Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Acht Milliarden Menschen: Sind wir zu viele auf der Erde?

Leitartike­l An diesem Dienstag soll eine neue Grenze im Bevölkerun­gswachstum überschrit­ten werden. Das Datum ist Grund zum Feiern und Anlass zur Sorge zugleich.

- Von Margit Hufnagel

Womöglich hat er schon vor einigen Tagen seinen ersten Schrei gemacht, vielleicht kommt er auch erst nächste Woche auf die Welt. Doch sollten die Statistike­r recht haben, dann wird genau an diesem 15. November der achtmillia­rdste Mensch geboren. Es ist eine bemerkensw­erte Zahl. Denn sie ist ein markantes Symbol für viele Probleme, die sich die Menschheit selbst geschaffen hat. Zugleich aber ist sie auch ein Symbol der Hoffnung.

Noch nie zuvor in der Geschichte ist die Bevölkerun­g in einem derart atemberaub­enden Tempo gewachsen. Zum Vergleich: Im Jahr 1927 lebten gerade einmal zwei Milliarden Menschen auf der Welt. Mit jedem neuen Erdenbürge­r wird der Kampf um die Ressourcen, die der Planet zu bieten hat, heftiger geführt. Vor allem Afrika ist ein Wachstumst­reiber – also jener Kontinent, dessen Bewohner ohnehin schon kaum genug zum Überleben haben. Städte breiten sich aus, sie rauben der Natur ihren Raum. Menschen benötigen Energie, sie wollen konsumiere­n, sie essen Fleisch und fahren

Auto. Wer um sein tägliches Überleben ringen muss, macht sich auf die Flucht. Bekommt die Welt diese Dynamik nicht in den Griff, wird es eng auf ihr.

Und doch ist es eben so, dass diese Zahlen auch vom Fortschrit­t künden. Denn sie sind ein Beleg dafür, wie viel sich in den vergangene­n Jahren getan hat. Die Kinderster­blichkeit ist massiv gesunken, die Lebenserwa­rtung der Menschen deutlich gestiegen. Zu verdanken ist das unter anderem der verbessert­en medizinisc­hen Versorgung. Was in Europa für selbstvers­tändlich gehalten wird, ist in vielen Entwicklun­gsländern ein echter Meilenstei­n. Auch das darf man nicht ignorieren, wenn man auf diese gigantisch­e Zahl von acht Milliarden blickt.

Ohnehin ist das westliche Raunen mitunter heuchleris­ch. Ja, Afrika wächst zu schnell und verharrt auch aus diesem Grund in bitterster Armut. Doch Tatsache ist eben genauso: Wer das Thema Bevölkerun­gswachstum und Umweltschu­tz zusammenbr­ingt, muss wissen, dass es die westlichen Gesellscha­ften sind, die den größten ökologisch­en Fußabdruck hinterlass­en. Experten haben ausgerechn­et, dass Deutschlan­d so viele Ressourcen verbraucht, dass es eigentlich drei Erden bräuchte. Müssten die Mittel an alle gleich verteilt werden, stünden wir jedes Jahr schon Anfang Mai mit leeren Taschen da.

Es wird dennoch im eigenen Interesse der afrikanisc­hen Länder sein, die Bevölkerun­gsexplosio­n zu verlangsam­en. Eine Lehre, die mit Blick in die Vergangenh­eit gezogen werden kann: Überall dort, wo weniger Kinder mehr Wohlstand bedeuten, nimmt die Geburtenqu­ote ab. In Afrika hoffen viele Familien immer noch, dass der Nachwuchs es ist, der sie im Alter stützt. Das Versagen des nicht selten korrupten Staates, der es nicht schafft, für seine Bürgerinne­n und Bürger zu sorgen, trägt damit zum Bevölkerun­gswachstum auf ungute Weise bei. Entscheide­nd wird es sein, Mädchen Zugang zur Bildung zu verschaffe­n, verkrustet­e patriarcha­le Gesellscha­ftsstruktu­ren aufzubrech­en, nach denen es ein Ausweis von Männlichke­it ist, viele Kinder zu zeugen und mit Entwicklun­gsgeldern Einfluss zu nehmen auf gute Staatsführ­ung.

Leider aber ist gerade dieser so dringend nötige Fortschrit­t in Gefahr. Seit Beginn der Pandemie wurden als sicher geglaubte Fortschrit­te in der Armutsbekä­mpfung innerhalb kürzester Zeit zunichtege­macht. Keine guten Nachrichte­n für unsere Erde.

Kinderster­blichkeit ist massiv gesunken

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