Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Mia san mehr
Die Weltbevölkerung knackt die Acht-milliarden-grenze, und auch in Bayern leben immer mehr Menschen. Zwei Wissenschaftler erklären, welche Folgen das Wachstum für den Freistaat hat.
Augsburg Die Weltbevölkerung wächst und wächst. Am 15. November soll sie nach Berechnungen der Vereinten Nationen die Acht-milliarden-grenze überschreiten. Im Freistaat Bayern leben aktuell 13.331.119 Menschen. Wie sieht hier die Zukunft aus? Heißt es auch hier: Mia san mehr? Und welche Folgen hat das für die Menschen, die hier leben?
Prof. Bernhard Köppen forscht an der Universität Koblenz-landau unter anderem zu Bevölkerungsgeografie und ist seit 2020 Mitglied des Kuratoriums des Bundesinstituts für Bevölkerungswissenschaften in Wiesbaden. Er warnt zunächst: Die acht Milliarden weltweit und die Zahlen in Bayern seien „zwei relativ voneinander losgelöste Sachverhalte, weil Deutschland und Bayern zum globalen Bevölkerungswachstum keinerlei Beitrag leisten und die Migration aus den Staaten, in denen dieser Bevölkerungsanstieg generiert wird, nach Bayern zu vernachlässigen ist“. Wichtiger für die bayerische Demografie, also die Bevölkerungsentwicklung, sei, was lokal und in Europa geschieht.
In Bayern steigt die Bevölkerung trotz geringer Geburtenraten. Der Grund: Im Großraum München, beispielsweise auch in Augsburg, ziehen Menschen zu. Einmal aus anderen Teilen Deutschlands, einmal aus Eu-staaten. Und Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Das habe Folgen für den Arbeitsmarkt, und den Konsum. Aber auch teureres und knappes Bauland sei eine daraus resultierende Entwicklung. Verkehr und Infrastruktur seien von dem Wachstum ebenfalls betroffen.
Was das konkret bedeutet, kann Prof. Daniel Göler von der Universität Bamberg sagen. Der Geograf beschäftigt sich unter anderem mit ländlichen Gebieten und der Peripherie. Auch er betont: Die Menschen, die das Bevölkerungswachstum global ausmachten, werden nicht in Bayern, nicht in Europa, geboren – das seien also zwei Paar Stiefel, die sich auch nicht durch Migration, also die Abwanderung in ein anderes Land oder eine andere Gegend, berühren. „Die übergroße Mehrheit der Menschen, die in Subsahara-afrika und Asien geboren werden, bleibt in einem regionalen Kontext.“Generell, sagt er, werde die Bevölkerungszahl in Bayern zunächst aber steigen. Das Bayerische Landesamt für Statistik hat eine konkrete Zahl vorausberechnet. „2040 werden in Bayern rund 13,66 Mio. Menschen leben – gegenüber 2020 entspricht das einem Plus von 3,9 Prozent“, heißt es aus der Behörde. Sind eines Tages die Grenzen des Wachstums erreicht? „Ein Höchststand lässt sich nicht seriös vorhersagen“, sagt Göler. Das sei von zu vielen volatilen, also schwankenden Größen bestimmt, wie Binnen- und Außenmigration. Mittelfristig werde sich das Wachstum aber wohl eher abschwächen, glaubt er.
Er betont, dass man seriös maximal über zehn bis 20 Jahre in die Zukunft schauen könne und solche Projektionen schwierig seien: Zum Beispiel gingen Forscherinnen und Forscher vor 30 Jahren noch davon aus, dass heute bereits zwölf Milliarden Menschen die Erde bevölkern würden, sie rechneten nicht mit der rückläufigen Zahl an Geburten in Entwicklungsländern.
Dennoch versucht sich Göler an einer Einordnung: „In Deutschland wird Bayern eines der Bundesländer sein, die eher vergleichsweise stärkeres Bevölkerungswachstum aufweisen.“Vor allem im Großraum München-oberbayern. In der Peripherie des ländlichen Oberfrankens und Teilen des ländlichen Ostbayerns sei die Bevölkerung dagegen jetzt schon rückläufig, das werde sich auch in Zukunft fortsetzen. Eine Bewegung vom Norden Bayerns nach Süden sei immer noch zu beobachten, aber nicht mehr so stark wie früher, als Franken an der Grenze zur DDR lag.
Was bedeuten diese Entwicklungen für das Miteinander in Bayern? „Die Gesellschaft wird vor allem durch internationale Zuwanderung aus europäischen und außereuropäischen Ländern diverser, also vielfältiger bezüglich der Zusammensetzung nach Ethnien, aber auch Kulturen, Lebensformen und -stilen“, sagt Göler. Das alles sei gesellschaftlich letztlich verbunden „mit der Frage der Akzeptanz des Anderen. Bei manchen Politikern scheint das ein Problem. Große Konzerne wie Siemens sehen hier eher den Standortvorteil des kulturellen Kapitals“.
Durch den Zuzug werde es Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt geben, sagt Göler: „Die drängendste Frage ist: Wie kriegen wir die Leute unter?“Nicht nur in Städten wie München oder Augsburg, auch „in mittelgroßen Städten wie Bamberg gibt der Wohnungsmarkt jetzt schon nichts mehr her.“Man müsste mehr nachverdichten, also bereits bestehende Flächen, zum Beispiel von aufgegebener Industrie, umwandeln, vielleicht Gebäude aufstocken. Denn Bayern stehe beim Flächenverbrauch derzeit ganz oben. Wie sich die Bevölkerung verteilt, hänge auch stark von den Entscheidungen der Politik ab, sagt Göler: „Wird also in München weiter verdichtet oder werden Infrastrukturen in ländlichen Regionen vorgehalten?“
Den Trend, aufs Land zu ziehen, wie es vor dem Hintergrund der Corona-pandemie oft diskutiert wurde, sieht er daher differenziert: Das gelte nur für ausgewählte ländliche Räume. Die passende, etwa digitale, Infrastruktur wie Breitbandanschlüsse, müsse vorhanden sein, damit die Gleichwertigkeit von Stadt und Land hergestellt sei, und die Menschen Lust haben, dort zu wohnen. Kommentar
Die Gesellschaft wird durch Zuwanderung vielfältiger