Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Nach 26 Jahren ist Schluss für das „Albero Verde“
Mehr als ein Vierteljahrhundert lang prägte Antonio Fiorentino mit seinem Lokal die Gastronomie in Augsburg mit. Zum Jahresende schließt er – wenn auch nicht ganz freiwillig.
Antonio Fiorentinos Lokal ist ein Familienalbum. Die Fotos an den Wänden und auf den Tischen im Tresenbereich zeigen die Familie am Strand oder mit Gästen, die letzte Serie kam erst vor Kurzem hinzu – zum 66. Geburtstag des Chefs. Das alles passt zu diesem Lokal, das von Anfang an eben auch ein Familienbetrieb war. Doch diese Tradition geht nun, nach 26 Jahren, zu Ende: Am 31. Dezember wird Fiorentino die Türen des „Albero Verde“für immer schließen. Es war, sagt er, keine leichte Entscheidung, eine andere aber habe er aus vielen Gründen nicht treffen können. Eigentlich wäre damit fast alles gesagt, doch dann kommt der bärtige Wirt ins Erzählen – über seine Anfänge als Gläserspüler, die erfolgreichsten Jahre mit seinen Brüdern bis hin zur Zukunft, für die „Toni“einige Ideen hat ...
Es ist kurz vor zwölf Uhr an diesem Tag, die Vorbereitungen für den Mittagstisch sind getroffen, auf der Tageskarte stehen unter anderem Scaloppine in Gorgonzolasoße und traditionelle Lasagne. Die gibt es „beim Toni“nicht jeden Tag, denn ein herkömmliches italienisches Restaurant wollte das „Albero Verde“nie sein. „Wir haben nach dem Motto angefangen: Wir nehmen die Rezepte, die die Mama gut gekonnt hat, und setzen sie so um, dass man sie für Gäste auf den Teller bringen kann“, erzählt Fiorentino. Wie meistens im Lokal trägt er eine Weste über weißem Hemd und ein gemustertes Halstuch. Etwas aber ist anders diesmal, denn der Wirt, der manchmal auch etwas bärbeißig sein konnte, hält immer wieder kurz inne. Dass er sein Lokal nach 26 Jahren schließen wird, bewegt ihn. Und ganz freiwillig hat er diesen Entschluss auch nicht getroffen.
Die Schwierigkeiten kamen mit der Pandemie und den Lockdowns. Zwar bekam auch das „Albero Verde“staatliche Hilfen für den Einnahmeausfall, doch dieser wurde dadurch nur teilweise kompensiert, sagt der Chef. Das wäre kein Problem, wäre nach Corona alles so weitergegangen wie vorher. Ging es aber nicht.
Wie andere Restaurants auch bekam Fiorentino Schwierigkeiten, gutes Personal zu finden. Dann fielen die Parkplätze weg, die er in der Nähe der Volkshochschule zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Auch die Essgewohnheiten der Gäste haben sich geändert. „Früher konnten wir die Tische abends in zwei Schichten belegen, heute wollen die Leute um 18 Uhr essen und spätestens um 21 Uhr ist nichts mehr los.“Eine weitere Entwicklung beeinflusste den Entschluss: „Die steigenden Energiekosten geben uns nun den Rest“, erzählt der Chef. Und etwas leiser: „Am besten wäre es gewesen, gleich beim ersten Lockdown zuzumachen.“
Fiorentino arbeitet in der Gastronomie, seit er mit 15 Jahren mit seinem Vater aus Apulien nach Deutschland kam. Ohne deutschen Schulabschluss, sagt er, hätte er anderswo keine Anstellung gefunden, also begann er als Gläserspüler im Ristorante Milano. „Das war ein schönes Leben“, sagt er augenzwinkernd. „Ich sah gut aus, es gab gutes Trinkgeld, man hatte viel Freizeit.“
Doch bald entdeckte er die Liebe zum Kochen. Mit Kollegen aus dem Milano begann Fiorentino, sich in die italienische Küche einzulesen. „Wir haben miteinander an neuen Rezepten und Ideen gearbeitet, die wir von Reisen nach Italien mitbrachten. Carpaccio zum Beispiel, das gab es in Deutschland damals nicht.“Irgendwann beschloss er, ein eigenes Restaurant zu eröffnen: das „Albero Verde“am Schmiedberg – ein Herzenswunsch und ein Familienprojekt. 1995 wurde eröffnet.
Fiorentinos Brüder Salvatore und Cosimo waren von Anfang an dabei, ebenso Mutter Anna. „Sie hat uns immer beobachtet, oft auch kritisiert, aber sie hat uns machen lassen“, erinnert sich Toni Fiorentino. Während seine Brüder in der Küche standen, war er der Mann für den Service. Nicht alles lief immer optimal: „Salvatores erstes paniertes Schnitzel war eine Tragödie“, sagt Fiorentino lachend. Doch die Familie arbeitete schnell sehr erfolgreich. Gäste erinnern sich an die Rindsrouladen oder das Zicklein della Mama. „Damals kamen die Gäste noch um 23 Uhr und wollten etwas essen“, sagt Fiorentino. Für die Familie, die schon morgens im Lokal die Soßen vorbereitete oder auf dem Stadtmarkt frische Waren kaufte, waren es lange Tage. Lange und glückliche.
Cosimo Fiorentino ging irgendwann nach Italien zurück, für Salvatore und Antonio Fiorentino kam 2010 der Umzug ins Wolfsgässchen. Vor gut drei Jahren stieg auch Salvatore aus, aus gesundheitlichen Gründen. „Seitdem merke ich immer mehr, wie schwierig es ist, alles allein zu machen.“Dass seine Tochter Anna fast täglich mit im Lokal steht und seine Frau Ingrid hinter den Kulissen Hand anlegt, sei eine große Hilfe. Dennoch sei nun die Zeit für einen Schlussstrich gekommen: Ende Dezember schließt das „Albero Verde“für immer seine Pforten. „Ich verspreche unseren Gästen aber, dass wir bis zur letzten Sekunde so für sie da sind wie in den letzten 26 Jahren“, sagt Fiorentino. Mit 66 Jahren ist er zwar bereits Rentner und geht nun offiziell in Ruhestand. „Zu ruhig darf es aber nicht werden. Wenn man das ganze Leben lang gearbeitet hat, was macht man dann? Stehenbleiben jedenfalls ist nichts für mich.“
Und so plant Fiorentino seine nächsten Schritte. Der Friedberger könnte sich ein kleines Café in seinem Wohnort vorstellen. „Eines, das von 9 bis 18 Uhr geöffnet hat.“Vielleicht aber wird er auch anderswo in der Gastronomie wieder auftauchen. Bis er diese Entscheidung getroffen hat, wird er erst einmal den Grünen Baum – so heißt das Lokal auf Deutsch – zu einem guten Ende bringen. „Ein bisschen Angst habe ich allerdings vor dem Ausräumen hier, davor, all die Erinnerungsstücke mitzunehmen und einzulagern.“Das „Albero Verde“, es ist nun mal ein Familienalbum ...