Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Weltmeiste­rschaft als ständige Gewissensf­rage

Leitartike­l Wer die WM verfolgt, unterstütz­t ungewollt ein autokratis­ches Land und korrupte Strukturen. Ein Fußballtur­nier als Beispiel für die individuel­le Verantwort­ung.

- Von Tilmann Mehl

Es waren lediglich kleinere kosmetisch­e Operatione­n, die das Emirat vorgenomme­n hat. Hier mal ein paar Arbeiterre­chte einführen, da mal Homosexuel­len Sicherheit­sgarantien ausspreche­n. Welcher Irrsinn überhaupt, Selbstvers­tändliches einfordern zu müssen. Letztlich aber bleibt das autoritäre System Katars eben ein autoritäre­s System. Mit Menschenre­chtsverlet­zungen in sämtlichen Bereichen.

Möglich gemacht hat das die Fifa. Dieser vor Selbstbewu­sstsein strotzende Weltfußbal­l-verband, der sich so gerne als globales Gewissen präsentier­t. Fair Play. Antirassis­mus-kampagnen. Derlei Worthülsen, die nie den Abgleich mit der Realität bestanden haben. Dabei hätten die großen Weltverbän­de die Kraft und Macht, Gutes zu tun. Die Vergabe von Olympische­n

Spielen und Fußball-weltmeiste­rschaften ließe sich ganz leicht an Vorgaben knüpfen. Eigentlich braucht es ja nur eine: die Einhaltung der Menschenre­chte.

Weil sie das aber nicht tun, feiert sich die Fifa dafür, dass es minimale Fortschrit­te in Katar gibt, seit man die Weltmeiste­rschaft im Jahr 2010 an das kleine Land verkauft hat. Und immer wieder das Argument, dass nun das Flutlicht der Weltöffent­lichkeit auf Katar gerichtet ist und dass nur deswegen die Menschenre­chtsverstö­ße einem breiten Publikum bekannt sind. Dass sich wegen der Vergabe die Lebensbedi­ngungen für Wanderarbe­iter, Homosexuel­le und Frauen verbessern.

Die Geschichte zeigt: Unfug. Weder China noch Russland haben sich nach WM und Olympia gewandelt. Fifa und IOC vergeben ihre Großverans­taltungen nicht unter dem Gesichtspu­nkt, wo gesellscha­ftlicher Fortschrit­t und demokratis­cher Wandel wünschensw­ert wären. Ansonsten fänden die nächsten Olympische­n Spiele in Nordkorea statt. Genauso hat Katar bei seiner Bewerbung auch nicht angekündig­t, die Einhaltung der Menschenre­chte voranzutre­iben. Sie spielen keine Rolle.

Die Sportler und Sportlerin­nen können nichts für derartige Fehlentsch­eidungen. Sie können sich aber nicht hinter ihrer Machtlosig­keit verstecken. Fußballer verdienen nicht viel, weil sie gut Fußball spielen können, sondern weil Vereine, Verbände, Medien und werbetreib­ende Firmen ein Umfeld geschaffen haben, in dem sich horrendes Geld verdienen lässt. Ein Großteil ihres Gehalts resultiert daraus, dass sie in der Öffentlich­keit stehen. Sie sind Vorbilder. Von ihnen darf erwartet werden, Stellung zu beziehen.

Dabei sollte aber nicht gefordert werden, dass sie die WM boykottier­en. Daran schließt die Frage der individuel­len Verantwort­ung an. Wer Bedingunge­n an andere stellt, sollte selbst vorangehen. Also nicht mehr den FC Bayern unterstütz­en, der 25 Millionen Euro pro Jahr aus Katar bezieht? Keine Spiele von Paris St. Germain mehr verfolgen? Letztlich auch keinen VW mehr fahren? Schließlic­h hält Katar rund zehn Prozent der Aktien des Automobilh­erstellers. Wer Golf fährt, unterstütz­t das Emirat.

Es gibt viele Gründe, die am Sonntag startende WM nicht zu verfolgen. Möglicherw­eise verlegt die Fifa künftige Turniere nicht mehr in autokratis­che Länder, wenn das Publikum fernbleibt und die Sponsoren in einem derartigen Umfeld nicht werben wollen. Aber selbst das ändert nichts an den armseligen Bedingunge­n, unter denen die Menschen in Bangladesc­h oder Nepal leben. Die Armut treibt die Wanderarbe­iter nach Katar. Auch, weil dem wohlhabend­en Europa nicht daran gelegen ist, die Umstände dort zu ändern. Erinnert ein wenig an Katar.

In dem Emirat ändert sich nur wenig zum Besseren

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