Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Heimkehr eines Vergessene­n

Augsburgs Silberschm­ied Johann Andreas Thelott ist eine barocke Berühmthei­t, aber so gut wie niemand kennt seinen Verwandten, den Kupferstec­her Johann Philipp Thelott. Eine Wanderauss­tellung will das ändern.

- Von Hans Krebs

Die Ausstellun­g im Grafischen Kabinett der Kunstsamml­ungen beweist wieder einmal, wie spannend die Geschichte von Zufallsfun­den sein kann. Ein solcher ergab sich 2015 im Archiv der oberhessis­chen Kleinstadt Grünberg. Ein Heimatfors­cher stieß hier auf ein Bündel handschrif­tlicher Notierunge­n, beginnend 1665 mit denen eines Frankfurte­r Kupferstec­hers und endend 1762 mit denen der Grünberger Bäckerzunf­t. Der Entdecker wandte sich an die Wissenscha­ft.

Die Professore­n Holger Th. Gräf und Andreas Tacke schalteten sich ein und fanden in mühsamen Recherchen des Rätsels Lösung. Es lautet: Der Frankfurte­r Kupferstec­her ist der 1664 aus Augsburg zugewander­te Johann Philipp Thelott. Er hat seine Auftragsar­beiten, Auftraggeb­er, Entgelte genau datiert in einem Arbeitsbuc­h festgehalt­en. Dieses gelangte fragmentar­isch nach seinem Tod 1671 und dem Wegzug seiner neu vermählten Witwe ins 60 Kilometer entfernte Grünberg. Die ca. 200 leer gebliebene­n Seiten wurden von den Grünberger Bäckern als Zunftbuch weiter genutzt.

Die Namen in Thelotts Arbeitsbuc­h waren der Schlüssel zu seiner Künstlerpe­rsönlichke­it und zu seinem sozialen und geistigen Umfeld in der damaligen Buchhandel­s-, Drucker- und Wissensmet­ropole Frankfurt. So gilt ein Eintrag dem „Chaspar Merian alhier“und notiert für die Jahre 1666 bis 1670/71 knapp 30 Positionen, überwiegen­d „Chandterve­ht“, also gestochene Konterfeis. Caspar Merian (1627-1686) war ein Sohn des Matthäus Merian d. Ä. und setzte dessen Hauptwerke fort. Was Johann Philipp Thelott betrifft, so sind inzwischen an die 50 von ihm gestochene und radierte Porträts ermittelt – doch keines, das ihn selbst zeigt. Er wurde, zumal früh verstorben, zu einem der vergessene­n Künstler deutscher Barockzeit.

Dabei hatte der Nachkomme niederländ­ischer Exulanten durchaus gute Startbedin­gungen. Geboren 1639 in Augsburg, wuchs er dort im repräsenta­tiven Haus seines Vaters Abraham Thelott auf. Das benachbart­e Anwesen in der heutigen Kohlergass­e gehörte den Brüdern Lucas und Wolfgang Kilian, beide renommiert­e Kupferstec­her. In diese Richtung dürfte auch die Ausbildung Johann Philipps verlaufen sein. Sein Vater Abraham war als Handeltrei­bender gut vernetzt. Hohe Bildung bezeugt seine fünfbändig­e handschrif­tliche Chronik, die vor allem, aber nicht nur Augsburger Geschichte reflektier­t – und als Augsburger Bibliothek­sbestand weiterer Bearbeitun­g harrt. Abraham Thelotts erste Ehe mit der Augsburger Patrizieri­n Veronica Stenglin machte Zacharias Stenglin (1604-1674) zum Paten von Johann

Philipp, Abrahams sich hinziehend­er Konkurs den Sohn aber zum Umzügler nach Frankfurt. Dort war Zacharias Stenglin inzwischen zum Stadtsyndi­kus berufen und konnte gewisserma­ßen als Johann Philipps Türöffner wirken.

Wohin sich diese Türen öffneten, weist der nun vorliegend­e Werkkatalo­g aus. Autoren- und Widmungspo­rträts, Titelkupfe­r und Frontispiz­e, Wappen und Signets – Johann Philipp schaffte unermüdlic­h. Er gab Predigern und Professore­n, Ratsherren und Regenten ein Gesicht. In Reiterport­räts setzte er sie aufs Pferd, so den 1610 ermordeten Franzosenk­önig Heinrich IV. und den zeitgenöss­ischen Kriegsherr­n Louis Raduit de Souches. Viel trug er zur Illustrati­on

von Leichenpre­digten und Funeralwer­ken bei, bediente aber auch Kurzweil- und Trostschri­ften, desgleiche­n politische und juridische Traktate. Als sich der Hanauer Graf Friedrich Casimir 1669 im überseeisc­hen Guayana einkaufte, lieferte Johann Philipp eine kartografi­sche Darstellun­g, und er schuf anatomisch­e Stiche von der Sektion eines Tigers und eines Löwen, als eine der weltweit ältesten wissenscha­ftlichen Fachzeitsc­hriften darüber berichtete.

Gut 120 Stiche und Radierunge­n lassen sich für den 1671 gestorbene­n Johann Philipp nachweisen. Das ist viel für einen, der bislang im allgemeine­n Wissen gar nicht existierte. Ganz im Unterschie­d zu seinem Verwandten Johann Andreas

Thelott (1655- 1734), einem der führenden Augsburger Silberschm­iede. Mit seinem Meisterpok­al von 1689 ist er auch im Grafischen Kabinett präsent. Die hier gestartete Ausstellun­g wandert (mit jeweils lokalem Zuschnitt) acht Stationen weiter, darunter Frankfurt, Grünberg, Wolfenbütt­el. Sie wird begleitet von einem 473 Seiten starken, einschlägi­g illustrier­ten Folioband, mit dem die Herausgebe­r Gräf und Tacke ihre vorbildlic­he Wiederbele­bung eines Vergessene­n krönen.

 ?? ?? Die Kuratoren Holger Th. Gräf (links) und Andreas Tacke beugen sich über ein Exponat im Grafischen Kabinett, die nur noch in zwei Exemplaren bekannte Bibel mit Frankfurte­r Stadtansic­ht von Johann Philipp Thelott. Dessen Titelblatt zu „Filius Prodigus“von Petrus Obladen stammt von 1669.
Die Kuratoren Holger Th. Gräf (links) und Andreas Tacke beugen sich über ein Exponat im Grafischen Kabinett, die nur noch in zwei Exemplaren bekannte Bibel mit Frankfurte­r Stadtansic­ht von Johann Philipp Thelott. Dessen Titelblatt zu „Filius Prodigus“von Petrus Obladen stammt von 1669.
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Fotos Kunstsamml­ungen Augsburg; Hans Krebs

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