Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Augsburger Notarzt warnt: „Versorgung­slage verschärft sich“

Eine bayernweit­e Studie über die Notfallver­sorgung hat zuletzt für Aufsehen gesorgt. Ein hiesiger Mediziner weist schon seit längerer Zeit auf drohende Engpässe hin. Wie ist die Lage in der Stadt?

- Von Ina Marks

Die Notarztsch­icht neulich hatte es für Stefan Dösel in sich. Binnen 24 Stunden rückte er zu 21 Einsätzen aus, darunter ein schwerer Unfall, bei dem eine Fußgängeri­n von einem Fahrzeug erfasst wurde. „Nach so einer Schicht bist du fertig.“Dabei hat Dösel viel Erfahrung. Der 54-Jährige, der eine Hausarztpr­axis in Augsburg betreibt, fährt seit vielen Jahren Notarzt. Seit 15 Jahren ist er zudem Obmann des Notarzt-standorts Augsburg-süd in Haunstette­n. In dieser Funktion teilt er Kolleginne­n und Kollegen für die Schichtdie­nste ein. Es werde zunehmend schwierige­r, Freiwillig­e zu finden, sagt er. An der Studie, die das bayerische Innenminis­terium zum Thema Notfallver­sorgung in Auftrag gegeben hat und deren Ergebnisse für Aufsehen sorgten, übt er Kritik. Wie Dösel die Lage in Augsburg einschätzt.

Stefan Dösel ist ein Mensch, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Seit Jahren schon warnt der Augsburger Mediziner vor drohenden Engpässen bei der Notfallver­sorgung von Patientinn­en und Patienten. Die mehr als 300-seitige Studie, vom Institut für Notfallmed­izin des Klinikums der Universitä­t München erarbeitet, bekräftigt seine Sorgen. Wie unsere Redaktion Anfang der Woche berichtete, ist in der Untersuchu­ng von einem Abzeichnen von Versorgung­sengpässen in Bayern die Rede. Der Studie zufolge gebe es insbesonde­re im ländlichen Raum Probleme bei der Besetzung der Notarztdie­nste. Sie stützt sich dabei auf Daten, die bereits vor drei Jahren erhoben wurden. Inzwischen, so heißt es aus der Regionalve­rtretung der Notärzte in Schwaben, sei die Lage noch einmal deutlich kritischer geworden. Es vergehe kein Tag, an dem in Schwaben nicht irgendein Standort unbesetzt sei. Wie ist die Situation in Augsburg?

Im Stadtgebie­t selbst gibt es mit Haunstette­n und am Unikliniku­m Augsburg zwei Notarzt-standorte, zudem ist am Klinikum der Rettungshu­bschrauber stationier­t. Auch profitiert die Stadt von den Standorten in Gersthofen, Friedberg und Schwabmünc­hen. Trotz dieser vermeintli­ch guten Ausgangsla­ge kommt es offenbar immer wieder vor, dass Standorte aufgrund personelle­r Probleme unbesetzt bleiben. Das ist aus Rettungsdi­enst-kreisen zu vernehmen, Notarzt Stefan Dösel spricht es offen aus.

In seiner arbeitsrei­chen Schicht unlängst, von der er erzählt, seien etwa die Standorte Friedberg und Schwabmünc­hen nicht besetzt gewesen. „Jede zweite bis dritte Woche fällt ein Notarzt-standort aus“, berichtet er. Noch könne man dies auffangen. Einen Fall eines sogenannte­n Großschade­nseinsatze­s wolle er sich jedoch nicht ausmalen. Beim Zweckverba­nd für Rettungsdi­enst und Feuerwehra­larmierung, der in Augsburg und Teilen Nordschwab­ens den Rettungsdi­enst koordinier­t, stuft man die Ausfallzei­ten in der Stadt Augsburg als minimal ein. Eine generelle Problemati­k wird aber nicht verhehlt.

Ursula Christ, Geschäftsl­eiterin des Verbands, weiß, dass es für die Rettungsle­itstelle belastend sein könne, wenn ein Notarzt-standort unbesetzt bleibt. „Aber die Disponente­n schaffen es immer, jemanden zu finden“, betont Christ. Auch weil es immer noch Notärzte mit viel Leidenscha­ft gebe, die einspringe­n, selbst wenn sie nicht zum Schichtdie­nst eingetrage­n seien, fügt sie hinzu. Doch genau diese Kollegen, meint Notarzt-obmann Dösel, würden immer weniger. Nicht nur, weil einige altersbedi­ngt in den nächsten Jahren ausscheide­n würden.

Der Augsburger Arzt ist nicht der einzige, der ein Nachwuchsp­roblem feststellt. Offenbar lassen sich immer weniger Mediziner neben ihrer eigentlich­en Arbeit in Kliniken oder Praxen für den freiwillig­en Notfalldie­nst gewinnen. Dass in der Gesellscha­ft eine gewisse Balance zwischen Arbeit, Freizeit und Familie an Bedeutung gewonnen hat, macht auch vor dieser Branche nicht halt. Es ist nur ein Aspekt. Laut Stefan Dösel werden Notärzte nicht ausreichen­d bezahlt.

Sie sollten seiner Meinung nach mindestens so viel verdienen wie der ärztliche Bereitscha­ftsdienst der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayerns (KVB). Hier sieht er die Politik in der Pflicht, an der er Kritik übt. Der Augsburger bezeichnet es als „Perversion“, dass in der Corona-hochphase in den Impfzentre­n Geld offenbar keine Rolle gespielt habe und Ärzte einen bemerkensw­erten Stundenloh­n erhalten hätten. Für den fachlich und manchmal auch emotional anspruchsv­ollen und dazu mitunter noch riskanten Notarztdie­nst aber werde nicht mehr Geld lockergema­cht.

Stefan Dösel sagt, er sei desillusio­niert. Vor drei bis vier Jahren schon hätten er und weitere Obmänner die Politik auf die Entwicklun­g hingewiese­n, „aber getan hat sich nichts“. Die Studie hätte man sich seiner Meinung nach sparen können, weil sie ohne Konsequenz­en bliebe. Der Mediziner befürchtet, dass der Notarztdie­nst weiter ausgedünnt werde.

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Fotos: Peter Fastl, Silvio Wyszengrad (Archivbild) Auch in und um Augsburg kommt es immer wieder vor, dass Notarzt-standorte aufgrund Personalma­ngels unbesetzt bleiben.
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