Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Augsburger Leichtathlet will es zu den Paralympics nach Paris schaffen
Weil Teamsport für Andreas Walser aufgrund einer Augenerkrankung, die zur Erblindung führt, nicht mehr möglich ist, wechselt er in die Leichtathletik. Dort hat er so schnell Erfolg, dass er sich Großes vornimmt.
Nur optisch ragt Andreas Walser aus der Trainingsgruppe der Leichtathletikgemeinschaft Augsburg heraus. Mit einem Gardemaß von 1,97 Meter bringt der Athlet optimale Voraussetzungen für Höchstleistungen im Hoch- und Weitsprung mit und trainiert entsprechend hart an seiner Sprungkraft. Dabei ist nicht zu bemerken, dass das Sehvermögen des jungen Sportlers bis auf wenige Restprozent eingeschränkt ist. Retinitis pigmentosa nennt sich die schleichende, derzeit unheilbare Augenkrankheit, die irgendwann zu völliger Blindheit führt. Vor rund zehn Jahren erhielt der heute 26-Jährige die schockierende Diagnose, die sein Leben einschneidend verändert hat.
Früher war Andreas Walser ein begeisterter Mannschaftssportler, spielte Fußball in der Bezirksoberliga beim FC Königsbrunn, war im Handball und im American Football aktiv. Doch mit fortschreitender Erkrankung war Sport im Team für ihn nicht mehr möglich. „Als ich mit 16 den Führerschein gemacht habe, hatte ich auf dem linken Auge noch 80 Prozent Sehkraft und rechts 60 Prozent. Jetzt habe ich links noch zehn und rechts vier“, schildert Andreas Walser nüchtern die bestürzende Entwicklung. Die moderne Medizin hat derzeit keine Möglichkeit, diese genetisch bedingte Netzhauterkrankung, bei der Sehzellen nach und nach absterben, zu heilen oder auch nur aufzuhalten.
Doch Andreas Walser hat für sich einen Weg gefunden, mit dem fortschreitenden Verlust seiner Sehkraft umzugehen. „Ich mache mir nicht allzu viele Gedanken. Ich kann es eh nicht ändern“, sagt er, räumt aber auch ein, „natürlich gibt es Scheißmomente. Wenn man abends weggehen möchte, ist das schwierig. Autofahren darf ich auch nicht mehr.“
Trotzdem will der Lehramtsstudent für Mathe und Physik positiv bleiben, hat in der Leichtathletik ein Feld gefunden, in dem er als Parasportler große Möglichkeiten für sich sieht. Und sogar die Aussicht auf eine Teilnahme an den Paralympics 2024 in Paris, was sein absoluter Traum wäre. „Es geht eine Tür zu und eine andere dafür auf“, zeigt er sich unerschütterlich optimistisch.
Durch seine Mitgliedschaft beim TSV Schwaben, einem der Kooperationsvereine der LG Augsburg, kam Andreas Walser zur Leichtathletik. Im Trainingslager des TSV Schwaben, an dem auch die Vereinskollegin und Parasportlerin Luana Neburagho teilnahm, wurde der bayerische Kadertrainer Carlos Avila de Borba auf Walser aufmerksam. In den vergangenen Monaten bestritt das sportliche Multitalent dann seine ersten ernsthaften Leichtathletik-wettkämpfe – mit ungeahntem Erfolg.
Nahezu auf Anhieb schaffte er es, bei der nationalen Meisterschaft in Regensburg den deutschen Hochsprung-rekord auf 1,86 Meter zu steigern. Für diese Leistung wurde er in München vom Behinderten- und Rehabilitations-sportverband Bayern ausgezeichnet. „Die Saison ist dann schon sehr gut gelaufen“, war Walser mit seinen ersten Ergebnissen hochzufrieden. Seine Leidenschaft gehört zwar dem Zehnkampf, doch schnell kristallisierte sich sein besonderes Talent für die Sprint- und Sprungdisziplinen, insbesondere den Hochsprung, heraus.
Beim Hochsprung kann er allerdings nur noch sehen, wo er hinlaufen muss, und erkennt die Ständer und die Matte, die Höhe der Querlatte jedoch nicht. „Wenn vom Anlauf weg alles perfekt läuft, muss man die aber auch gar nicht sehen. Es ist immer die gleiche Bewegung“, sagt Walser. Bedauerlicherweise gehöre die Hochsprungdisziplin in seiner Sehbehinderten-kategorie aber nicht zum olympischen Programm. „Das ist schade, denn das wäre für mich die beste Möglichkeit, nach Paris zu fahren und etwas zu gewinnen.“
Die Paralympics peilt er dennoch an, wohl wissend, dass noch ein intensiver Weg vor ihm liegt, da schon kommendes Jahr die Qualifikationswettkämpfe dafür starten werden.
Dass seine Erwartungen nicht zu hoch gegriffen sind, haben die Ergebnisse in diesem Jahr gezeigt. Für die 100 Meter und den Weitsprung hat Andreas Walser bereits die Paranorm für den Kader geschafft, ob er wirklich aufgenommen wird, entscheidet sich in den kommenden Wochen. „Wenn ich wirklich drin bin, kann ich auf Kaderlehrgänge fahren und habe die Möglichkeit auf Sportförderungen und Training am Olympiastützpunkt in München“, betont Walser. „Das wäre der erste Meilenstein.“
Zudem strebt er im kommenden Jahr seine internationale Klassifizierung an, sodass er auch bei Grand Prix im Ausland starten darf. Dafür muss seine Sehbehinderung noch einmal vom Arzt bescheinigt werden, und er muss sich in einer Datenbank registrieren. „Wenn ich einmal international gestartet bin, bekomme ich meine internationale Klassifizierung, dann werde ich in der Weltrangliste geführt und kann mich für solche Wettkämpfe wie Weltmeisterschaften und Paralympics qualifizieren“, erklärt Walser das komplizierte Prozedere.
Technisch sieht er in seinen Disziplinen bei der Sprung- und Muskelkraft noch Verbesserungsbedarf und durchaus Luft nach oben. „Meine Landung beim Weitsprung beispielsweise ist kacke“, wählt er drastische Worte. Da könnte er locker noch 30 Zentimeter rausholen.
Lange Zeit daran zu feilen hat er nicht mehr, das weiß er. „Für mich geht gerade alles sehr schnell. Das Problem ist, dass Olympia schon übernächstes Jahr ansteht, das ist sehr kurzfristig. Aber ich hoffe, dass alles klappt“, bleibt Walser aber gewohnt zuversichtlich. In seinem Leben ist er es schließlich gewohnt, Hindernisse aus dem Weg zu räumen.