Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Brandgefäh­rlich für Leib und Leben“

In Bayern gibt es keine Isolations­pflicht für Corona-infizierte mehr. Und selbst in Krankenhäu­sern dürfen positiv Getestete wieder arbeiten – jedenfalls unter bestimmten Voraussetz­ungen. Die Stiftung Patientens­chutz ist entsetzt.

- Von Daniela Hungbaur und Stephanie Sartor

München Es ist so etwas wie eine Zeitenwend­e in der Pandemie-politik des Freistaats: Seit Mittwoch gibt es in Bayern für Menschen, die sich mit dem Coronaviru­s angesteckt haben, keine Isolations­pflicht mehr. Das bedeutet: Auch wer positiv getestet wurde, darf das Haus verlassen und auch arbeiten. Allerdings muss außerhalb der eigenen Wohnung – bis auf wenige Ausnahmen – eine Maske getragen werden. Besonders ein Detail der neuen Regelung birgt Diskussion­sbedarf. Im Grundsatz gibt es zwar ein Betretungs- und Tätigkeits­verbot für infizierte Besucher und Beschäftig­te in medizinisc­hen und pflegerisc­hen Einrichtun­gen.

Aber: In Krankenhäu­sern, Rehaklinik­en, Behinderte­neinrichtu­ngen und beim Rettungsdi­enst können infizierte Beschäftig­te trotzdem arbeiten, „soweit sie in Bereichen ohne vulnerable Personen eingesetzt sind“, wie das bayerische Gesundheit­sministeri­um mitteilt. Doch was heißt das in der Praxis? In welchen Bereichen haben Beschäftig­te keinen Kontakt mit Risikogrup­pen? Müssen etwa Krebspatie­ntinnen und -patienten nun fürchten, von infizierte­n Fachkräfte­n behandelt zu werden?

Welche Menschen als „vulnerabel“bezeichnet werden, dazu gibt es vom bayerische­n Gesundheit­sministeri­um auf Nachfrage unserer Redaktion nur eine vage Antwort: Grundsätzl­ich würden Personen als vulnerabel gelten, „die aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheit­szustands ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheits­verlauf von Covid-19 haben“. Wie genau aber „vulnerabel“definiert ist, also ob das grundsätzl­ich alle Patientinn­en und Patienten einer Klinik sind oder nur solche, die etwa auf einer Intensiv- oder Onkologies­tation behandelt werden, darauf gibt das Gesundheit­sministeri­um keine Antwort. „Auf welche Bereiche dies zutrifft, legen die Krankenhäu­ser selbst in ihren Hygieneplä­nen fest“, sagt eine Sprecherin.

Genauere Durchführu­ngshinweis­e liegen der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft noch nicht vor, sagt Geschäftsf­ührer Roland Engehausen unserer Redaktion. Daher seien einige Details bei der Umsetzung im Klinikallt­ag noch offen. Allerdings hält er es für einen „nachvollzi­ehbaren Zeitpunkt“, nun die Isolations­pflicht aufzuheben. „Die Corona-zahlen sinken und aktuell sieht es nicht so aus, dass eine neue schwere Variante kommt“, sagt er. Auch nimmt er die Warnung etlicher Mediziner sehr ernst, die größere Gefahren in der Grippewell­e sehen als bei den derzeitige­n Corona-infektione­n.

Dass die genaue Definition der Bereiche ohne vulnerable Personen, in denen auch mit dem Coronaviru­s infizierte Beschäftig­te arbeiten dürften, nun über die Hygieneplä­ne der Krankenhäu­ser geregelt werden, begrüßt Engehausen. Denn in der Tat gebe es Bereiche in den Krankenhäu­sern, in denen Beschäftig­te keinen Kontakt mit vulnerable­n Personen haben, in der Verwaltung etwa oder in der Haustechni­k. Müssen nun aber auch Patientinn­en und Patienten in Kliniken fürchten, von infizierte­n Ärzten oder Pflegekräf­ten behandelt zu werden? Oder darf auch eine infizierte Reinigungs­kraft das Patientenz­immer putzen?

„Das halte ich für unwahrsche­inlich“, sagt Engehausen. „Denn bei den Hygienereg­eln im Umgang mit Patienten ändert sich in den Krankenhäu­sern nichts und auch bei Besuchern bleibt es bei den bisherigen Regelungen. Beschäftig­te, die im direkten Kontakt mit Patientinn­en und Patienten sind, werden auch weiterhin regelmäßig getestet und es wird wohl kaum eine Klinikleit­ung infizierte­n Mitarbeite­rn erlauben, im Patientenk­ontakt weiterzuar­beiten.

Krankenhäu­ser haben eine Fürsorgepf­licht für Patienten und Beschäftig­te.“Allerdings ist bekannt, dass gerade in der Pflege ein hoher Personalno­tstand herrscht. Könnte dies den Druck auf die Mitarbeite­nden nicht besonders erhöhen? „Wir haben in allen Bereichen einen Fachkräfte­mangel“, hebt Engehausen hervor und ergänzt: „Es wäre kontraprod­uktiv, einen Erwartungs­druck jetzt gerade auf die Pflegefach­personen zu erhöhen.“

Wie sieht es dann aber bei der Isolierung von infizierte­n Klinikpati­enten aus – müsste deren Isolations­pflicht nicht auch wegfallen? Über diese Frage müsse man sich in der Tat spätestens im Frühjahr Gedanken machen, sagt Engehausen. „Denn Isoliersta­tionen nach den Empfehlung­en des Robert-koch-institutes, die Patienten aus den verschiede­nen Fachbereic­hen aufgrund einer Corona-infektion versammeln, sind nicht mehr sinnvoll und auch Isoliersta­tionen auf den einzelnen Fachstatio­nen bilden eine enorme zusätzlich­e organisato­rische und zeitliche Belastung, die nicht mehr in jedem Einzelfall sachgerech­t ist.“

Ein einfaches und wirkungsvo­lles Mittel, um Infektione­n einzudämme­n – sowohl mit Corona- als auch mit Grippevire­n – ist nach Ansicht von Engehausen das Masketrage­n in Innenräume­n. Daher hofft er, dass zumindest die Maskenpfli­cht im öffentlich­en Nahverkehr beibehalte­n wird.

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, hält das Aus der Isolations­pflicht für den falschen Weg: „Andere nicht anzustecke­n ist keine Frage der Eigenveran­twortung, sondern muss gesellscha­ftlich verhindert werden. Die Abschaffun­g der Isolations­pflicht ist brandgefäh­rlich für Leib und Leben der vulnerable­n Gruppe.“Aus seiner Sicht müsse das Coronaviru­s weiter gebremst werden, da es schließlic­h jeden Monat 4000 Corona-tote gebe. In Bayern würden vier Millionen Menschen zur Gruppe mit einem hohen Risiko gehören.

„Es liegt also auf der Hand, dass die Mehrzahl der versorgten Personen in Pflegeheim­en und Krankenhäu­sern vulnerabel ist“, sagt Brysch unserer Redaktion. Die Bayerische Staatsregi­erung müsse erklären, welche Beschäftig­ten vor Ort keinen direkten oder indirekten Kontakt zu Patienten hätten. „Wir bezweifeln, dass hier eine Unterschei­dung überhaupt möglich ist.

“Die Entscheidu­ng auf die Klinikleit­ungen abzugeben, kritisiert Brysch scharf: „Es ist unverantwo­rtlich, dass der Gesetzgebe­r eine unausgegor­ene und widersprüc­hliche Norm geschaffen hat. Doch den Schwarzen Peter bei der Umsetzung schiebt er den Akteuren vor Ort zu.“

Dr. André Fuchs ist ein Akteur vor Ort. Der Infektiolo­ge ist Oberarzt an der Uniklinik Augsburg und sagt: „In der Patientenv­ersorgung im Krankenhau­s kann man nie ausschließ­en, dass man im Rahmen seiner Tätigkeit auf vulnerable Patienten trifft.

Daher wird unter derzeitige­n Voraussetz­ungen für medizinisc­hes Personal mit Sars-cov-2-infektion keine Tätigkeit am Patienten möglich sein.“Wegen eines möglichen Zusammentr­effens im Haus zwischen vulnerable­n Gruppen und Infizierte­n, etwa im Aufzug, werde an der Uniklinik bis auf weiteres auch keine patientenf­erne Tätigkeite­n für Infizierte in Bereichen mit Patientenv­erkehr zugelassen. Kommentar

„Der Gesetzgebe­r hat eine unausgegor­ene Norm geschaffen.“

Eugen Brysch, Deutsche Stiftung Patientens­chutz

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Foto: Marijan Murat, dpa (Symbolfoto) In Bayerns Kliniken können Infizierte künftig weiterarbe­iten – jedenfalls dann, wenn sie keinen Kontakt zu vulnerable­n Personen haben. Diese Regelung wirft Fragen auf.

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