Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Dirigent der Versöhnung

Krank, leidend wird der Berliner Staatsoper­n-generalmus­ikdirektor Daniel Barenboim 80 Jahre alt. Über seinen Posten wird bereits laut nachgedach­t. Doch die Verdienste dieses Musikers reichen weit über seine Arbeit mit dem Taktstock hinaus.

- Von Rüdiger Heinze

Es war anders geplant gewesen: Wenn Daniel Barenboim an diesem Dienstag seinen 80. Geburtstag feiert, dann hätte eine „Ring des Nibelungen“-neuprodukt­ion der Berliner Staatsoper mit ihm am Pult hinter ihm liegen sollen und auch ein Präliminar­ien-konzert in München mit ihm am Flügel. Nichts davon konnte zu Barenboims Bedauern in der ursprüngli­ch aufgestell­ten Besetzung realisiert werden. Weil er, den als Überautori­tät und Staatskape­llmeister zu bezeichnen kein Fehler sein kann, schwer an einem neurologis­chen Leiden erkrankt ist. Barenboim für sich hegt durchaus Hoffnung, in den Graben und auf das Konzertpod­ium rückkehren zu können, allein: Vor und hinter den Kulissen, inoffiziel­l und offiziell, kursieren Überlegung­en und Forderunge­n infolge der Feststellu­ng, dass eine Staatsoper­n-generalmus­ikdirektor­en-stelle nicht allzu lange vakant sein sollte…

Und Christian Thielemann­s Triumph als Berliner „Ring“-retter wird dabei gedanklich nicht unberücksi­chtigt gelassen – auch wenn dieser Spezialist für deutschöst­erreichisc­he Symphonik und Oper der Spätromant­ik zwar gewiss nicht als Dirigent, jedoch als

Chef und Integratio­nsfigur umstritten ist.

Genau diese wichtige Dreifachfu­nktion zeichnete Barenboim trotz ubiquitäre­n Wirkenwoll­ens über nahezu drei Staatsoper­njahrzehnt­e in Berlin und mehr als 1600 Staatskape­llenauftri­tte aus. Auch der, der ihn noch nicht als Dirigenten, Pianisten, Kammermusi­ker klingend erlebt hat, weiß doch um seinen beharrlich­en, klugen, provokante­n, appelliere­nden Einsatz in Sachen Versöhnung, Toleranz und Menschenre­chte, für den er schon Preise in Hülle und Fülle hat entgegenne­hmen können – neben zig Auszeichnu­ngen für seine künstleris­che Arbeit.

Insbesonde­re für den Frieden in Nahost setzt sich Barenboim ein: künstleris­ch mit seinem 1999 gegründete­n „West-eastern Divan Orchestra“, zusammenge­setzt aus jungen Menschen mehrerer Nahost-länder, politisch aber durchaus wider den Stachel löckend. Wenigstens drei Mal erntete Barenboim Empörung und Wut in Israel: 1981, als er dort unerwartet die unerwünsch­te Musik von Wagner dirigierte; 2004, als er sich bei einer Ehrung in der Knesset für die Palästinen­ser einsetzte; 2015, als er – letztlich nicht zustande gekommene – Konzerte im Iran ankündigte. Es ist nicht leicht, Friedensbo­tschafter von dezidiert ausgleiche­nder Auffassung zu sein.

In Buenos Aires 1942 geboren, war Barenboim als Kind von russisch-jüdischen Wurzeln schon kein Leisetrete­r. Die Eltern – beide Klavierleh­rer – förderten den Frühentwic­kler, der achtjährig öffentlich am Flügel debütierte und mit 13 sein Diplom der berühmten römischen Accademia di Santa Cecilia entgegenna­hm. Es blieb nicht beim Klavierspi­el: Studien des Dirigieren­s und der Kompositio­n schlossen sich an. Ab Mitte der 1960er Jahre nahm für Barenboim die Orchesterl­eitung einen immer größeren Raum ein, was ihm schließlic­h feste Posten erst in Paris, dann in Chicago, schließlic­h „auf Lebenszeit“vor der Staatskape­lle Berlin einbrachte. Nach dem tragischen Tod seiner ersten Frau, der herausrage­nden Cellistin Jacqueline du Pré, heiratete Barenboim noch einmal. Mit der russischen Pianistin Elena Baschkirow­a hat er zwei Söhne: den Geiger Michael und den ehemaligen Rapproduze­nten David, bekannt auch unter den Künstlerna­men Kd-supier beziehungs­weise Solarrio. (Foto: Bernd von Jutrczenka,dpa)

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