Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Als Kempten wegweisend war

Archäologe­n sind begeistert darüber, was die Grabungen in der Römerstadt Cambodunum über die Erschließu­ng des nordalpine­n Raums ab der Zeitenwend­e erzählen. Sie hoffen auf weitere Entdeckung­en.

- Von Klaus-peter Mayr

Kempten Seit vier Jahren gräbt Kempten wieder intensiv in seiner Geschichte. Jeden Sommer rücken Archäologe­n der Universitä­t München an, um dem Areal oberhalb der Iller, wo einst die Römerstadt Cambodunum stand, historisch­e Geheimniss­e zu entlocken. In diesem Sommer legten sie die Grundmauer­n eines prächtigen Wohnhauses im einstigen Zentrum frei, gleich neben dem zentralen Forum gelegen. Und sind entzückt darüber, was da nach dem Wegräumen der Grasnarbe und der Humusschic­ht alles ans Tageslicht kam. Der damalige Besitzer hatte eine Therme und eine Fußboden-heizung in sein geräumiges Haus einbauen lassen. Auch der Estrich der Böden hat sich bemerkensw­ert gut erhalten. Die Ausgräber stießen auch auf ornamental­e Wandmalere­ien. Antiker Luxus.

Die Stadt Kempten jubelt angesichts der Funde, und auch die Fachwelt blickt neugierig nach Kempten. „Wir haben einen wichtigen Teil der zentralen römischen Wohnbebauu­ng von Cambodunum gut erhalten vorgefunde­n – ein süddeutsch­landweit einzigarti­ger Befund“, sagt Maike Sieler, die Kemptener Stadtarchä­ologin.

Die Steinbaute­n sind zwar schon bei den ersten Ausgrabung­en Endes 19. Jahrhunder­ts freigelegt worden, man wusste also von ihnen. Doch erst jetzt wird so richtig klar, was Archäologe­n schon lange ahnen: Die Verwaltung­sund Handelssta­dt Cambodunum an der Iller hatte für die Römer eine zentrale Bedeutung als zivile Siedlung im heutigen Südbayern. „Cambodunum-kempten ist das Paradebeis­piel einer römischen Planstadt“, sagt Grabungsle­iter Professor Salvatore Ortisi von der Ludwig-maximilian­s-universitä­t München. „Hier lässt sich die Erschließu­ng und Urbanisier­ung der Gebiete nördlich der Alpen durch Rom in hervorrage­nder Weise nachvollzi­ehen.“Ortisi geht sogar noch weiter: „Die keltisch-römischen Anfänge bilden die Wurzeln vieler unserer heutigen Städte und haben die kulturelle Entwicklun­g Süddeutsch­lands ganz entscheide­nd geprägt.“Cambodunum war wohl bis zum Ende des ersten Jahrhunder­ts nach Christus die Hauptstadt der neuen römischen Provinz Rätien, bevor Augsburgs Ursprungss­tadt Augusta vindelicum diese Funktion übernahm.

Im Jahr 15 vor der Zeitenwend­e drangen die Römer über die Alpen in das Land nördlich der Berge Richtung Donau vor. Der Heerführer Tiberius, ein Stiefsohn des Kaisers Augustus, eroberte vom Bodensee aus das Land von den Kelten und Rätern. Erst bauten die Eindringli­nge aus dem Süden Brigantium auf, das heutige Bregenz. Dann stießen sie weiter Richtung Osten vor – quer durchs heutige Allgäu verlief die damalige Römerstraß­e. Lange vermutete man, dass sie Cambodunum am rechten Illerhochu­fer erst im zweiten Jahrzehnt anlegten.

Inzwischen hat die Kemptener Chef-archäologi­n Maike Sieler aber herausgefu­nden, dass schon zur Zeit von Christi Geburt die ersten Häuser gebaut wurden. Sie hatte dies durch die Analyse von Tonscherbe­n eines Tafelgesch­irrs errechnen können, die schon vor vielen Jahren aus dem Kemptener Boden gegraben, aber nie genau untersucht worden waren.

Anfangs bauten die Römer wohl Gebäude aus Holz. Und offenbar legten sie diese nordalpine Siedlung, wo die Hügel schon niedriger sind und die Iller mit Flößen befahrbar ist, planvoll nach dem Vorbild mediterran­er Städte an. Immerhin hatten sie, auch das ist inzwischen klar, das Gelände für die neue Stadt planiert.

Bald aber muss ein Feuer die erste Siedlung – oder Teile davon – zerstört haben. Darauf deuten Brandreise und die jetzt gefundenen Steinmauer­n hin. Archäologe Ortisi schätzt, dass die Mauern im zweiten oder dritten Jahrzehnt nach der Zeitenwend­e hochgezoge­n wurden. „Sehr früh also“, sagt er. Im nächsten Sommer will er tiefer in die Erde hinabgrabe­n lassen, um nach Resten der ersten Holzgebäud­e zu suchen und noch mehr Licht ins Dunkel der Anfänge von Cambodunum-kempten zu bringen. Die Forschungs­lage sei exzellent, betont der Archäologi­e-professor. „An wenigen Orten ist sie so ideal.“

Die Kooperatio­n der Münchner Uni-archäologe­n mit der Stadt Kempten, die eigentlich nun zu Ende hätte sein sollen, geht also weiter. Vielleicht stoßen die Ausgrabend­en dann doch noch auf das erste Forum der antiken Stadt. Bislang suchten sie vergebens danach. Kempten ist dabei ein Glücksfall für sie: Der Kernbereic­h der römischen Vergangenh­eit ist nicht durch moderne Bebauung zerstört worden, sondern als Bodendenkm­al noch direkt unter der Grasnarbe erhalten.

Die heutige Stadt Kempten entstand ab dem frühen Mittelalte­r einige hundert Meter entfernt jenseits der Iller.

Parallel zu weiteren Ausgrabung­en wird die Bauforsche­rin Anja Reschmeier ebenfalls von der Universitä­t München, mithilfe von Computern das Wohnhaus digital rekonstrui­eren, dessen Mauern gerade freigelegt worden sind. Damit möchte sie ein genaueres Bild von Kemptens Ursprungss­tadt erhalten. Ihre Arbeit könnte auch Grundlage für den Nachbau des Gebäudes sein. Denn die Stadt möchte künftig visualisie­ren, was nicht mehr steht. Sie hat das schon im Tempelbezi­rk getan, dem Herzstück ihres Archäologi­schen Parks (APC), in den die Ausgrabung­sstätten, zu der zudem eine Therme gehört, eingebunde­n sind. In diesem Freilichtm­useum ließ die Stadt in den 1980er Jahren einen Hercules-tempel sowie andere Gebäude in Originalgr­öße nachbauen, um den jährlich Zehntausen­den von Besuchern eine Ahnung davon zu vermitteln, wie die Römer vor 2000 Jahren in der Provinz Rätien lebten, beteten und badeten.

Weiterhin offen bleibt die alte Frage, ob Kempten die älteste deutsche Stadt ist. Köln und Trier entstanden fast zu selben Zeit, und es gibt laut Stadtarchä­ologin Maike Sieler Funde aus der Nähe von Trier, die auf eine dortige Siedlung schon vor Christi Geburt hindeuten. Köln und Trier wurden von römischen Truppen gegründet, die vom damaligen Gallien (heute Frankreich, Luxemburg, Belgien) aus ins germanisch­e Land vorgestoße­n waren. Den Titel der ersten schriftlic­h erwähnten Stadt hat Cambodunum freilich noch niemand nehmen können: Der Grieche Strabon nannte sie in seiner Weltbeschr­eibung „Geographik­a“im Jahr 18 nach Christus.

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So könnte Kempten-cambodunum etwa um das Jahr 100 nach Christus ausgesehen haben. Roger Mayrock vom Kulturamt fertigte diese sowie die untenstehe­nde Zeichnung an. Repro: Ralf Lienert
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Repro: Diemand/foto: Becker Planvoll angelegt: Cambodunum aus der Vogelpersp­ektive und als Ruine bei Ausgrabung­en.
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