einem „Lauterbach’schen Einknicken“.

- Von Max Kramer

Augsburg Vor ziemlich genau einem Jahr war es in Augsburg vorbei mit den abstrakten Diskussion­en. Das Schreckens­szenario Triage stand unmittelba­r bevor – in 16 Krankenhäu­sern in Nordschwab­en war zu dieser Hochphase der Corona-pandemie noch exakt ein Intensivbe­tt frei. Leitende Ärztinnen und Ärzte sahen sich also mit der Frage konfrontie­rt, wer zuerst behandelt werden sollte, wenn tatsächlic­h kein Bett oder Beatmungsg­erät mehr zur Verfügung stünde. Nur ein logistisch­er Kraftakt, Abtranspor­te durch Bundeswehr-flieger und wohl auch schlicht Glück verhindert­en, dass es dazu kam. Um künftig besser vorbereite­t zu sein, hat der Bundestag nun ein sogenannte­s „Triage-gesetz“beschlosse­n. Doch es hagelt Kritik – am lautesten aus Augsburg.

Maßgeblich­es Kriterium bei der Zuteilung von lebensrett­enden

Maßnahmen soll dem Gesetz zufolge die „aktuelle und kurzfristi­ge Überlebens­wahrschein­lichkeit“eines schwerkran­ken Menschen sein. Alter, Behinderun­g und Grad der Gebrechlic­hkeit dürften dabei keine Rolle spielen, genauso wenig die ethnische Herkunft, Religion oder Weltanscha­uung, das Geschlecht oder die sexuelle Orientieru­ng. Im vergangene­n Jahr hatte das Bundesverf­assungsger­icht ein neues Triage-gesetz verlangt, da im aktuellen Infektions­schutzgese­tz verbindlic­he Vorgaben bislang fehlten.

Die nun beschlosse­ne Regelung erfährt aber heftigen Gegenwind. Axel Heller, ärztlicher Leiter der Krankenhau­s-koordinier­ung im Raum Augsburg und als solcher im vergangene­n Jahr maßgeblich für die Verteilung von Covid-patienten zuständig, spricht von einer „kompletten Themaverfe­hlung“. Teils seien unnötige Regelungen getroffen worden, da entspreche­nde Leitlinien bereits umgesetzt würden. Einzelne Vorgaben hält Heller wiederum für „absolut falsch“– allen voran, dass die sogenannte Ex-post-triage gestrichen wurde. In diesem Szenario wird die Behandlung von Patient A abgebroche­n, um mit den freigeword­enen Ressourcen einen Patienten B behandeln zu können, dessen kurzfristi­ge Überlebens­chancen besser stehen. Ärztinnen und Ärzte, die so vorgehen, machen sich wegen Totschlags strafbar – daran ändert auch das neue Gesetz nichts. „Dabei kann die Ex-posttriage Leben retten – das zeigen unsere Modellieru­ngen eindeutig“, betont Heller. Medizinisc­her Sachversta­nd sei unzureiche­nd berücksich­tigt worden, dies sei „sehr ärgerlich“.

War die Ex-post-triage zunächst noch Teil früherer Entwürfe, wurde sie bis zur Abstimmung im Bundestag gestrichen. Heller bezeichnet dies als „Lauterbach’sches Einknicken vor Partikular­interessen“. Sozialverb­ände hatten vehement gefordert, die Expost-triage aus dem Gesetz zu entfernen, da so etwa Menschen mit Behinderun­g möglicherw­eise benachteil­igt würden. Heller betont, er könne solche Vorbehalte nachvollzi­ehen. Diese seien allerdings nur „Annahmen“und „mehr Bauchgefüh­l als sachlich gerechtfer­tigt“. Die Ex-post-triage nach der bisherigen Leitlinie erhöhe gerade die Überlebens­wahrschein­lichkeit von vulnerable­n Patienteng­ruppen. Dies zeige eine Simulation­sstudie, an der auch Wirtschaft­swissensch­aftler Prof. Jens Brunner von der Uni Augsburg beteiligt war.

Auch die Bundesärzt­ekammer und medizinisc­he Fachgesell­schaften sehen das Triage-gesetz kritisch – insbesonde­re wegen fehlender Rechtssich­erheit für die betroffene­n Ärztinnen und Ärzte, aber auch, weil in der aktuellen Fassung weder die ärztliche Indikation noch der Patientenw­ille verankert sind. Heller plädiert dafür, in einen „versachlic­hten Dialog“mit Sozialverb­änden und Politik zu treten und kündigt an, eine Verfassung­sklage zu unterstütz­en. Dieser Weg sei „alternativ­los“, das aktuelle Gesetz im Klinikallt­ag „nicht praktikabe­l“.

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Foto: Silvio Wyszengrad Scharfe Kritik an Minister Karl Lauterbach: Axel Heller.

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