Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Brandgefährlich für Leib und Leben“
In Bayern gibt es keine Isolationspflicht für Corona-infizierte mehr. Und selbst in Krankenhäusern dürfen positiv Getestete wieder arbeiten – jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen. Die Stiftung Patientenschutz ist entsetzt.
München Es ist so etwas wie eine Zeitenwende in der Pandemie-politik des Freistaats: Seit Mittwoch gibt es in Bayern für Menschen, die sich mit dem Coronavirus angesteckt haben, keine Isolationspflicht mehr. Das bedeutet: Auch wer positiv getestet wurde, darf das Haus verlassen und auch arbeiten. Allerdings muss außerhalb der eigenen Wohnung – bis auf wenige Ausnahmen – eine Maske getragen werden. Besonders ein Detail der neuen Regelung birgt Diskussionsbedarf. Im Grundsatz gibt es zwar ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot für infizierte Besucher und Beschäftigte in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen.
Aber: In Krankenhäusern, Rehakliniken, Behinderteneinrichtungen und beim Rettungsdienst können infizierte Beschäftigte trotzdem arbeiten, „soweit sie in Bereichen ohne vulnerable Personen eingesetzt sind“, wie das bayerische Gesundheitsministerium mitteilt. Doch was heißt das in der Praxis? In welchen Bereichen haben Beschäftigte keinen Kontakt mit Risikogruppen? Müssen etwa Krebspatientinnen und -patienten nun fürchten, von infizierten Fachkräften behandelt zu werden?
Welche Menschen als „vulnerabel“bezeichnet werden, dazu gibt es vom bayerischen Gesundheitsministerium auf Nachfrage unserer Redaktion nur eine vage Antwort: Grundsätzlich würden Personen als vulnerabel gelten, „die aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustands ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf von Covid-19 haben“. Wie genau aber „vulnerabel“definiert ist, also ob das grundsätzlich alle Patientinnen und Patienten einer Klinik sind oder nur solche, die etwa auf einer Intensiv- oder Onkologiestation behandelt werden, darauf gibt das Gesundheitsministerium keine Antwort. „Auf welche Bereiche dies zutrifft, legen die Krankenhäuser selbst in ihren Hygieneplänen fest“, sagt eine Sprecherin.
Genauere Durchführungshinweise liegen der Bayerischen Krankenhausgesellschaft noch nicht vor, sagt Geschäftsführer Roland Engehausen unserer Redaktion. Daher seien einige Details bei der Umsetzung im Klinikalltag noch offen. Allerdings hält er es für einen „nachvollziehbaren Zeitpunkt“, nun die Isolationspflicht aufzuheben. „Die Corona-zahlen sinken und aktuell sieht es nicht so aus, dass eine neue schwere Variante kommt“, sagt er. Auch nimmt er die Warnung etlicher Mediziner sehr ernst, die größere Gefahren in der Grippewelle sehen als bei den derzeitigen Corona-infektionen.
Dass die genaue Definition der Bereiche ohne vulnerable Personen, in denen auch mit dem Coronavirus infizierte Beschäftigte arbeiten dürften, nun über die Hygienepläne der Krankenhäuser geregelt werden, begrüßt Engehausen. Denn in der Tat gebe es Bereiche in den Krankenhäusern, in denen Beschäftigte keinen Kontakt mit vulnerablen Personen haben, in der Verwaltung etwa oder in der Haustechnik. Müssen nun aber auch Patientinnen und Patienten in Kliniken fürchten, von infizierten Ärzten oder Pflegekräften behandelt zu werden? Oder darf auch eine infizierte Reinigungskraft das Patientenzimmer putzen?
„Das halte ich für unwahrscheinlich“, sagt Engehausen. „Denn bei den Hygieneregeln im Umgang mit Patienten ändert sich in den Krankenhäusern nichts und auch bei Besuchern bleibt es bei den bisherigen Regelungen. Beschäftigte, die im direkten Kontakt mit Patientinnen und Patienten sind, werden auch weiterhin regelmäßig getestet und es wird wohl kaum eine Klinikleitung infizierten Mitarbeitern erlauben, im Patientenkontakt weiterzuarbeiten.
Krankenhäuser haben eine Fürsorgepflicht für Patienten und Beschäftigte.“Allerdings ist bekannt, dass gerade in der Pflege ein hoher Personalnotstand herrscht. Könnte dies den Druck auf die Mitarbeitenden nicht besonders erhöhen? „Wir haben in allen Bereichen einen Fachkräftemangel“, hebt Engehausen hervor und ergänzt: „Es wäre kontraproduktiv, einen Erwartungsdruck jetzt gerade auf die Pflegefachpersonen zu erhöhen.“
Wie sieht es dann aber bei der Isolierung von infizierten Klinikpatienten aus – müsste deren Isolationspflicht nicht auch wegfallen? Über diese Frage müsse man sich in der Tat spätestens im Frühjahr Gedanken machen, sagt Engehausen. „Denn Isolierstationen nach den Empfehlungen des Robert-koch-institutes, die Patienten aus den verschiedenen Fachbereichen aufgrund einer Corona-infektion versammeln, sind nicht mehr sinnvoll und auch Isolierstationen auf den einzelnen Fachstationen bilden eine enorme zusätzliche organisatorische und zeitliche Belastung, die nicht mehr in jedem Einzelfall sachgerecht ist.“
Ein einfaches und wirkungsvolles Mittel, um Infektionen einzudämmen – sowohl mit Corona- als auch mit Grippeviren – ist nach Ansicht von Engehausen das Masketragen in Innenräumen. Daher hofft er, dass zumindest die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr beibehalten wird.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, hält das Aus der Isolationspflicht für den falschen Weg: „Andere nicht anzustecken ist keine Frage der Eigenverantwortung, sondern muss gesellschaftlich verhindert werden. Die Abschaffung der Isolationspflicht ist brandgefährlich für Leib und Leben der vulnerablen Gruppe.“Aus seiner Sicht müsse das Coronavirus weiter gebremst werden, da es schließlich jeden Monat 4000 Corona-tote gebe. In Bayern würden vier Millionen Menschen zur Gruppe mit einem hohen Risiko gehören.
„Es liegt also auf der Hand, dass die Mehrzahl der versorgten Personen in Pflegeheimen und Krankenhäusern vulnerabel ist“, sagt Brysch unserer Redaktion. Die Bayerische Staatsregierung müsse erklären, welche Beschäftigten vor Ort keinen direkten oder indirekten Kontakt zu Patienten hätten. „Wir bezweifeln, dass hier eine Unterscheidung überhaupt möglich ist.
“Die Entscheidung auf die Klinikleitungen abzugeben, kritisiert Brysch scharf: „Es ist unverantwortlich, dass der Gesetzgeber eine unausgegorene und widersprüchliche Norm geschaffen hat. Doch den Schwarzen Peter bei der Umsetzung schiebt er den Akteuren vor Ort zu.“
Dr. André Fuchs ist ein Akteur vor Ort. Der Infektiologe ist Oberarzt an der Uniklinik Augsburg und sagt: „In der Patientenversorgung im Krankenhaus kann man nie ausschließen, dass man im Rahmen seiner Tätigkeit auf vulnerable Patienten trifft.
Daher wird unter derzeitigen Voraussetzungen für medizinisches Personal mit Sars-cov-2-infektion keine Tätigkeit am Patienten möglich sein.“Wegen eines möglichen Zusammentreffens im Haus zwischen vulnerablen Gruppen und Infizierten, etwa im Aufzug, werde an der Uniklinik bis auf weiteres auch keine patientenferne Tätigkeiten für Infizierte in Bereichen mit Patientenverkehr zugelassen. Kommentar
„Der Gesetzgeber hat eine unausgegorene Norm geschaffen.“
Eugen Brysch, Deutsche Stiftung Patientenschutz