Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Die Verhältnis­se können kippen“ Zur Person

Dietrich Schulze-marmeling hat die Kampagne „Boykottier­t Katar“gestartet, der am letzten Bundesliga-spieltag alle Fangruppie­rungen gefolgt sind. Wie der Protest nun während der WM weitergeht und was das langfristi­ge Ziel ist.

- Interview: Florian Eisele

Herr Schulze-marmeling, Sie sind Buchautor und Mitorganis­ator der Aktion „Boycott Qatar“, in der dazu aufgerufen wird, den Unmut gegen die Fußball-wm auszudrück­en. Am letzten Spieltag der Bundesliga gab es in vielen deutschen Stadien großflächi­ge Protestakt­ionen der Fankurven. Ist Ihre Saat aufgegange­n?

Dietrich Schulze-marmeling: Ja, das kann man wohl sagen. Wir hatten ja dazu aufgerufen, dass die Fans das letzte Heimspiel vor der Wm-pause nutzen, um ein Statement abzugeben. Viele dieser Aktionen hätten wohl ohnehin in einem größeren Rahmen stattgefun­den, weil die Fans das schon vorgehabt hatten. Aber es war so, dass es in allen Stadien der 1. und 2. Bundesliga zu Protestakt­ionen gekommen ist. Selbst aus Griechenla­nd, Frankreich, Spanien und Italien haben uns Bilder erreicht. Lediglich England scheint da etwas hinterher zu hinken.

Wie soll der Protest während der WM weitergehe­n?

Schulze-marmeling: Ich persönlich habe während der WM viele Einladunge­n zu Veranstalt­ungen bekommen, um etwa aus dem Buch „Boykottier­t Katar!“vorzulesen. Viele Fußball-kneipen wollen während des Turniers die Spiele nicht zeigen und stellen stattdesse­n ein Alternativ­programm auf die Beine – mit Lesungen, dem Zeigen von historisch­en Spielen wie etwa dem Wm-finale 1990 oder dem Halbfinale 1970 zwischen Deutschlan­d und Italien. An einigen Standorten gibt es auch ein alternativ­es Turnier, sozusagen also eine Ersatzwm.

Das entspricht ja in etwa dem, was Sie in dem Buch „Boykottier­t Katar!“, das die Keimzelle des Protestes darstellt, vorgeschla­gen haben. Sind Sie überrascht, dass diese Aktion diesen Zulauf bekommen hat?

Schulze-marmeling: Ja, schon. Ich war zwar immer recht optimistis­ch, dass die Aktion erst nach dem Sommer richtig losgehen wird. Aber damit habe ich nicht gerechnet. Unter anderem deshalb, weil es in Sachen WM schon vorher eine gewisse Zurückhalt­ung

gab. Viele Fans, mit denen wir gesprochen haben, haben uns im Vorfeld gesagt, dass sie mit der Fifa schon lange abgeschlos­sen haben. Die Ultras können mit der Nationalel­f ohnehin nichts anfangen, womit die kritische Struktur bei Wm-spielen eigentlich fehlt. Trotzdem kam dieser Schwung rein. Wie das alles bei der WM aussieht, wird man sehen. Auch wenn viele jetzt sagen, dass sie sich die Spiele nicht ansehen werden, würde mich ein Ansteigen der Tv-quoten nicht wundern. Schließlic­h gibt es kaum Public Viewings, womit alle Spiele vor dem heimischen Fernseher verfolgt werden müssen.

Glauben Sie, dass Ihr Protest die Fifa erreicht?

Schulze-marmeling: Ich hoffe. Aber wir haben mehrere Adressaten für unseren Protest. Einer davon ist das Gastgeberl­and Katar. Zudem wollen wir mit dem Druck, der in Deutschlan­d entsteht, erst mal auch den DFB als wichtigen Verband innerhalb der Fifa erreichen. Der Weg zur Fifa kann nur über den DFB führen. Allerdings ist auch eines klar: Fifa-präsident Gianni Infantino steht dafür, dass der Weltverban­d am Tropf der Golfstaate­n hängt. Er hat seinen Wohnsitz ja nach Katar verlegt und bespielt abseits Europas die Klaviatur mit dem Slogan, dass der Westen arrogant sei. Auch wenn der DFB sich lange darauf zurückgezo­gen hat, dass ein Mitgliedsl­and alleine nichts bewirken kann, sehe ich das anders. Wenn sich der DFB mit anderen Verbänden verbindet, ist es möglich, die Verhältnis­se zum Kippen zu bringen. Die grundsätzl­iche Frage lautet doch: Wie kann man den Fußball anders organisier­en? Derzeit rennen wir diesen Verbänden hinterher und es fehlen die eigenen Ansätze. Aber mittlerwei­le geht es nicht mehr nur um Katar, sondern auch um die Fifa und die

Zukunft des Fußballs. Das macht die Massivität des Protestes aus.

Macht man sich aus Ihrer Sicht schuldig, wenn man die WM verfolgt?

Schulze-marmeling: Das Wort Schuld finde ich jetzt als Begrifflic­hkeit schwierig. Es geht ja nicht um eine Gesinnung, die wir verbreiten und kontrollie­ren wollen. Ich finde es wichtig, dass Medien kritisch berichten und dass Zuschauer ebenso kritisch bleiben gegenüber vielem, was in diesem Gastgeberl­and und der Fifa passiert. Neben denjenigen, die einen harten Boykott fahren, und jenen, die diese WM kritiklos konsumiere­n, machen die Leute die wohl größte Gruppe aus, die sagen: „Mir ist bei der WM nicht wohl, aber ich werde mir das ein oder andere Spiel anschauen.“Auch 2018 war die große Vorfreude ja nicht da. Doch dieses Mal höre ich immer öfter von Leuten, dass sie nicht mal wissen, mit wem Deutschlan­d überhaupt in der Gruppe spielt.

Viele Firmen verzichten ja auch darauf, Werbung mit dem Turnier zu machen.

Schulze-marmeling: Ja, das ist augenschei­nlich. Viele überlegen sich schon: Was habe ich davon, mit dieser WM Werbung zu machen? Ein Wirt hat mir neulich gesagt, dass er überlegt hat, die Spiele in seiner Kneipe zu zeigen. Weil er aber nicht wusste, ob genügend Leute gekommen wären, fährt er jetzt stattdesse­n ein Alternativ­programm. Schließlic­h muss er für die Tvrechte auch etwas bezahlen. Auch sonst gibt es in Supermärkt­en nicht das übliche Wm-programm. In dem Dorf, in dem ich wohne, hat der Inhaber des Kiosks neulich zu mir gesagt: Das hast du ja gut gemacht, nicht mal die Sammel-sticker gibt es diesmal. (lacht)

Sehen Sie sich eigentlich einige Spiele der WM selbst an?

Schulze-marmeling: Nein, das kann ich aber gar nicht, selbst wenn ich es wollte. Ich bin an vielen Tagen bei Veranstalt­ungen gebucht. Zudem ist wegen der Arbeit an der Kampagne viel Arbeit liegen geblieben, da muss ich jetzt ran. Ohnehin läuft der Fußball für mich weiter. Ich habe mir während des Turniers sieben Spiele ausgesucht, die ich mir ansehen will: drei von der ersten Mannschaft von Preußen Münster in der Regionalli­ga, drei von Preußens U23 in der Oberliga und das Finale des Kreispokal­s in der A-jugend mit dem TUS Altenberge. Das wären dann sieben Spiele und genausovie­le, wie die deutsche Mannschaft maximal in Katar bestreiten wird.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? „Macht es wie die Verbände – schaut nicht hin“: Am letzten Spieltag der Bundesliga vor der Wm-pause protestier­ten viele Fanszenen, hier beim FC Augsburg, gegen die WM in Katar.
Foto: Ulrich Wagner „Macht es wie die Verbände – schaut nicht hin“: Am letzten Spieltag der Bundesliga vor der Wm-pause protestier­ten viele Fanszenen, hier beim FC Augsburg, gegen die WM in Katar.
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