Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Preis des Todes
In Deutschland werden immer weniger Menschen kirchlich bestattet. Das verändert den Umgang mit Ableben und Abschied. Und das hat Folgen für die Betriebe, die mit Sargbau ihr Geld verdienen. Über ein Gewerbe, das vom Untergang bedroht ist.
Spaichingen/nördlingen Der Tod riecht harzig und nach frisch gesägtem Kiefernholz, zumindest an diesem Ort. In den alten Hallen der Sargmanufaktur Braun wird gehobelt und geschmirgelt, gekittet und gespritzt, Kreissägen heulen auf und Gebläse werden angeworfen, damit Grundierungen und Lacke schneller trocknen. „Hier steckt noch viel Handwerk und Handarbeit drin“, sagt Inhaberin Heike Braun, die durch die Schreinerei führt, die in Spaichingen im Kreis Tuttlingen ihren Sitz hat.
Ihre Produkte bezeichnet Braun als Möbelstücke. Kegelförmig wie der Körper des Menschen, mit Schrägen statt rechten Winkeln. In stabiler Hausdachform, damit die Hülle aus Pappel, Kiefer oder Eiche der tonnenschweren Erde standhält und den Körper schützt, der im Luftraum langsam vergeht. „Wir arbeiten sehr genau und sorgfältig, denn wir haben nur diese eine Chance – die Bestattung.“
Diese Handwerkskunst, die dem Ende des Lebens einen würdigen Rahmen gibt, ist hierzulande jedoch immer weniger gefragt, das Gewerbe vom Untergang bedroht. Was nicht etwa an einem Nachfragemangel liegt. Im Gegenteil, Tod und Trauer, so nüchtern kann man es selbst vor dem Totensonntag sagen, sind ein Wachstumsmarkt. 2021 sind so viele Menschen in einem Jahr in Deutschland gestorben wie noch nie, laut Statistischem Bundesamt mehr als eine Million, Tendenz weiter zunehmend aufgrund der alternden Bevölkerung. Die Bestattungsbranche setzt mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr um. Andererseits spielt die Tradition eine immer geringere Rolle, die Zahl der kirchlichen Beisetzungen sank im vergangenen Jahr zum ersten Mal auf unter 50 Prozent. Dieser Bruch im Wertesystem hinterlässt Spuren; bei den Hinterbliebenen und ihrem Umgang mit dem Verlust, aber auch bei jenen, die mit Ableben und Abschied ihr Auskommen verdienen.
Heike Braun versucht, den Umwälzungen zu trotzen, nicht das erste Mal in der Geschichte des Familienunternehmens, das sie in sechster Generation führt. 1888 gegründet, war die Schreinerei bis zum Zweiten Weltkrieg auf Schlafzimmermöbel spezialisiert, geriet danach jedoch immer mehr unter Druck durch die industrielle Fertigung von Billigmöbeln. Während in der damaligen Möbelstadt Spaichingen ein Betrieb nach dem anderen schließen musste, sattelte Braun auf Erdmöbel um, und damit mutmaßlich auf ein krisenfestes Feld, weil am Tod bekanntlich niemand vorbeikommt. Die Rechnung ging bis zur Wendezeit auch auf, damals gab es in Deutschland rund 100 Sargbauer – inzwischen sind es kaum eine Handvoll, von denen die meisten nur noch mit Särgen handeln oder sich auf die hochpreisigen Exemplare spezialisieren. Den Markt aber beherrschen jetzt die Osteuropäer, rund 80 Prozent der Särge kommen aus Polen, Tschechien oder Rumänien, die von geringeren Lohnkosten und Eu-subventionen profitieren. „Diesen Preiskampf können wir nicht halten“, sagt Braun.
Ein Satz, der auch von Johannes Fischer stammen könnte. Auch bei den Fischers begann die Geschichte mit einer Schreinerei. Die geht auf das Jahr 1880 zurück und stand einst in Marktoffingen, ein paar Kilometer nördlich von Nördlingen. „Es war früher normal, dass der Schreiner im Dorf auch die Särge gemacht hat“, erzählt Johannes Fischer. Später setzte der Familienbetrieb komplett auf Sargproduktion, in den 1970er Jahren zog man nach Nördlingen um. 4000 Särge im Jahr stellte die Sargfabrik Fischer zuletzt her und belieferte damit Bestatter im Umkreis von 200 Kilometern. 2019 dann machten die Fischers Schluss – ein Schritt, der vor allem seinem Vater schwerfiel. „Aber das hat sich einfach nicht mehr gelohnt,“erzählt Johannes Fischer. Und dass aus der einstigen Sargfabrik mit angeschlossenem Bestattungsinstitut inzwischen ein Bestattungsinstitut mit angeschlossener Schreinerei geworden ist.
Heute werden in Fischers Betrieb noch zugekaufte Sarg-rohlinge geschliffen, lackiert oder geölt, Holzkreuze oder Grabeinfassungen aus Holz produziert. Und der Betrieb stellt Urnen aus Holz her – ein wachsender Markt, wie Fischer sagt, weil Urnen, die in der Erde bestattet werden, aus vergänglichem Material sein müssen.
Seit Jahren geht der Trend weg von der Erd- hin zur Feuerbestattung. Zwar besteht in Deutschland auch im Krematorium Sargpflicht, die Wahl fällt nun aber oft auf ein schlichtes Modell. Auch die Spaichinger Manufaktur verkauft ihren kostengünstigsten Sarg mit Abstand am häufigsten, im Katalog ist er mit „Einfach, einfach“ überschrieben. Braun gebeizte Schwarzwaldkiefer, ohne Lack, beim Bestatter für 700 Euro im Angebot, aus Vollholz und kein Billigmöbel, aber zweckgerichtet und spartanisch.
Der schwere Eichensarg, von Herren in Schwarz behutsam ins Erdreich herabgelassen, wird dagegen immer seltener. Christian Streidt aus Ulm, Präsident des Bundesverbandes der Bestatter, kann sich noch gut an die alten Tage erinnern, wenn er seinen Vater zu einem Sterbefall begleitete und sie den Toten fein herrichteten, sofern nicht schon von den Angehörigen pietätvoll erledigt. „Dann haben wir auf den Pfarrer gewartet.“Sobald dieser eintraf, wurde gemeinsam für den Verstorbenen gebetet. Für die Angehörigen war dies der Beginn ihrer Trauerzeit, in einem festen Rahmen und unter der Obhut der Kirche. Die Aufgabenteilung war damals klar: Der Bestatter ist für den Leichnam zuständig. Der Priester für die Seele.
Nun, wo sich immer mehr Menschen von den Kirchen abwenden, entsteht ein Vakuum, das sich nicht immer so leicht füllen lässt, erklärt Streidt. „Stirbt ein naher Verwandter, sind die Leute oft hilflos, sie wissen nicht, was zu tun ist“, sagt der 69-Jährige. Weil überfordert in einer Ausnahmesituation, die ihren Alltag sprengt und die Gefühlswelt beeinträchtigt. „Die Kirche hat hier viel verpasst und die Zeichen der Zeit nicht erkannt.“
An ihre Stelle treten heute die Bestatter, früher argwöhnisch als Totengräber beäugt, heute oft willkommen als Volldienstleister, die den Papierkram mit Renten-, Krankenkasse und Stadt erledigen, die Abläufe erklären und den Kummer der Hinterbliebenen auffangen. Und die nicht zuletzt Beisetzung und Trauerfeier im Stile eines Eventmanagers organisieren. „Die Leute haben heute besondere Wünsche“, erklärt Streidt. Sei es eine Liveübertragung nach Amerika oder Australien, hochwertige Fotos oder Qr-codes, bunte Luftballons am Grab oder ein Motorrad neben dem aufgebahrten Sarg, während aus den Boxen „Highway to Hell“dröhnt.
Nicht viel anders verläuft es bei den Beisetzungen. Manche verstreuen die Asche im Elsass oder in den Schweizer Alpen von einem Heißluftballon aus, weil es im benachbarten Ausland erlaubt ist. Wem dies noch zu wenig erscheint, der lässt einen Teil der Asche zum Diamanten pressen oder schießt die sterblichen Überreste für rund 15.000 Euro ins Weltall.
Hierzulande ist der Markt zwar weniger bizarr und noch immer mittelständisch und familiär geprägt, wird aber auch zunehmend breiter und bunter. So schlagen Start-ups auf, die Internetfriedhöfe und digitalen Nachlassdienst anbieten, die, wie das Unternehmen Mymoria, ihre Bestattungsfilialen „Boutiquen“nennen, als ob es um Blusen oder Handtaschen ginge statt um Tod und Trauer. Da wundert es wenig, dass Finanzportale die Beisetzungskosten der Anbieter und Städte wie Telefontarife vergleichen, denn so viel steht fest: Mögen die einen eine Beerdigung zwar so pompös zelebrieren, als handle es sich um eine Hochzeit, spielt der Faktor Geld für andere die entscheidende Rolle.
An Fallstricken mangelt es dabei nicht. „Es gibt Menschen, die selbst aus dem Tod Kapital schlagen wollen“, erklärt dazu das Bayerische Verbraucherschutzministerium und warnt vor Lockvogel- und Dumpingangeboten im Internet: „Billige Pauschalangebote von Discount-bestattern erweisen sich oft als Mogelpackung. Selbstverständlichkeiten müssen als Extraleistung teuer bezahlt werden.“Die Kosten für eine Bestattung beziffert das Verbraucherportal Finanztipp mit durchschnittlich 13.000 Euro und stellt fest: „Es geht günstiger, aber auch sehr viel teurer.“Experten raten daher, sich gründlich zu informieren und Angebote zu vergleichen. Das lohnt nicht zuletzt bei der Auswahl der Friedhöfe, die aufgrund der hohen Zahl an Urnengräbern und Waldbestattungen unter Kostendruck geraten und mancherorts die Gebühren gewaltig anheben.
Hinter Kalkulationen und Kostenvoranschlägen stehen am Ende allerdings auch Fragen, die weniger das Geld als das Gemüt berühren: Wie will ich mich von einem nahestehenden Menschen verabschieden? Und was ist es mir wert?
„Es gibt eine starke Tendenz zur Discount-bestattung, weil manche Menschen möglichst schnell zurück in ihren Alltag wollen. Sie wollen Sterben, Tod und Trauer hinter sich lassen“, erklärt Rupert Scheule, Professor für Moraltheologie an der Universität Regensburg. Eine Entwicklung, an der die Kirche nicht ganz schuldlos sei: „Die Kirche muss wahrnehmen, dass eine Bastion, die sie für sicher gehalten hat – nämlich Expertin für die Letzten Dinge zu sein – angekratzt ist“, sagt Scheule. „Sie sollte ins Grübeln kommen, warum dem so ist. Nicht alle kirchlichen Beisetzungen sind von einer Qualität und Empathie, wie man sich das wünschen würde.“
Allerdings müssten auch die Menschen
Früher hat der Schreiner im Dorf eben auch die Särge gemacht
Einst gab es 100 Sargbauer in Deutschland, jetzt nur noch eine Handvoll
überdenken, ob Wiese, Wald oder Weltall immer die richtigen Plätze sind, um einen Verlust zu verarbeiten. „Wir brauchen öffentliche und zugängliche Orte der Trauer. Das sollten wir nicht zur Disposition stellen“, sagt Scheule. „Denn bei aller Wertschätzung der Individualisierung von Trauerprozessen müssen wir aufpassen, dass nicht jeder allein in seiner Trauernische hockt und vereinsamt.“
Heike Braun begegnet Umbrüchen und Unsicherheiten, indem sie mit ihrem Spaichinger Familienunternehmen den Grat sucht zwischen Tradition und Erneuerung. „Wir haben jetzt eine Ökozeit“, sagt die 53-Jährige. Daher setzt sie schon länger auf Nachhaltigkeit, kauft die Hölzer im Schwarzwald ein, regional und mit kurzen Transportwegen. Entwirft und erzeugt Erdmöbel, die Natürlichkeit ausstrahlen und dem Wesen des jeweils Verstorbenen gerecht werden sollen. Mal mit einer linksdrehenden Feng-shui-spirale auf dem Deckel, mal mit einem eingearbeiteten Rosenquarz oder auch schlicht und kraftvoll mit Furnier aus Palisander oder Eiche. „Ich versuche, mich in die Hinterbliebenen hineinzuversetzen, was ihnen Kraft und Trost geben kann. Es geht ja um einen allerletzten Abschied.“Von einem Menschen, der einem nicht selten lieb und teuer war.