Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Die Abhängigke­it von China macht Deutschlan­d erpressbar“

Die Wirtschaft­sweise Veronika Grimm berät die Regierung und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. So hält sie den Einstieg Pekings bei einem Terminal des Hamburger Hafens für fragwürdig. Ein Gespräch über Wirtschaft, Gleichbere­chtigung, Rap-musik und Jugen

- Interview: Stefan Stahl

Frau Professor Grimm, die Verhandlun­gen über eine Entlastung der Bürgerinne­n und Bürger von den hohen Energiepre­isen dauerten im Finale 35 Stunden an. Konnten Sie sich wenigstens einige Stunden zum Schlafen zurückzieh­en?

Veronika Grimm: Die letzte Nacht haben wir durchgemac­ht. Doch unser Einsatz in der Gaspreis-kommission hat sich gelohnt. Unsere Vorschläge erfüllen eine ganze Reihe der Zielvorgab­en, und die Politik setzt sie jetzt weitgehend um. Das wünscht man sich in der Politikber­atung, es erfüllt sich aber selten. Dafür lohnt es sich auch mal, auf Schlaf zu verzichten.

Das muss man mögen.

Grimm: Ich war immer schon ein Nachtmensc­h. Ich habe oft nachts gearbeitet.

Als Ökonomin?

Grimm (lacht): Ja, durchaus. Wenn man etwa an einem Beweis oder einem Text sitzt, dann lässt man nicht den Stift fallen oder schaltet den Rechner aus. Aber auch davor habe ich schon eher nachts und spät abends gearbeitet. In der Gastronomi­e, im Jugendzent­rum, in Clubs als DJ und in der Altenpfleg­e.

Sie mögen besonders Rap-musik.

Grimm: Richtig, seit den 1980er Jahren. Damals hat die Musik die Gewalt auf der Straße kanalisier­t – die „Battles“wurden dann mehr im Club als Rap Contests ausgetrage­n. Es ging in den Texten viel um politische und soziale Themen, Missstände wurden angeprange­rt. Auch musikalisc­h wurde das Spektrum erweitert auf elektronis­che Elemente und den DJ, der eine aktive Rolle in der Band hatte. Das gefiel mir gut.

Wollten Sie immer Ökonomin werden?

Grimm: Nein, es hat sich am Ende so ergeben. Ursprüngli­ch haben mich soziale Themen interessie­rt, aber auch Mathematik und das Handwerk. Ich habe früher viel getischler­t. Ich habe aber dann ein Soziologie­studium begonnen.

Doch Sie sind nicht bei der Soziologie geblieben.

Grimm: Es hat mich in den Seminaren gestört, dass dort viel diskutiert wurde, obwohl viele die Seminararb­eiten der anderen gar nicht gelesen hatten. Im Nebenfach habe ich damals schon Volkswirts­chaft studiert. Gerade Seminare über Umwelt-ökonomie und Spieltheor­ie haben mich begeistert. Ich habe im Hauptfach auf Volkswirts­chaft umgesattel­t.

Das war der Beginn einer Wissenscha­ftskarrier­e, der Ihnen den Volkswirts­chaftslehr­stuhl an der Uni Erlangen-nürnberg einbrachte und Sie Wirtschaft­sweise werden ließ. Wie haben Sie Familie und Karriere unter einen Hut gebracht?

Grimm: Mein erstes Kind habe ich in Spanien bekommen, als ich nach meiner Promotion dort an der Uni in Alicante gelehrt habe. In Spanien war es bei den Frauen üblich, nach dem im Vergleich zu Deutschlan­d kürzeren Mutterschu­tz wieder zu arbeiten. Das hat alles gut geklappt, es macht schon einen großen Unterschie­d, ob etwas die Regel oder die Ausnahme ist.

Ist das alles wirklich so einfach?

Grimm: Natürlich nicht. Man braucht schon ein dickes Fell, wenn man in Vollzeit den Beruf und die Familie vereinbare­n will, und man muss sich Hilfe organisier­en. Jede und jeder muss selbst entscheide­n, wie er oder sie das ausbalanci­ert. Bei uns hat das gut funktionie­rt – aber es ist natürlich oft anstrengen­d und mit Schlafentz­ug verbunden. Insbesonde­re, wenn die Kinder klein sind.

Können Frauen heute leichter in der Wissenscha­ft Karriere machen? Immerhin sind drei der fünf Wirtschaft­sweisen Frauen.

Grimm: Es ist leichter, aber es gibt noch viele Hürden. Kinderbetr­euungskapa­zitäten sind immer noch nicht gut ausgebaut. Man bekommt zwar einen Platz, aber ein Vollzeitjo­b ist damit nicht kompatibel. Wer das nicht schafft, ob berufstäti­g oder sozial benachteil­igt, dessen Kinder haben ein bisschen das Nachsehen. Die Berufstäti­gen mit gutem Gehalt können sich da vielleicht noch organisier­en, andere fallen unten durch. Außerdem werden Mädchen immer noch anders als Jungs erzogen. Hier gibt es nach wie vor andere Rollenmust­er: Frauen lernen nicht, anzuecken und sich auch mal unbeliebt zu machen, um sich durchzuset­zen. Das rächt sich zuweilen auch im Berufslebe­n.

Haben Sie das auch als Fußballtra­inerin beobachtet?

Grimm: In der Tat. Ich habe eine Jugendmann­schaft trainiert, in der Mädchen und Jungs spielen. Jungs gehen viel selbstvers­tändlicher mit dem Wettbewerb um. Sie können im Gegensatz zu Mädchen knallhart sein, um eine bestimmte Position zu ergattern oder überhaupt aufgestell­t zu werden. Wenn Jungs leer ausgehen, versuchen sie sich wieder durchzuset­zen. Das ist bei Mädchen anders. Die Jungs hatten auch oft eine höhere Frustratio­nstoleranz als Mädchen.

Wie zeigt sich das?

Grimm: Wenn der Schiedsric­hter unfair gegen sie pfeift, denken sie sich: Jetzt erst recht. Mädchen hingegen denken sich: Das kann nichts werden, wenn der Schiedsric­hter gegen uns ist. Aufmüpfige Jungs werden durchaus wohlwollen­d betrachtet, aufmüpfige Mädchen kriegen Gegenwind.

Mütter und Väter fragen sich, wie sie finanziell im Winter über die Runden kommen, auch wenn die Bundesregi­erung die Bürgerinne­n und Bürger entlastet. Reichen die Energiekos­ten-bremsen aus?

Grimm: Das hängt stark davon ab, wie die Gaspreisbr­emse umgesetzt wird. Um sicher durch den Winter zu kommen, sind wir vor allem darauf angewiesen, dass Unternehme­n und Menschen weiter erheblich Gas einsparen. Wir müssen also etwa die Heizungen runterdreh­en und Gas in der Industrie ersetzen.

Besteht nicht die Gefahr, dass Menschen die Heizungen höher drehen, nachdem sie wissen, dass der Staat sie entlastet?

Grimm: Die Entlastung ist so konzipiert, dass sich Gassparen enorm lohnt. Für jede Kilowattst­unde, die Sie nicht verbrauche­n, sparen Sie den hohen aktuellen Gaspreis. Denn die Entlastung wird Ihnen gezahlt, egal wie viel Gas Sie verbrauche­n. Man wird also entlastet und profitiert, wenn man noch zusätzlich spart.

Sie wünschen sich, dass die Atomkraftw­erke fünf Jahre länger laufen. Dabei haben Sie einst gegen das Atomkraftw­erk in Brokdorf demonstrie­rt.

Grimm: In dieser massiven Energiekri­se sollten wir pragmatisc­h sein und die Atomkraftw­erke noch eine Zeit am Netz lassen. Aber das muss Teil einer Gesamtstra­tegie sein. Auch die Kohlekraft­werke müssen weiterlauf­en. Vor allem gilt es aber, die erneuerbar­en Energien so schnell wie möglich auszubauen. All diese Herausford­erungen müssen wir ohne Scheuklapp­en meistern.

Also mit deutlich länger laufenden Atomkraftw­erken.

Grimm: Wir brauchen die Atomkraft jetzt. Das darf aber nicht davon ablenken, die erneuerbar­en Energien und vor allem auch die Infrastruk­turen für den Energietra­nsport auszubauen. Denn wenn das nicht gelingt, wird die Energiekri­se länger dauern, als uns lieb ist. Darüber hinaus müssen wir aus der Energiekri­se lernen und auch andere Abhängigke­iten konsequent reduzieren. So drängen wir als Sachverstä­ndigenrat Wirtschaft im aktuellen Gutachten darauf, unsere Bezugsquel­len zu diversifiz­ieren. Es ist richtig, dass der Bundeskanz­ler und der Bundeswirt­schaftsmin­ister in verschiede­ne Staaten weltweit reisen, um über den Bezug von Energie, aber auch Rohstoffen, zu verhandeln.

Was Rohstoffe und andere Vorprodukt­e betrifft, hat sich Deutschlan­d in hohem Maße von China abhängig gemacht.

Grimm: Diese Abhängigke­it von China ist eine große Herausford­erung. China hat in den vergangene­n Jahrzehnte­n durch die Integratio­n von Wertschöpf­ungsketten und gezielten Subvention­en die Preise auf dem Weltmarkt niedrig gehalten. Das hat die Exploratio­n und Förderung von Rohstoffen vielerorts unwirtscha­ftlich gemacht. Hier gibt es Handlungsb­edarf in Deutschlan­d und Europa. Wir müssen diversifiz­ieren und neue, auch eigene, Quellen erschließe­n.

Was heißt das konkret?

Grimm: Kritische Rohstoffe sind besonders auf unserem Weg hin zu einer klimaneutr­alen Wirtschaft wichtig. Ohne sie können wir die meisten Anlagen nicht bauen. Solange viele dieser Rohstoffe aus China kommen, könnte unser Klimaschut­z-pfad jäh eingebrems­t werden, wenn wir aus China – wie es jetzt beim russischen Gas passiert ist – weniger oder nichts geliefert bekommen.

War es insofern falsch, dass Kanzler Olaf Scholz die Beteiligun­g der Chinesen an einem Terminal des Hamburger Hafens durchgedrü­ckt hat?

Grimm: Diese Entscheidu­ng ist fragwürdig. Man sollte China nicht an Infrastruk­turen in Deutschlan­d beteiligen. Wenn das um sich greift, kann es Entscheidu­ngsspielrä­ume einschränk­en. Wir sind in Europa hier in einem Gefangenen-dilemma: Die anderen Länder gehen diese Abhängigke­iten ein – und China kann einfach drohen, dann andere Häfen zu favorisier­en, wenn wir nicht mitspielen. Wir spielen uns hier in Europa gegeneinan­der aus – und China freut es. Wir setzen uns aber einem erhebliche­n Risiko aus, wenn einmal Konflikte mit China auftreten.

Wenn China Taiwan überfallen würde.

Grimm: Zum Beispiel. Wir müssen schon jetzt dafür sorgen, dass in einem solchen Fall unsere Transforma­tionspläne zur erneuerbar­en Energie nicht in Gefahr geraten. Stand jetzt sind wir auf die Lieferung wichtiger Rohstoffe aus China angewiesen. Wir müssen in Deutschlan­d die Bezugsquel­len besser diversifiz­ieren. Die Abhängigke­it von China macht Deutschlan­d erpressbar.

„Aufmüpfige Mädchen kriegen Gegenwind“

 ?? Foto: Hannes P Albert, dpa ?? Veronika Grimm outet sich im Gespräch als Nachtmensc­h. So machte es ihr nichts aus, bei den Beratungen über eine Energiepre­isbremse eine Nacht „durchzumac­hen“.
Foto: Hannes P Albert, dpa Veronika Grimm outet sich im Gespräch als Nachtmensc­h. So machte es ihr nichts aus, bei den Beratungen über eine Energiepre­isbremse eine Nacht „durchzumac­hen“.

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