Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Bei den Genussmachern
Die Käsemacher aus Gunzesried, die spätberufene Hüttenwirtin, das Unternehmerpaar mit Hang zu Bienen: Eine Reise durch Bayern zu Seiteneinsteigern und Querköpfen, die sich etwas getraut haben.
Wenn die Bayern sich was in den Kopf gesetzt haben, ziehen sie es durch, ohne Angst vor Konsequenzen. Das weiß man auch Gunzesried, der ersten Station einer Reise durch das Genussland Bayern. 40 Milchbauern gründeten 1892 die Sennerei, die bis heute im Besitz der heimischen Bauern ist. In Gunzesried macht immer noch das ganze Dorf Käse, auch wenn die Zahl der Milchbauern auf zwölf geschrumpft ist. „Von draußen kommt nix rein, von drinnen geht nix raus“, macht Geschäftsführer Peter Haslach – drahtig, verschmitztes Lächeln im schmalen Gesicht – klar, was die älteste Sennerei Bayerns auszeichnet. Verarbeitet wird ausschließlich Milch aus dem Gunzesrieder Tal. Rund 1,3 Millionen Liter sind es im Jahr. Sie ergeben etwa 1.100 Käselaibe à 25 Kilo. „A guate Kuh hat bei uns so 40 Liter am Tag“, erklärt Peter Haslach. Haslach kennt die Milchlieferanten ebenso wie seine Kunden. Und die schätzen, dass der Käse aus der Sennerei ohne Silage oder Gentechnik auskommt.
Das heißt aber nicht, dass die Sennerei nicht mit der Zeit geht. Immerhin 18 Sorten Käse stellen die Senner hier her – mit Kräutern, mit Chili oder auch mit Rosenöl. Doch Haslachs Lieblingskäse bleibt der Bergkäse, am besten sechs Monate – mindestens aber vier – gereift. Vor allem die jungen Laibe brauchen viel Zuwendung und wollen täglich mit Salzwasser abgerieben werden. Die Arbeit übernimmt seit neustem ein Roboter-kollege ab. Auch sonst traut sich der 49-jährige Vater von neun Kindern was. Aus dem Abfallprodukt Molke etwa wird Methan erzeugt, womit die Sennerei nachhaltig geheizt werden kann. „Verrückt“müsse man schon sein, räumt Peter Haslach ein und lacht. Auch eine andere verrückte Idee ist seit fünf Jahren erfolgreich, das Sennkuche-eis. 16 Sorten Eis produziert die Sennerei, darunter auch ein Nagelfluh-eis, benannt nach der Gebirgskette über dem Tal und ihrem besonderen Felsgestein. Das Rezept: Nüsse, dreierlei Schokoladen und Cranberries.
Die Hündeleskopfhütte auf dem Edelsberg bei Pfronten ist die erste vegetarische Hütte der Alpen. Damit hat Silvia Beyer – mit Dirndl und dem Blondhaarknoten eine Bilderbuch-bayerin – weit über das Allgäu hinaus Schlagzeilen gemacht. Die Silli, wie sie alle hier nennen, hat einen Allgäuer Sturschädel. Nur so konnte sich die Hauswirtschaftsmeisterin und gelernte Moorführerin gegen 59 Bewerber und Bewerberinnen durchsetzen. 2015 hat sie die Hütte aufgesperrt, und selbst Wohlmeinende unkten: „Des geht den Bach nunter“. Aber es ging steil nach oben, auch wenn die Anfangszeit „scho wild“war.
50 Jahre war Silvia Beyer damals, und ihr Erfolg, sagt sie, könnte doch auch anderen Frauen Mut machen. „Wenn man einen Traum hat, ist es nie zu spät.“Heute sind sie und die Hündeleskopfhütte eine feste Größe in der bayerischen Genusslandschaft. Einen großen Anteil daran hat, das ist ihr wichtig, auch der Koch. Ali Hassan – schwarze Haare, schwarzer Bart – kommt aus Pakistan und bringt mit Gewürzen aus seiner Heimat ein Stück Exotik in die Allgäuer Hütte. „Er ist so eine Säule hier“, schwärmt die Wirtin. Denn Ali kann auch Kässpatz‘n. Und wenn die Silli zur Gitarre greift und für ihre Gäste jodelt, sitzt er manchmal still daneben und lächelt in sich hinein.
In der Oberen Mühle in Wertach haben zwei absolute Quereinsteiger Erfolg. Uschi und Holger Ahlborn bezeichnen sich scherzhaft als „Schreibtischtäter“. Das Unternehmerpaar hatte mit Landwirtschaft, Mühlen oder Imkerei nichts am Hut, ehe sich die beiden 2014 zum Kauf der Oberen Mühle entschlossen. Uschi, als Kind oft im nahen Immenstadt, wollte hier ihren Traum von eigenem Bienenhaus und Kräutergarten verwirklichen. Holger sah das Mühlenpotential und begeisterte sich sofort für die technische Herausforderung „Alte Mühle“.
Mit viel Neugierde und großem Ehrgeiz haben sie sich reingefuchst in die Materie. Und Holger Ahlborn, der seinen Doktor in Betriebswirtschaftslehre gemacht hat, kann inzwischen gekonnt über Permakultur, Vier-felder-wirtschaft und Solidarische Landwirtschaft, über Bienen und regenerative Energie referieren. Seit 2018 – nach mehr als fünf Jahrzehnten – dreht sich in der Oberen Mühle wieder ein Mühlrad – aus Metall und 7,5 Meter groß. 60.000 kw/h Strom erzeugt das Mühlrad im Jahr, ausreichend für 30 Vier-personen-haushalte. Wenn es nach den Ahlborns geht, soll ihre Mühle „ein bisschen Leuchtturm-charakter“haben.
Weiterfahrt ins Ries nach Nördlingen, wo Jockl Kaiser in seinem Restaurant Meyers Keller seit 2009 auf Sterne-niveau kocht. Und dazu braucht er Partner „auf der Suche nach Qualität“, sagt Kaiser, der seit 39 Jahren am Herd steht. „I bin jetzt locker im 40. Lehrjahr“, bekennt der 60-Jährige, „und lern‘ immer noch dazu“. Dabei unterstützen ihn Produzenten aus der Region wie der junge Biobauer Johannes Deuter, der so leidenschaftlich über Zwiebeln reden kann wie andere über ihre große Liebe. Auch Haferwurz kann er empfehlen, essbare Blüten. Oder der Landschaftspfleger Norbert Metz, der alte Obstsorten kultiviert wie die „Gräfin von Paris“, eine fast vergessene Birnenart. „Streuobst ist Kulturgut in der Landschaft“, ist Metz überzeugt. Der „Rote Eiser“, eine Apfelsorte, die schon im 15. Jahrhundert bekannt war, sieht auch wirklich zum Anbeißen aus. Das wunderbar fluffige Brot für die Gäste steuert Biobäcker Moritz Zeising von Carl‘s Hofbäckerei bei. Und weil dazu Jockl Kaisers Aufstriche so gut schmecken, muss man sich schwer zurückhalten, um sich nicht schon am Brot satt zu essen. Denn da kommt ja noch einiges nach. Zum Beispiel Reh.
Vater und Sohn Pollithy sind beide Schreiner und beide überzeugte Jäger. „Die Fleischqualität beginnt vor dem Schuss“, sagt Matthias Pollithy und dass sie „vom Ansitz aus schießen“, um das Wild nicht zu stressen. Während die Produzenten erzählen, schaut Gastgeber Kaiser zufrieden in die Runde. „Ist das nicht eine superschöne
„Streuobst ist ein Kulturgut in der Landschaft“
emotionale Branche“, fragt er, ohne eine Antwort zu erwarten. Und dann führt er seine Gäste noch dahin, woher das Restaurant den Namen hat – in den Keller. Noch bis in die Siebzigerjahre wurde hier Bier gebraut – Kaisers Mutter war Braumeisterin. Der Sohn hat aus dem Braukeller einen Schinkenhimmel gemacht. 30 Monate reift hier sein größter Stolz, ein besonders aromatischer Schinken vom Schwäbisch-hällischen Schwein. Der Rieser Culatello Riserva gilt selbst italienischen Feinschmeckern als Leckerbissen.
Kartoffeln werden gerne als banale Sättigungsbeilage abgetan. Komplett falsch, würden die zwei jungen Männer vom Casparplautz-stand auf dem Viktualienmarkt in München sagen. Die beiden Quereinsteiger haben etwas schier Unglaubliches auf die Beine gestellt. Dominik ist Soziologe, Theo Goldschmied. Nun preisen die beiden Mitdreißiger Kartoffeln an. So um die 30 Sorten sind es meist, Purple Rain aus Schrobenhausen, Heiderot aus der Lüneburger Heide, Bamberger Hörnchen ...
Aber vom Verkauf der Kartoffeln könnten die beiden Jung-unternehmer nicht leben. „Es kauft ja auch keiner mehr sackweise Kartoffeln“, sagt Dominik und lacht. Aber warum dann ein Kartoffelstand? „Weil hier immer schon Kartoffeln verkauft wurden“, erklärt Dominik. Auf dem Viktualienmarkt habe jeder Stand eine Zuweisung. Und als Theo und er sich vor gut fünf Jahren entschlossen, sich „im Gourmetbereich selbstständig zu machen“, war genau dieser Stand frei. Inzwischen haben sie sich Expertise angeeignet, man könne sie mittlerweile „Kartoffel-sommeliers“nennen, sind die beiden überzeugt.
Beim Mittagstisch im Caspar Plautz spielen Kartoffeln zwar eine wichtige Rolle, aber in einer harmonischen Vorstellung mit Gemüse, Fleisch oder Fisch. Kein Wunder, dass der Andrang hier so groß ist, dass kaum ein Plätzchen für den eigenen Teller zu finden ist. Kartoffeln als Erfolgsgeschichte – das muss man sich erst mal trauen. Aber vielleicht gedeihen ja auf bayerischem Boden solche Ideen ganz besonders gut.