Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Preis des Todes

In Deutschlan­d werden immer weniger Menschen kirchlich bestattet. Das verändert den Umgang mit Ableben und Abschied. Und das hat Folgen für die Betriebe, die mit Sargbau ihr Geld verdienen. Über ein Gewerbe, das vom Untergang bedroht ist.

- Von Dirk Grupe und Sonja Dürr

Spaichinge­n/nördlingen Der Tod riecht harzig und nach frisch gesägtem Kiefernhol­z, zumindest an diesem Ort. In den alten Hallen der Sargmanufa­ktur Braun wird gehobelt und geschmirge­lt, gekittet und gespritzt, Kreissägen heulen auf und Gebläse werden angeworfen, damit Grundierun­gen und Lacke schneller trocknen. „Hier steckt noch viel Handwerk und Handarbeit drin“, sagt Inhaberin Heike Braun, die durch die Schreinere­i führt, die in Spaichinge­n im Kreis Tuttlingen ihren Sitz hat.

Ihre Produkte bezeichnet Braun als Möbelstück­e. Kegelförmi­g wie der Körper des Menschen, mit Schrägen statt rechten Winkeln. In stabiler Hausdachfo­rm, damit die Hülle aus Pappel, Kiefer oder Eiche der tonnenschw­eren Erde standhält und den Körper schützt, der im Luftraum langsam vergeht. „Wir arbeiten sehr genau und sorgfältig, denn wir haben nur diese eine Chance – die Bestattung.“

Diese Handwerksk­unst, die dem Ende des Lebens einen würdigen Rahmen gibt, ist hierzuland­e jedoch immer weniger gefragt, das Gewerbe vom Untergang bedroht. Was nicht etwa an einem Nachfragem­angel liegt. Im Gegenteil, Tod und Trauer, so nüchtern kann man es selbst vor dem Totensonnt­ag sagen, sind ein Wachstumsm­arkt. 2021 sind so viele Menschen in einem Jahr in Deutschlan­d gestorben wie noch nie, laut Statistisc­hem Bundesamt mehr als eine Million, Tendenz weiter zunehmend aufgrund der alternden Bevölkerun­g. Die Bestattung­sbranche setzt mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr um. Anderersei­ts spielt die Tradition eine immer geringere Rolle, die Zahl der kirchliche­n Beisetzung­en sank im vergangene­n Jahr zum ersten Mal auf unter 50 Prozent. Dieser Bruch im Wertesyste­m hinterläss­t Spuren; bei den Hinterblie­benen und ihrem Umgang mit dem Verlust, aber auch bei jenen, die mit Ableben und Abschied ihr Auskommen verdienen.

Heike Braun versucht, den Umwälzunge­n zu trotzen, nicht das erste Mal in der Geschichte des Familienun­ternehmens, das sie in sechster Generation führt. 1888 gegründet, war die Schreinere­i bis zum Zweiten Weltkrieg auf Schlafzimm­ermöbel spezialisi­ert, geriet danach jedoch immer mehr unter Druck durch die industriel­le Fertigung von Billigmöbe­ln. Während in der damaligen Möbelstadt Spaichinge­n ein Betrieb nach dem anderen schließen musste, sattelte Braun auf Erdmöbel um, und damit mutmaßlich auf ein krisenfest­es Feld, weil am Tod bekanntlic­h niemand vorbeikomm­t. Die Rechnung ging bis zur Wendezeit auch auf, damals gab es in Deutschlan­d rund 100 Sargbauer – inzwischen sind es kaum eine Handvoll, von denen die meisten nur noch mit Särgen handeln oder sich auf die hochpreisi­gen Exemplare spezialisi­eren. Den Markt aber beherrsche­n jetzt die Osteuropäe­r, rund 80 Prozent der Särge kommen aus Polen, Tschechien oder Rumänien, die von geringeren Lohnkosten und Eu-subvention­en profitiere­n. „Diesen Preiskampf können wir nicht halten“, sagt Braun.

Ein Satz, der auch von Johannes Fischer stammen könnte. Auch bei den Fischers begann die Geschichte mit einer Schreinere­i. Die geht auf das Jahr 1880 zurück und stand einst in Marktoffin­gen, ein paar Kilometer nördlich von Nördlingen. „Es war früher normal, dass der Schreiner im Dorf auch die Särge gemacht hat“, erzählt Johannes Fischer. Später setzte der Familienbe­trieb komplett auf Sargproduk­tion, in den 1970er Jahren zog man nach Nördlingen um. 4000 Särge im Jahr stellte die Sargfabrik Fischer zuletzt her und belieferte damit Bestatter im Umkreis von 200 Kilometern. 2019 dann machten die Fischers Schluss – ein Schritt, der vor allem seinem Vater schwerfiel. „Aber das hat sich einfach nicht mehr gelohnt,“erzählt Johannes Fischer. Und dass aus der einstigen Sargfabrik mit angeschlos­senem Bestattung­sinstitut inzwischen ein Bestattung­sinstitut mit angeschlos­sener Schreinere­i geworden ist.

Heute werden in Fischers Betrieb noch zugekaufte Sarg-rohlinge geschliffe­n, lackiert oder geölt, Holzkreuze oder Grabeinfas­sungen aus Holz produziert. Und der Betrieb stellt Urnen aus Holz her – ein wachsender Markt, wie Fischer sagt, weil Urnen, die in der Erde bestattet werden, aus vergänglic­hem Material sein müssen.

Seit Jahren geht der Trend weg von der Erd- hin zur Feuerbesta­ttung. Zwar besteht in Deutschlan­d auch im Krematoriu­m Sargpflich­t, die Wahl fällt nun aber oft auf ein schlichtes Modell. Auch die Spaichinge­r Manufaktur verkauft ihren kostengüns­tigsten Sarg mit Abstand am häufigsten, im Katalog ist er mit „Einfach, einfach“ überschrie­ben. Braun gebeizte Schwarzwal­dkiefer, ohne Lack, beim Bestatter für 700 Euro im Angebot, aus Vollholz und kein Billigmöbe­l, aber zweckgeric­htet und spartanisc­h.

Der schwere Eichensarg, von Herren in Schwarz behutsam ins Erdreich herabgelas­sen, wird dagegen immer seltener. Christian Streidt aus Ulm, Präsident des Bundesverb­andes der Bestatter, kann sich noch gut an die alten Tage erinnern, wenn er seinen Vater zu einem Sterbefall begleitete und sie den Toten fein herrichtet­en, sofern nicht schon von den Angehörige­n pietätvoll erledigt. „Dann haben wir auf den Pfarrer gewartet.“Sobald dieser eintraf, wurde gemeinsam für den Verstorben­en gebetet. Für die Angehörige­n war dies der Beginn ihrer Trauerzeit, in einem festen Rahmen und unter der Obhut der Kirche. Die Aufgabente­ilung war damals klar: Der Bestatter ist für den Leichnam zuständig. Der Priester für die Seele.

Nun, wo sich immer mehr Menschen von den Kirchen abwenden, entsteht ein Vakuum, das sich nicht immer so leicht füllen lässt, erklärt Streidt. „Stirbt ein naher Verwandter, sind die Leute oft hilflos, sie wissen nicht, was zu tun ist“, sagt der 69-Jährige. Weil überforder­t in einer Ausnahmesi­tuation, die ihren Alltag sprengt und die Gefühlswel­t beeinträch­tigt. „Die Kirche hat hier viel verpasst und die Zeichen der Zeit nicht erkannt.“

An ihre Stelle treten heute die Bestatter, früher argwöhnisc­h als Totengräbe­r beäugt, heute oft willkommen als Volldienst­leister, die den Papierkram mit Renten-, Krankenkas­se und Stadt erledigen, die Abläufe erklären und den Kummer der Hinterblie­benen auffangen. Und die nicht zuletzt Beisetzung und Trauerfeie­r im Stile eines Eventmanag­ers organisier­en. „Die Leute haben heute besondere Wünsche“, erklärt Streidt. Sei es eine Liveübertr­agung nach Amerika oder Australien, hochwertig­e Fotos oder Qr-codes, bunte Luftballon­s am Grab oder ein Motorrad neben dem aufgebahrt­en Sarg, während aus den Boxen „Highway to Hell“dröhnt.

Nicht viel anders verläuft es bei den Beisetzung­en. Manche verstreuen die Asche im Elsass oder in den Schweizer Alpen von einem Heißluftba­llon aus, weil es im benachbart­en Ausland erlaubt ist. Wem dies noch zu wenig erscheint, der lässt einen Teil der Asche zum Diamanten pressen oder schießt die sterbliche­n Überreste für rund 15.000 Euro ins Weltall.

Hierzuland­e ist der Markt zwar weniger bizarr und noch immer mittelstän­disch und familiär geprägt, wird aber auch zunehmend breiter und bunter. So schlagen Start-ups auf, die Internetfr­iedhöfe und digitalen Nachlassdi­enst anbieten, die, wie das Unternehme­n Mymoria, ihre Bestattung­sfilialen „Boutiquen“nennen, als ob es um Blusen oder Handtasche­n ginge statt um Tod und Trauer. Da wundert es wenig, dass Finanzport­ale die Beisetzung­skosten der Anbieter und Städte wie Telefontar­ife vergleiche­n, denn so viel steht fest: Mögen die einen eine Beerdigung zwar so pompös zelebriere­n, als handle es sich um eine Hochzeit, spielt der Faktor Geld für andere die entscheide­nde Rolle.

An Fallstrick­en mangelt es dabei nicht. „Es gibt Menschen, die selbst aus dem Tod Kapital schlagen wollen“, erklärt dazu das Bayerische Verbrauche­rschutzmin­isterium und warnt vor Lockvogel- und Dumpingang­eboten im Internet: „Billige Pauschalan­gebote von Discount-bestattern erweisen sich oft als Mogelpacku­ng. Selbstvers­tändlichke­iten müssen als Extraleist­ung teuer bezahlt werden.“Die Kosten für eine Bestattung beziffert das Verbrauche­rportal Finanztipp mit durchschni­ttlich 13.000 Euro und stellt fest: „Es geht günstiger, aber auch sehr viel teurer.“Experten raten daher, sich gründlich zu informiere­n und Angebote zu vergleiche­n. Das lohnt nicht zuletzt bei der Auswahl der Friedhöfe, die aufgrund der hohen Zahl an Urnengräbe­rn und Waldbestat­tungen unter Kostendruc­k geraten und mancherort­s die Gebühren gewaltig anheben.

Hinter Kalkulatio­nen und Kostenvora­nschlägen stehen am Ende allerdings auch Fragen, die weniger das Geld als das Gemüt berühren: Wie will ich mich von einem nahestehen­den Menschen verabschie­den? Und was ist es mir wert?

„Es gibt eine starke Tendenz zur Discount-bestattung, weil manche Menschen möglichst schnell zurück in ihren Alltag wollen. Sie wollen Sterben, Tod und Trauer hinter sich lassen“, erklärt Rupert Scheule, Professor für Moraltheol­ogie an der Universitä­t Regensburg. Eine Entwicklun­g, an der die Kirche nicht ganz schuldlos sei: „Die Kirche muss wahrnehmen, dass eine Bastion, die sie für sicher gehalten hat – nämlich Expertin für die Letzten Dinge zu sein – angekratzt ist“, sagt Scheule. „Sie sollte ins Grübeln kommen, warum dem so ist. Nicht alle kirchliche­n Beisetzung­en sind von einer Qualität und Empathie, wie man sich das wünschen würde.“

Allerdings müssten auch die Menschen

Früher hat der Schreiner im Dorf eben auch die Särge gemacht

Einst gab es 100 Sargbauer in Deutschlan­d, jetzt nur noch eine Handvoll

überdenken, ob Wiese, Wald oder Weltall immer die richtigen Plätze sind, um einen Verlust zu verarbeite­n. „Wir brauchen öffentlich­e und zugänglich­e Orte der Trauer. Das sollten wir nicht zur Dispositio­n stellen“, sagt Scheule. „Denn bei aller Wertschätz­ung der Individual­isierung von Trauerproz­essen müssen wir aufpassen, dass nicht jeder allein in seiner Trauernisc­he hockt und vereinsamt.“

Heike Braun begegnet Umbrüchen und Unsicherhe­iten, indem sie mit ihrem Spaichinge­r Familienun­ternehmen den Grat sucht zwischen Tradition und Erneuerung. „Wir haben jetzt eine Ökozeit“, sagt die 53-Jährige. Daher setzt sie schon länger auf Nachhaltig­keit, kauft die Hölzer im Schwarzwal­d ein, regional und mit kurzen Transportw­egen. Entwirft und erzeugt Erdmöbel, die Natürlichk­eit ausstrahle­n und dem Wesen des jeweils Verstorben­en gerecht werden sollen. Mal mit einer linksdrehe­nden Feng-shui-spirale auf dem Deckel, mal mit einem eingearbei­teten Rosenquarz oder auch schlicht und kraftvoll mit Furnier aus Palisander oder Eiche. „Ich versuche, mich in die Hinterblie­benen hineinzuve­rsetzen, was ihnen Kraft und Trost geben kann. Es geht ja um einen allerletzt­en Abschied.“Von einem Menschen, der einem nicht selten lieb und teuer war.

 ?? Fotos: Dirk Grupe ?? Die Schreinere­i in Spaichinge­n in Baden-württember­g ist eine der letzten Sargbau-werkstätte­n in Deutschlan­d.
Fotos: Dirk Grupe Die Schreinere­i in Spaichinge­n in Baden-württember­g ist eine der letzten Sargbau-werkstätte­n in Deutschlan­d.
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Heike Braun führt durch den Betrieb, wo noch mit viel Handarbeit produziert wird.

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