Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kita-erfolgspro­jekt droht das Aus

Allein in Bayern gibt es mehr als 700 Sprach-kitas. Jetzt läuft die Förderung aus. Weil sich Bayern und der Bund nicht einigen können, ist die Sprachförd­erung akut gefährdet.

- Von Sarah Ritschel

München Fast 100 Kleinkinde­r lernen hier in der Krippe sprechen. Kinder aus Deutschlan­d und 19 anderen Nationen, mit 16 verschiede­nen Sprachen. Die Fachkräfte der Kindertage­sstätte im Augsburger Univiertel und an einem zweiten Standort in Göggingen bringen ihnen auf Deutsch die ersten Wörter bei – im Alltag, beim Spielen, beim Singen. Unterstütz­t werden sie von einer Expertin aus dem Programm Sprach-kitas – einem Erfolgspro­jekt der Bundesregi­erung, das jetzt überrasche­nd auslaufen soll. Ab Mitte 2023 fließt kein Geld mehr.

Für Bettina Niessner, pädagogisc­he Leiterin der Campus Elterninit­iative, die die beiden Krippen betreibt, kommt das Ende aus heiterem Himmel. „Im Januar wurden noch neue Kitas und Krippen in das Programm aufgenomme­n. Da dachten wir natürlich, dass es weitergeht.“So ging es allen der mehr als 700 Sprach-kitas im Freistaat. Und 817 Fachkräfte fürchten nun um ihre Stellen.

Eigentlich sollte das Programm, das seit 2016 existiert, schon Ende 2022 auslaufen. Das aber gab der Bund erst im Sommer bekannt. Nach Aufschreie­n aus den Ländern wurden sechs weitere Monate bewilligt. Angedacht ist, dass die Länder die Sprach-kitas danach selbst weiterführ­en. Dieser Plan bedeutet im Freistaat schlimmste­nfalls deren Ende.

Denn obwohl auch Bayerns Familienmi­nisterin Ulrike Scharf (CSU) die Sprach-kitas als Erfolgsmod­ell feiert, will der Freistaat auf Anfrage unserer Redaktion nicht zusichern, dafür Gelder bereitzust­ellen. Andere Bundesländ­er – Berlin, Niedersach­sen, Schleswigh­olstein und Bremen etwa – haben mittlerwei­le beschlosse­n, die Sprach-kitas mit Landesmill­ionen zu fördern. Bayern nicht. Man sehe „in erster Linie den Bund gefordert, die von ihm geschaffen­en und über die Jahre erweiterte­n Strukturen fortzuführ­en“, sagt ein Sprecher des Familienmi­nisteriums und argumentie­rt mit dem Investitio­nsbedarf: Anders als in Stadtstaat­en etwa, „die nur wenige Förderverf­ahren im Bundesprog­ramm Sprach-kitas haben, wären für die Fortführun­g des Status quo in Bayern rund 25,7 Millionen Euro pro Jahr notwendig“. Das hieße, dass laufende Maßnahmen zur Qualitätss­icherung reduziert werden müssten, etwa die Förderung der Festanstel­lung von Tagespfleg­epersonen. Ministerin Scharf fordert daher, dass der Bund die Sprach-kitas noch zwei Jahre fortführt. Bund und Länder könnten in dieser Übergangsp­hase besprechen, wie es weitergeht. Ihr Haus verweist darauf, dass die Sprachkita­s sogar im Koalitions­vertrag der Ampel festgeschr­ieben sind.

Die Augsburger Pädagogin Niessner will an ein Aus gar nicht denken. „Es wäre ein riesiger Verlust, nicht nur für die Kinder, auch für die Familien und das Team.“Ganz zu schweigen von der Sprach-expertin, die um ihren Job bangt. Von ihrer Arbeit profitiere­n alle Kinder, ob mit deutscher Mutterspra­che oder ohne. „Sie berät uns, zeigt, wie man Kinder im Alltag sprachlich begleitet, wie man sprachlich feinfühlig mit ihnen umgeht. Ohne das Projekt würde vieles einfach hinten runterfall­en.“

Denn nicht nur Kitas in Bayern kämpfen mit großer Personalno­t. Um die Qualität dennoch aufrechtzu­erhalten, gibt es seit 2019 das Gute-kita-gesetz. Der Bund verteilte 5,5 Milliarden Euro an die Länder, die sie nach Bedarf investiere­n können – etwa für Qualität in der Ausbildung, Entlastung bei Elternbeit­rägen oder für die Sprachbild­ung. Auf Bayern entfielen 861 Millionen. Rund zwei Drittel wurden dafür verwendet, Kitabeiträ­ge zu senken. Das kritisiert die Opposition. SPD, FDP und Grüne haben Anträge eingereich­t, die Sprach-kitas zu einem bayerische­n Programm zu machen. Die Grünen etwa weisen darauf hin, dass die Länder aus einem neuen Kitagesetz des Bundes für 2023 und 2024 jeweils zwei Milliarden Euro für Maßnahmen zur Verbesseru­ng der Qualität in Kitas erhalte. „Jetzt müssen endlich 100 Prozent der Gelder in die Qualität investiert werden. So wäre auch die Finanzieru­ng eines Landesprog­ramms Sprach-kitas möglich.“

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Foto: A. Kaya (Symbolbild) Jede achte Kindertage­seinrichtu­ng in Deutschlan­d ist eine Sprach-kita. Nicht nur Kinder mit Migrations­geschichte, auch deutsche profitiere­n.

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