Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Infektwelle rollt über Augsburg
Atemwegserkrankungen greifen in Augsburg um sich. Medikamente werden knapper, mehr Kinder als üblich erkranken schwerer. Woran das liegt und wozu Experten raten.
Nicht, dass die Lage in den vergangenen Monaten entspannt gewesen wäre. Schon länger spüren sie in der Kinderklinik am Uniklinikum Augsburg (UKA) die Auswirkungen des akuten Personal- und Fachkräftemangels überdeutlich, Kapazitätsengpässe sind wie in eigentlich allen Einrichtungen dieser Art keine Ausnahme. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind am Limit. Doch obendrauf bekommen sie momentan immer deutlicher eine Welle zu spüren, die unmittelbar nur wenig, insgesamt aber doch viel mit Corona zu tun hat: Atemwegserkrankungen greifen derzeit um sich.
Michael Gerstlauer ist Oberarzt für Kinderpulmologie und -allergologie an der Kinderklinik. Seine Worte lassen wenig Interpretationsspielraum: „In der stationären Versorgung kommen wir derzeit an die Grenzen dessen, was man Kindern, Familien und dem Personal zumuten möchte“, sagt er. Die Notfallversorgung könne man gewährleisten, darüber hinaus werde es „teils kritisch“: Patientinnen und Patienten müssten bisweilen in der Notaufnahme übernachten, auch schwer kranken Kindern könne man derzeit keinen Platz garantieren. Manche würden nach München verlegt, manche nach Möglichkeit von dort aufgenommen. Erst kürzlich seien in einer Nachtaktion mehrere Kinder aus der Landeshauptstadt nach Augsburg verlegt worden. „Sie litten unter akuter Atemnot und mussten sofort intensivmedizinisch betreut werden“, so Gerstlauer.
Ein Großteil der aktuellen Belastung ist nach seinen Angaben Atemwegserkrankungen geschuldet. „Wir haben bereits überraschend viele Influenza-fälle, aber auch RSV- und Rhinoviren-fälle. Coronaviren sind im Gesamtbild hier ,nur‘ noch eine Gruppe unter vielen.“Die Kinder seien „wirklich kritisch krank, da geht es in vielen Fällen um keine Lappalien: akute
Atemnot, schlechte Sauerstoffsättigung im Blut, manche drohen auch die Kraft zum Atmen zu verlieren“. In den vergangenen Monaten sei aber erfreulicherweise noch kein Kind an einem Atemwegsinfekt gestorben. Dass eine regelrechte „Infektwelle“über die Region schwappt, war nach Gerstlauers Einschätzung absehbar. Einerseits seien Atemwegserkrankungen immer ein saisonales „Geschäft“; vor allem aber seien die Wellen in den Pandemiephasen wegen Hygienemaßnahmen deutlich abgeflacht. „Jetzt holen viele Kinder die Infekte nach, die sie während Corona nicht hatten“, sagt Gerstlauer. Normalerweise setze sich das Immunsystem immer wieder mit Viren auseinander. „Jetzt aber haben wir zwei Generationen, die noch nie Infektwellen mitgemacht haben – dementsprechend trifft es in der Breite viel mehr Kinder und anteilig häufen sich auch schwerere Fälle.“Gleiches gelte im Prinzip auch für Erwachsene. Er gehe davon aus, dass die angespannte Situation mindestens bis zum Jahreswechsel anhalte.
Das große Kränkeln macht sich auch in Apotheken bemerkbar. „Es kommen deutlich mehr Menschen mit bekannten Symptomen: Halsschmerzen, Husten, leichtes Fieber“, sagt Ulrich Koczian, Inhaber der Linden-apotheke in Pfersee. Dies geht so weit, dass manche Medikamente knapp werden. Mehrere Apotheken melden etwa Engpässe bei einem beliebten Erkältungssirup für die Nacht, laut Koczian gehen mancherorts aber auch Antibiotika und „Klassiker“wie Ibuprofen oder Paracetamol in bestimmten Darreichungsformen und Stärken zur Neige. „Das ist zum Teil schon erschreckend“, so der Apotheker. Grund für die Mängel seien „Bedarfsschwankungen“. Wegen der Hygienemaßnahmen infolge der Pandemie seien lange weniger Menschen erkrankt, die Nachfrage nach entsprechenden Präparaten sei eingebrochen. Diese nun nachzuproduzieren, gehe „nicht einfach in zwei, drei Wochen“. Die Versorgung mit den wichtigsten Medikamenten bleibe aber gewährleistet, teils mische man sie auch selbst.
Immerhin: Schwere Verläufe sind bei den derzeit am häufigsten kursierenden Atemwegserkrankungen sehr selten. „In den allermeisten Fällen ist die Erkrankung nach ein bis zwei Wochen voll ausgeheilt“, sagt Markus Beck, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Augsburg. Er geht davon aus, dass die Spitze noch nicht erreicht ist, gerade Influenza lege meist erst nach Weihnachten „richtig los“. Er rate zu einer Impfung.
Wer spürbar von einer Atemwegserkrankung betroffen ist, sollte laut Beck auf „Corona-lehren“zurückgreifen: „Wenn möglich, mindestens drei, vier Tage daheim bleiben, nicht in die Arbeit gehen, viel Ruhe, schlafen und trinken.“Hygieneregeln – etwa Händewaschen – würden umso wichtiger, je nach Vorliebe könne man auch auf Wickel und Salbeitee oder bei stärkeren Symptomen auch auf Mittel wie Ibuprofen, Paracetamol oder Aspirin zurückgreifen. Zudem sei wichtig, regelmäßig zu lüften, um sich nicht in trockenen, überhitzten Räumen aufhalten zu müssen. Hielten die Beschwerden trotz allem auffällig lange an, sei ein Anruf beim Hausarzt ratsam.