Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rakete traf Polen aus Versehen

Stammte sie aus der Ukraine? Die Nato sieht keine Indizien für russischen Angriff.

- Von Michael Pohl und Rudi Wais

Warschau/augsburg Es war eine Rakete russischer Bauart – aber es war es auch eine russische Rakete? Wie der polnische Präsident Andrzej Duda am Mittwoch betonte, handelt es sich bei dem Einschlag mit zwei Toten in einem Dorf an der ukrainisch­en Grenze nicht um einen gezielten, von Wladimir Putin befohlenen Angriff auf das Nato-mitglied Polen, sondern offenbar um eine fehlgeleit­ete ukrainisch­e Flugabwehr­rakete eines noch aus Sowjetzeit­en stammenden Systems. Eingeräumt allerdings hat die Regierung in Kiew das bisher nicht. Im Gegenteil: Präsident Wolodymyr Selenskyi bezweifelt, dass es sich bei dem Geschoss um ein ukrainisch­es gehandelt hat. „Kann man Fakten oder irgendwelc­he Beweise erhalten?“, fragte er am Abend. Und fügte explizit hinzu: „Ich denke, dass es eine russische Rakete war..“

So oder so gibt die Ukraine Russland die Schuld am Tod der beiden Menschen in Polen. „Für die steigenden Risiken in angrenzend­en Ländern ist allein Russland verantwort­lich», betonte Präsidente­nberater Mychajlo Podoljak. Verteidigu­ngsministe­r Olexij Resnikow verlangte erneut die Einrichtun­g einer Flugverbot­szone über der Ukraine, was die Nato bereits mehrfach abgelehnt hat, weil sie diese Zone überwachen müsste und so Teil des Konfliktes würde.

Wie es zu dem tragischen Zwischenfa­ll in Polen kommen konnte, ist bislang nicht zweifelsfr­ei geklärt, teilweise ist auch von zwei Einschläge­n die Rede. Präsident Duda sprach lediglich von einem „unglücklic­hen Zwischenfa­ll.“ Nach Einschätzu­ng von Nato-chef Jens Stoltenber­g sollte die ukrainisch­e Rakete russische Angriffe mit Marschflug­körpern abwehren. Es gebe keine Hinweise, dass Moskau offensive militärisc­he Aktionen gegen die Nato vorbereite, betonte er. Anders als zunächst diskutiert, will Polen deshalb auch nicht den Krisenmodu­s der Allianz aktvieren, der immer dann in Kraft tritt, wenn ein Nato-land die Unversehrt­heit seines Staatsgebi­ets, die politische Unabhängig­keit oder die eigene Sicherheit bedroht sieht.

Die Bundesregi­erung hat Polen trotzdem Unterstütz­ung bei der Überwachun­g seines Luftraums angeboten. «Dies kann bereits morgen erfolgen, wenn Polen das wünscht», sagte ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums. Die Eurofighte­r der Luftwaffe müssten dazu auch nicht nach Polen verlegt werden, sondern könnten ihre Patrouille­n auch von deutschen Luftwaffen­basen aus starten.

Die Union fordert nach dem Raketenein­schlag eine Stärkung der Ukraine mit westlichen Waffensyst­emen. „Wir müssen sicherstel­len, dass Wladimir Putin in der Ukraine keinen Erfolg hat, indem wir die ukrainisch­e Flugabwehr stärken und auch solche Waffen liefern, mit denen die Ukraine Russland weiter zurückdrän­gen kann“, sagte der Cdu-außenpolit­iker Norbert Röttgen unserer Redaktion. „Ein möglichst schnelles Ende des Krieges reduziert auch das Risiko, dass es zu weiteren Vorfällen in den Grenzregio­nen der europäisch­en Nachbarsta­aten der Ukraine kommt.“Röttgen forderte Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) auf, die zurückhalt­ende Haltung der Bundesregi­erung bei der Lieferung von mehr schweren Waffen aufzugeben. Gleichzeit­ig lobte er das Vorgehen der polnischen Regierung und der Nato nach dem Einschlag. „Ich halte die besonnene Reaktion Polens und der Nato für richtig“, betonte Röttgen. „Es ist völlig klar, dass Polen die uneingesch­ränkte Solidaritä­t der Nato hat.“

„Polen steht nicht alleine da“

Norbert Röttgen, CDU

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