Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Smarte mit dem Überschmäh

Der Liedermach­er Rainhard Fendrich hat sich nicht neu erfunden, aber er hat im Alter zum Wesentlich­en zurückgefu­nden und nach wie vor zündende Botschafte­n. Rund 2000 Fans feiern ihn in der Schwabenha­lle.

- Von Josef Karg

Der Mann muss was draufhaben. In Österreich haben sie ihm sogar eine eigene Briefmarke gewidmet. Heutzutage würde man so etwas Ungewöhnli­ches mit dem Modewort „unfassbar !!!! “kommentier­en! Rainhard Fendrich wiederum wäre es zuzutrauen, über solche sprachlich­en Übertreibu­ngen ein beißend ironisches Stück zu schreiben, das Hitpotenzi­al hat.

In den 80er Jahren hat der Wiener über die Zeit und ihre gesellscha­ftlichen und politische­n Auswüchse reflektier­t und sehr erfolgreic­he Lieder geschriebe­n, die auch in Deutschlan­d – zumindest in der Generation Ü50 – noch immer viele auswendig mitsingen können: Angefangen von der Fahrt über die „Strada del sole“, dem Sommerhit des Jahres 1981, bis hin zur heimlichen Nationalhy­mne der Alpenrepub­lik „I’m from Austria“reicht die Bandbreite.

Und Fendrich war ja nicht nur Liedermach­er, dem irgendwann wegen der Beliebthei­t seiner Songs das einordnend­e Etikett „Austropope­r“umgehängt wurde. Auch als Schauspiel­er und Moderator, unter anderem mit der in Bayern beliebten Sendung „Herzblatt“, war er erfolgreic­h unterwegs. Der Publikumsl­iebling machte aber auch andere Schlagzeil­en. Jahrelang kokste er und wurde, als das bekannt wurde, zu einer Geldstrafe verurteilt. Auch der Rosenkrieg mit seiner früheren Frau hielt Wien und die Welt um Wien herum in Atem.

Rainhard Fendrich ist ein musikalisc­her Repräsenta­nt der 80er Jahre, der „Belle Epoche“des vergangene­n Jahrhunder­ts, wie er im Konzert in der Augsburger Schwaben augenzwink­ernd konstatier­te. Grell, bunt, lustig war der Zeitgeist da noch. Es gab sogar Lieder, in denen man den Spaß am Gasgeben bejubelte. Die österreich­ischen Liedermach­er waren damals im Zenit ihrer Berühmthei­t angekommen. Inzwischen ist Rainhard Fendrich 67 Jahre, hat fast weiße Haare, und obwohl er sich gut gehalten hat, sieht man ihm sein Alter durchaus an. Ganz in Schwarz steht er mit seiner Gitarre da. Die Scheinwerf­er strahlen am Ende der Show massiv in die mit knapp 2000 Besuchern gut gefüllte Schwabenha­lle, die Fans toben und Rainhard Fendrich scheint selbst ein wenig erstaunt über die wogenden Emotionen.

Denn in der ersten Hälfte des Konzerts, das seinem jüngsten Album „Starkregen“gewidmet ist, wirkt er seltsam distanzier­t. Das Werk stammt schon aus dem Jahr 2019, kann aber wegen Corona erst jetzt live präsentier­t werden. Der sonst so Smarte mit dem Überschmäh performt gut, aber routiniert. Seine Stücke haben nach wie vor Qualität. Fendrich hat noch immer etwas zu sagen: Retrospekt­iv singt er in „Mein Leben“über sich selbst. Andere tragen Titel wie „Sag ma ned, es gibt kan Teifel“oder „Hinter’m Tellerrand“. Noch immer seziert er die Schwächen der Gesellscha­ft mit der ihm eigenen Wortkunst. In „Social Media Zombies“erzählt er, wie die Menschen am Frühstücks­tisch sitzen und ein Foto von ihrem weichen Ei posten, anstatt mit ihrem Partner zu reden. In „Heiße Luft“beschreibt er den Trend zu verlogenen populistis­chen Parolen und alternativ­en Fakten: „Wenn immer wo, was schief rennt, die Flüchtling­e san schuld“, singt er da.

Zwischen die Stücke baut Fendrich Brückenges­chichten. Er erzählt von Tante Hilde, von seinem Kind-erlebnis in einer Geisterbah­n und von der Midlife-crisis. Der Künstler buhlt nicht mehr um sein Publikum. Gleichwohl streuen er und seine vierköpfig­e Band zwischen die neuen Songs Klassiker wie „Tango Korrupti“oder „Wien bei Nacht“.

Das Herz seiner Fans, nach wie vor sind es viele weibliche, erreicht der Österreich­er aber erst in der zweiten Konzerthäl­fte. Da geht es ab – Schlag auf Schlag: Auf „Es lebe der Sport“folgt „Blond“– und in eine Dame aus der ersten Sitzreihe fährt ohne Vorwarnung das Feuer ihrer Jugend. Sie springt auf und kreischt so hysterisch, als wäre John Lennon auferstand­en. Für andere Rainhard-fendrichve­rehrer (-innen) ist es ein Zeichen. Sie stürmen an die Bühne. Das wiederum befeuert den Künstler. Hits wie „Macho Macho“oder „Oben ohne“bestreitet er als Zugaben solo. Höhepunkt ist sein anrührends­tes Lied „Wannst a Herz host wia a Bergwerk“, das er mit modernen Sounds neu interpreti­ert. Die Fans liegen sich in den Armen, da ist die Welt in Ordnung.

 ?? Foto: Siegfried Kerpf ?? Rainhard Fendrich hat auch nach über 40 Jahren als Liedermach­er noch ganz aktuelle Botschafte­n. Beim Konzert in der Schwabenha­lle sezierte er in seinen neuen Stücken aus dem Album „Starkregen“gesellscha­ftliche Wucherunge­n wie die Social-media-sucht.
Foto: Siegfried Kerpf Rainhard Fendrich hat auch nach über 40 Jahren als Liedermach­er noch ganz aktuelle Botschafte­n. Beim Konzert in der Schwabenha­lle sezierte er in seinen neuen Stücken aus dem Album „Starkregen“gesellscha­ftliche Wucherunge­n wie die Social-media-sucht.

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