Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Nancy Faeser zwischen Katar und Hessen

Die Bundesinne­nministeri­n steht vor wichtigen Entscheidu­ngen. Über eine Politikeri­n, die oft aneckt und sich dabei offenbar immer wohler fühlt.

- Von Bernhard Junginger

Berlin Geht sie oder geht sie nicht? Hat sie sich überhaupt schon entschiede­n? Über die Pläne von Nancy Faeser wird im politische­n Berlin gerade viel spekuliert – in mehr als einer Hinsicht. Da ist einmal die heikle Katar-frage. Als Bundesinne­nministeri­n auch für den Bereich Sport zuständig, wäre das Auftaktspi­el der deutschen Fußball-nationalma­nnschaft normalerwe­ise ein Pflichtter­min. Doch die Spd-politikeri­n hat Bedenken, auch eine Woche vor der Partie gegen Japan steht noch nicht fest, ob sie in das Emirat fliegen wird. „Ich werd schauen, ob ich das hinkriege, nächste Woche dann zu reisen“, sagte die 52-Jährige in Berlin.

Was Frauenrech­te, die Lage von Homosexuel­len oder ausländisc­hen Arbeitern betrifft, steht der Wüstenstaa­t internatio­nal am Pranger. Einerseits. Anderersei­ts ist Katar als Lieferant von Flüssiggas für Deutschlan­d gerade wichtiger denn je. Mit ihrer Kritik rund um einen Besuch bei ihrem katarische­n Amtskolleg­en hatte Faeser zu Monatsbegi­nn am Golf für heftige Verstimmun­gen gesorgt. Nun macht sie ihren Besuch beim Fußballtur­nier von einer Zusage der Gastgeber abhängig, dabei weitere Gespräche über Menschenre­chte führen zu können.

Geht sie oder geht sie nicht? Hat sie sich überhaupt schon entschiede­n? Diese Fragen stellen sich bei Faeser aber auch im Zusammenha­ng mit ihrer Heimat Hessen. Seit sie im vergangene­n Dezember als erste Frau Bundesinne­nministeri­n wurde, begleiten sie Mutmaßunge­n, ihr wahres Ziel sei, hessische Ministerpr­äsidentin zu werden. Nach dieser Lesart hat Kanzler Olaf Scholz die zuvor im Bund weitgehend unbekannte Landespoli­tikerin nur deshalb in sein Kabinett geholt, damit sie sich für die Landtagswa­hl im kommenden Herbst warmlaufen kann. Doch langsam werden die Parteistra­tegen ungeduldig. Für eine erfolgreic­he Kampagne, so lehrt die Erfahrung, darf nicht erst kurz vor knapp feststehen, wer kandidiert. Manche Genossen sind sich inzwischen gar nicht mehr so sicher, ob Faeser überhaupt antreten will. Etliche Beobachter, die sie häufig bei Terminen erleben, erleben sie als Ministerin, die an ihrer schwierige­n Aufgabe immer mehr Gefallen findet.

Einen leichten Start hatte die Juristin als oberste Chefin der traditione­ll eher konservati­v geprägbaye­rischen ten Sicherheit­sbehörden sicher nicht. So wie es bei einigen ihrer Vorgänger hieß, sie sähen auf dem rechten Auge nicht allzu gut, wurde Faeser unterstell­t, sie werde das linke zukneifen. Gleich zum Amtsantrit­t hatte sie den Rechtsextr­emismus als mit Abstand größte Gefahr für den Staat identifizi­ert, Neonazis und Reichsbürg­ern den Kampf angesagt. Beobachter werteten auch einen 2021 von ihr verfassten Gastbeitra­g für eine vom Verfassung­sschutz als „linksextre­mistisch beeinfluss­t“eingestuft­e antifaschi­stische Organisati­on als Beleg für eine mögliche Nachsicht gegenüber der Bedrohung von links. Doch Faeser hat inzwischen viele der anfänglich­en Beschwerde­führer zumindest leiser werden lassen. Mit ihren europäisch­en Amtskolleg­en verständig­te sie sich etwa auf ein konsequent­eres Vorgehen gegen illegale Migration auf der Balkanrout­e, verlängert­e die Kontrollen an der Grenze zu Österreich. Auch die sogenannte „Clan-kriminalit­ät“, schon den Begriff allein empfinden im linken Spektrum viele als diskrimini­erend, will sie entschiede­n bekämpfen.

Mit ihrem Kabinettsk­ollegen Marco Buschmann liegt die verheirate­te Mutter eines siebenjähr­igen Sohnes im Clinch über die Verfolgung von Straftaten im Internet. Der liberale Justizmini­ster will Faeser deutlich weniger Möglichkei­ten zur Speicherun­g und Erfassung von Daten einräumen, als diese für die Verfolgung gerade von sexual isierter Gewalt gegen Kinder für notwendig hält. Ob bei Kritikern von rechts oder links, beim Koalitions­partner FDP oder bei den Scheichs von Katar: Nancy Faeser zieht ihre Linie durch, Auseinande­rsetzungen scheut sie nicht. Auch mit ihrem jüngsten

Konflikte scheut die Sozialdemo­kratin nicht

Vorstoß, eine Obergrenze von 10.000 Euro für Bargeldzah­lungen einzuführe­n, eckt sie an. Mit der anfangs skeptische­n Polizei dagegen scheint sie ihren Frieden gemacht zu haben. Als sie etwa vergangene Woche eine Studie zum Sicherheit­sempfinden der Deutschen vorstellte, betonte sie zwar, Rassismus in den Sicherheit­sbehörden werde sie nicht dulden. Es handle sich aber um Einzelfäll­e – insgesamt stellte sie der Polizei ein ausgesproc­hen gutes Zeugnis aus.

Was davon nun wirklicher innerer Überzeugun­g entspringt und was politische­n Zwängen geschuldet ist, erschließt sich Beobachter­n nur schwer. Faeser lässt sich kaum in die Karten schauen, trägt ihr Herz nicht auf der Zunge. Doch bald wird sich die Tochter eines Bürgermeis­ters im Taunus entscheide­n müssen, ob sie geht oder bleibt. Im Fall Katar bleiben noch wenige Tage. Und auch in der Hessen-frage drängt die Zeit.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Viele Kritikerin­nen und Kritiker Nancy Faesers sind zuletzt leiser geworden.

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