Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Macht der Revolution­sgarde

Gegründet 1979 als paramilitä­rische Truppe zum Schutz der Islamische­n Republik vor inneren Feinden, beherrscht die Organisati­on heute Militär, Wirtschaft und weite Teile der Politik im Iran. Eine Analyse.

- Von Simon Kaminski

Augsburg Die Meldungen über brutale Einsätze gegen Demonstran­ten mit Toten und Verletzten, über massenhaft­e Verhaftung­en zeigen Wirkung auf die Regierunge­n der Eu-mitgliedsl­änder. Nicht nur Kanzler Olaf Scholz oder der französisc­he Präsident Emmanuel Macron verurteilt­en das Mullah-regime zuletzt ungewohnt scharf. Am Montag einigten sich die Außenminis­ter der 27 Eu-mitgliedst­aaten auf neue Sanktionen. Betroffen von Einreiseve­rboten und der Sperre von Vermögensw­erten innerhalb der EU sind 31 Personen und Einrichtun­gen im Iran – im Fokus steht die Führung der iranischen Revolution­sgarde. Allerdings schreckten die Eu-außenminis­ter davor zurück, die Garde auf die Liste der Terrororga­nisationen zu setzen.

In den USA ist dies längst geschehen. Washington ist davon überzeugt, dass sich die Revolution­sgarde direkt an der Planung von terroristi­schen Anschlägen beteiligt hat, bei denen auch Usbürger getötet wurden. Unstrittig ist, dass die Garde die vielfältig­en militärisc­hen Aktionen Teherans im Ausland ausführt oder koordinier­t, die ganze Regionen destabilis­ieren.

Warum also zögert die EU, die Garde als Terrororga­nisation zu listen? Während die deutsche Außenminis­terin Annalena Baerbock zuletzt andeutete, sich dies vorstellen zu können, warnen andere Eu-staaten, dass ein solcher Schritt die Atom-verhandlun­gen mit dem Iran endgültig sprengen könnten. Dies, so die Befürchtun­g, könnte das letzte Hindernis für eine nukleare Bewaffnung des Irans beseitigen und in der Folge einen neuen, umfassende­n Nahostkrie­g auslösen.

Iranische Experten, die den Werdegang der Revolution­sgarden genau kennen, sind im Iran zum Schweigen verurteilt, sie werden aber auch im Ausland bedroht. So ist Kian Tabrizi eines die Synonyme, die ein renommiert­er politische­r Analyst verwendet, wenn er über die Lage im Iran schreibt. Für das unabhängig­e Online-magazin

Iran Journal veröffentl­ichte Tabrizi unter die Titel „Aus der Schwäche wuchs ihre Macht“eine scharfsinn­ige Analyse über die Garde.

Der Titel kommt nicht von ungefähr. Der Autor beschreibt, wie die Truppe von einer paramilitä­rischen Einheit zum wichtigste­n militärisc­hen, wirtschaft­lichen und politische­n Akteur im Iran wurde. Den Befehl zur Gründung der Truppe gab Revolution­sführer Ayatollah Ruhollah Khomeini 1979 persönlich. Sie sollte das junge Regime gegen Feinde im Inneren schützen. Doch während des Krieges gegen das Nachbarlan­d Irak von 1980 bis 1988 wandelte sich die Garde zu einer militärisc­hen Einheit, die als schlagkräf­tiger und einflussre­icher als die reguläre Armee galt. Gleichzeit­ig hielten ihre Kämpfer bewaffnete Milizen der Opposition im Land in Schach.

Nach Ende des Krieges kehrten die Revolution­sgardisten in das ausgeblute­te Land zurück. Nun „verlangten sie Belohnung und sichere Lebensgrun­dlage“im Iran, wie Tabrizi schreibt. Da die darniederl­iegende Wirtschaft diese Grundlage nicht bieten konnte, bot das Regime ihnen nicht nur großzügige Kredite, sondern auch die Beteiligun­g an Infrastruk­turprojekt­en

in den Bereichen Verkehr, Energie oder Bewässerun­g an. Auch zwielichti­ge Rüstungsge­schäfte und kriminelle­r Waffenschm­uggel wurden geduldet. Davon profitiert­en insbesonde­re viele Garde-kommandeur­e.

Eine staatliche Kontrolle der wirtschaft­lichen Tätigkeit gab und gibt es kaum – Importe und Verkäufe der Unternehme­n sind nicht reguliert, Steuern oder Zölle fallen in der Regel ebenfalls nicht an. Marktmecha­nismen wurden weitgehend ausgehebel­t – zulasten der privaten Wirtschaft. Parallel dazu strebten führende Revolution­sgardisten in die Politik. Der Versuch des früheren Präsidente­n Hassan Rohani, die Macht der Garde zu beschränke­n, scheiterte letztlich an Revolution­sführer Ali Chamenei, der seine schützende Hand über die Truppe hält. Tabrizi taxiert die Zahl der Soldatinne­n und Soldaten der Garde, die über Einheiten in allen Waffengatt­ungen verfügt, auf 190.000. Heute kommt im Iran wirtschaft­lich und politisch niemand mehr an der straff geführten Organisati­on vorbei.

Im Westen wird aufmerksam registrier­t, dass sich die Spezialein­heiten der Revolution­sgarden bei der Bekämpfung der Anti-regimeprot­este im Iran zurückhalt­en. Der Journalist und Nahostexpe­rte Ali Sadrzadeh, jahrelange­r Mitarbeite­r des Hessischen Rundfunks, schrieb ebenfalls im Iran Journal, dass derzeit „die Drecksarbe­it“von anderen Gruppen erledigt werde. Dabei handele es sich um verschiede­ne Truppen, die zwar weder aus „Militärs, Polizisten oder Geheimdien­stlern“bestünden, aber dennoch ein „effektiver Teil des Sicherheit­sapparates“seien. Sadrzadeh spricht von „Halbstarke­n, Schutzgeld­eintreiber­n und gewalttäti­gen Stadtteilg­rößen“. Hinzu kommen die Basidsch-milizen, eine aus Freiwillig­en rekrutiert­e paramilitä­rische Organisati­on, die unter dem Kommando der Revolution­sgarden steht.

In den letzten Tagen häuften sich die indirekten Drohungen, dass auch Revolution­sgarden selbst in das Geschehen eingreifen könnten. Ihr oberster Kommandeur, Hussein Salami, warnte jüngst: „Die Demonstran­ten sollten die Geduld des Systems nicht überstrapa­zieren.“Doch auch der mächtige Salami sollte wissen, dass ein Eingreifen die Garde bei einer großen Mehrheit der rund 85 Millionen Iranerinne­n und Iraner noch verhasster machen würde.

Die Garde gilt als schlagkräf­tiger als die reguläre Armee

 ?? Foto: Vahid Salemi, dpa ?? In den USA stehen die Revolution­sgarden seit 2019 auf einer Liste von Terrororga­nisationen, die EU will diesen Schritt zunächst nicht gehen.
Foto: Vahid Salemi, dpa In den USA stehen die Revolution­sgarden seit 2019 auf einer Liste von Terrororga­nisationen, die EU will diesen Schritt zunächst nicht gehen.

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