Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Weibliche Stimmen aus dem Kriegsgebiet
Neue Musik von vier ukrainischen Komponistinnen im Man-museum – dirigiert von Anna Malek, der neuen Kapellmeisterin der Augsburger Philharmoniker.
„Der Krieg zwang uns zur Verständigung.“Ein nüchterner Satz – abermals glasklar formuliert von Tetyana Hoggan-kloubert, jener Vorsitzenden des Vereins Deutschukrainischer Dialog in Augsburg, die, nach dem Benefizkonzert der Philharmoniker Anfang des Jahres, nun auch dankbar das erste Konzert der Reihe „Zukunft(s)musik“im Man-museum begrüßte. Weil sich darin nämlich die Stimmen von vier ukrainischen Komponistinnen des 20. und 21. Jahrhunderts erheben sollten, weil auch Hoggan-kloubert angesichts des von ihr konstatierten russischen Imperialismus einen „kulturellen Genozid“in der Ukraine befürchtet. Und so saß man denn in der großen Halle voller Maschinen und horchte, spürte hier unerhörten Klängen nach, die, nüchtern und arg und analytisch betrachtet wohl, nicht in Augsburg ertönen würden, wenn kein Krieg in der Ukraine wäre … – so wenig ertönen würden wie gebündelt Neue Musik aus, sagen wir mal, Chile, Albanien, Neuseeland. Die Situation war bei allem guten, bei allem besten Willen monströs: Erweiterung des musikalischen Horizonts am Lech infolge tödlicher Kämpfe am Dnjepr.
Speziell dort geht auch der Sinn des Volkstrauertags, wie er hier am Sonntag begangen wurde, in die nächste Runde. Der stille Feiertag bestimmte das Programm mit: Christine Faist, Konzertdramaturgin am Theater Augsburg, die auch knapp in die annoncierten Werke einführte, hatte Kompositionen in kleiner bis erweiterter Kammerbesetzung ausgewählt, denen allesamt etwas Spirituelles innewohnt, die nicht die große Wirkung durch große Gesten, Lautstärke, Applaus heischende Virtuosität suchen, sondern nachdenklich, tastend, kontemplativ sich äußern.
Hanna Hawrylez (1958 – 2022) war dabei nicht nur die älteste der vorgestellten Komponistinnen, sondern auch die der Tonalität und der traditionellen ukrainischen Musikkultur Nächststehende. Von ihr erklang – in memoriam – der eindrückliche Streicher-klagegesang „Chorale“sowie abschließend „The Anthem“mit erkennbar funktionaler Wirkung, bedingt durch einerseits sakrale, andererseits hymnenartige, filmmusikalische Passagen.
Auch in „Wings of East Wind“von Julia Gomelskayas (1964 – 2016), eine beseelte, geradezu zärtlich endende Komposition, scheinen noch Elemente tradierter volksnaher (armenischer) Musik auf, während „Spraying“von Anna Arkzushyna (*1989) zumindest im ersten Teil eine scheinbar unberechenbare Kumulierung schwirrender, aufblitzender, verglühender Klangpartikel verlangt und Anna Korsun (*1986) sich – auch in der Notation – am weitesten vom präzis vorherbestimmten Tonereignis löst. Ihr „Marevo“ist eine Glissando-landschaft sirenenhafter Ereignisse, zu denen die Instrumentalisten (Streicher, Synthesizer, zwei singende Sägen) auch zu summen haben. Einen Spiegelraum stellte sich Anna Korsun beim Komponieren vor. Was im Man-museum unter der sorgfältigen Leitung der neuen zweiten Kapellmeisterin Anna Malek und durch die konzentriert-ernsthaft agierenden Philharmoniker erklang, dies war eine Sound-echokammer. Ganz fabelhaft.