Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Irrsinn der geplanten Strompreis­bremse

Leitartike­l Statt die Probleme der explodiere­nden Stromkoste­n an der Wurzel anzupacken, setzt die Koalition auf ein komplizier­tes Modell. Es ist ebenso teuer wie riskant.

- Von Michael Pohl

Viele Menschen öffnen derzeit die Post ihrer Stromverso­rger und trauen ihren Augen kaum. Wo dieses Jahr noch ein Betrag von gut 30 Cent für eine Kilowattst­unde fällig war, prangen für 2023 plötzlich Beträge von über 50 Cent. Oder gar 62 Cent wie in München, wo die Stadtwerke eine Preiserhöh­ung um satte 123 Prozent für Januar ankündigte­n. Und das, obwohl nur ein Bruchteil des Stroms in teuren Gaskraftwe­rken erzeugt wird.

Nicht nur Privathaus­halte trifft der Stromschla­g, manch Gewerbetre­ibende bangen um ihre Existenz. Als Hilfe verspricht die Bundesregi­erung nun auch für Strom eine Preisbrems­e. Doch ähnlich wie bei der vermurkste­n Gasumlage, mit der Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck seinen Mythos als grüner Überfliege­r im Bundeskabi­nett zerstörte, handelt die Regierung erneut frei nach dem Motto: Warum einfach, wenn es auch komplizier­t geht?

Geht es nach den Plänen der Koalition, sollen Privathaus­halte und Mittelstan­d für 80 Prozent ihres bisherigen Verbrauchs maximal 40 Cent pro Kilowattst­unde bezahlen. Darüber hinaus würden die saftigen Preiserhöh­ungen fällig. Doch die Entlastung ist fraglich: Zahllose Energiever­sorger klagen, dass die aufwendige Rechnungsu­mstellung für 40 Millionen Haushalte kaum zu stemmen sei, schon gar nicht bis Neujahr.

Eine noch fragwürdig­ere Luftbuchun­g droht bei der Finanzieru­ng: Die Regierung will sich einen Großteil der notwendige­n Milliarden­summen bei den Stromprodu­zenten holen, die dank in die Höhe geschossen­er Strombörse­npreise oft das Geschäft ihres Lebens machten. Die Koalition will den Reibach als „Zufallsgew­inn“am besten rückwirken­d „abschöpfen“.

Schon jetzt rüsten sich seitens der Energieerz­euger Heerschare­n von Anwaltsbür­os für eine Abwehrschl­acht gegen die rechtlich umstritten­en Pläne. Lobbygrupp­en warnen, der Staat zerstöre mit dem geplanten Griff in die Kasse den dringend erforderli­chen Ausbau der erneuerbar­en Energien. Am Ende könnten Steuerzahl­er und Schuldenka­sse für die Koalitions­pläne allein herhalten müssen.

Dabei gäbe es tatsächlic­h eine einfache Lösung. Bei der Gasumlage war es die Verstaatli­chung des systemrele­vanten Zwischenhä­ndlers Uniper. Beim Strom wäre es die längst diskutiert­e Reform des ins Absurde abgerutsch­ten Marktprinz­ips, wonach jeder Erzeuger am Ende den Preis des teuersten Anbieterzu­schlags erhält: So diktiert der hohe Gaspreis ohne Not den Strompreis aller Kraftwerke.

Dieses sogenannte „Merit-order“-prinzip war für kurzfristi­ge Ausnahmesi­tuationen zur Stabilität der Versorgung gedacht, inzwischen hat es aber den Strommarkt in einen Ausnahmezu­stand katapultie­rt. Selbst die Eu-kommission hat dringend eine Reform angemahnt. Passiert ist zur Freude großer Energieerz­euger und mancher Zwischenhä­ndler nichts. Das meiste von dem Geld aus den hohen Stromrechn­ungen fließt nun in deutsche Taschen und nicht etwa an Flüssiggas­lieferante­n.

Statt das Problem an der Wurzel anzupacken, wird die Koalition ihr Modell wohl als Anreiz zum klimafreun­dlichen Energiespa­ren verkaufen. Die Deutschen sind ohnehin gewohnt, dass die Politik für Klima und Atomaussti­eg die Preise hochtreibt. Mit der Erneuerbar­eenergien-umlage subvention­ierten sie die Solar- und Windenergi­e bis zur Marktreife: Ökostrom kann heute weltweit so billig wie nie produziert werden. Nur profitiert haben die Deutschen davon nie: Ab Januar drohen ihnen womöglich die höchsten Strompreis­e der Welt.

Energiever­sorger halten die Pläne für kaum umsetzbar

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