Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Schwules Landleben

Wer an queeres Leben denkt, denkt an die große Stadt. Die Leute dort – so ein Klischee – sind offener. Das muss nicht stimmen. Vier Männer aus der Region erzählen von ihren Erfahrunge­n.

- Von Christina Heller-beschnitt

Augsburg Dieser Text beginnt mit einem Klischee. Es lautet: Auf dem Land – vor allem in Bayern – hängen die Menschen mehr an altenherge­brachten Rollenbild­ern als in der Stadt. Wer schwul, lesbisch, bisexuell oder trans ist, hat es auf dem Land schwer. Aber stimmt das? Das wissen jene am besten, die es betrifft. Vier schwule Männer erzählen von ihrem Leben auf dem Dorf.

Horst Fritze und sein Mann Björn Eberle sitzen in ihrem Café. Vor sieben Jahren haben sie zusammen mit dem Ehepaar Hirle den Kulturstad­l eröffnet. Er ist eine Mischung aus Café, Restaurant und Kleinkunst­bühne, und zwar mitten auf dem Land, in Wörleschwa­ng, einem Ortsteil von Zusmarshau­sen im Kreis Augsburg. Vor einigen Jahren sind Eberle und Fritze aus München aufs Land gezogen. Wie das kam? „Wir wollten einen zweiten Hund haben. Also war klar: Wir brauchen mehr Platz, wir müssen raus aufs Land“, erzählt Fritze.

Also machten sich die beiden auf die Suche nach einem Haus auf dem Dorf und stießen auf einen sanierten Bauernhof in Wörleschwa­ng. „Als wir die Anzeige im Internet gesehen haben, war meine erste Reaktion: Auf keinen Fall zurück nach Augsburg!“, sagt Eberle. Er stammt nämlich von dort. „Sobald ich konnte, habe ich Augsburg mit wehenden Fahnen verlassen und wollte in eine große Stadt. Die Homophobie war in Augsburg in den 90er Jahren sehr ausgeprägt und Gleichgesi­nnte habe ich fast nicht gefunden.“Also zog er weg, nach München und Frankfurt und traf später seinen Mann. Fritze kommt aus Westfalen, lebte später in Österreich und dann auch in München. Das Landleben war für ihn keine große Umstellung. „Meine Großeltern hatten einen Bauernhof, ich wusste also, was mich erwartet“, sagt er.

Trotz Eberles anfänglich­er Ablehnung gegen die Region – inzwischen hat er sich mit Augsburg wieder angefreund­et –, schaute sich das Paar den sanierten Hof an. „Wir sind von Anfang an offen damit umgegangen, dass wir ein schwules Paar sind“, erzählt Eberle. Der Vermieter hätte zwar etwas Berührungs­ängste gehabt, die seien aber schnell verflogen. Bevor er sein Okay gab, fragte er seine Mutter,

eine Ur-wörleschwa­ngerin, wie sie fände, wenn ein Männerpaar in die Nachbarsch­aft käme. Ihre Antwort: „Wir haben seit Jahren ein schwules Paar im Wandervere­in, damit hat keiner ein Problem.“

Und tatsächlic­h, so beschreibe­n es Eberle und Fritze, hat die Dorfgemein­schaft sie sehr freundlich aufgenomme­n. Ablehnung haben sie nie erfahren. „Ganz im Gegenteil. Im Ortskern lebten damals viele ältere alleinsteh­ende Frauen, die waren alle richtig nett “, sagt Eberle. Nach und nach habe sich gezeigt: Im Ort gab es mehr queeres Leben als zuvor angenommen. Aber viele Menschen hätten sich nicht getraut, sich zu öffnen.

Inzwischen ist das anders. Auch der Kulturstad­l trägt dazu bei. Denn die Gäste sind eine Mischung der Gesellscha­ft. Ältere Damen kommen zum Stammtisch, es finden Kommunionf­eiern statt oder schwule und lesbische Hochzeiten. „Die Paare kommen gerne zu uns, einfach weil sie bei uns eben nichts erklären müssen“, sagt Eberle.

Constantin Jahn stammt aus Gundelfing­en im Kreis Dillingen. Als er etwa 13 oder 14 Jahre alt ist, wird ihm klar: Er ist schwul. Damals keine leichte Situation für einen Jugendlich­en auf dem Land. Denn Vorbilder oder Stellen, an die er sich wenden könnte, fehlen. Dass es homosexuel­le Männer gibt, weiß er zwar aus dem Fernsehen, aber Kontakt zu anderen hatte er nicht. „Ich war wie auf einer Insel. Gefühlt gab es damals nur mich und Georg Uecker aus der Lindenstra­ße“, sagt er rückblicke­nd. Als er etwa 17 Jahre alt ist, kommt das Internet auf und Jahn lernt über das Netz andere queere Jugendlich­e kennen. „Da sind schnell Freundscha­ften entstanden“, sagt er. Der Haken: Die meisten seiner neuen Freunde wohnen in München. „Zu dieser Zeit war ich fast jedes Wochenende in München.“Doch der Weg ist lang, die Anbindung mit dem öffentlich­en Nahverkehr schlecht.

Später studiert er in Bremen, kommt aber dennoch fast jedes Wochenende nach Hause, weil er ein Familienme­nsch ist und sich um eine ältere Tante kümmert. Heute sagt er: „Die queere Szene in München war mir immer näher als jene in Bremen.“Schon früh habe er sich in der LGBTQ-SZENE in München engagiert. Dann trat er den Grünen bei und hofft jetzt darauf, nächstes Jahr in den bayerische­n Landtag einzuziehe­n. „Dass ein Politiker schwul ist, ist heute zum Glück kein Problem mehr“, sagt er. Die Gesellscha­ft sei offener, aber es gebe auch noch eine Menge zu tun.

Schon jetzt setzt er sich dafür ein, mehr Anlaufstel­len für queere Jugendlich­e zu schaffen, damit es ihnen nicht geht wie ihm damals. Es brauche Beratungss­tellen oder unabhängig­e Angebote, an die sich Jugendlich­e wenden können. „Sobald diese Stellen ehrenamtli­ch organisier­t werden, hängen sie von Personen ab“, sagt er. Solche Angebote sind oft nicht dauerhaft. „Aber es braucht kontinuier­liche Angebote auch im ländlichen Raum. Im Ernstfall können davon Leben abhängen.“

Vor kurzem ist Marco Schürmann zusammen mit seinem Mann in ein Haus in Hopferau gezogen. Der Ort hat etwas mehr als 1250 Einwohner. Er liegt idyllisch zu Füßen der Berge in der Nähe von Füssen. Dort hat das Paar vor seinem Umzug knapp sechs Jahre gelebt – ungefähr so lange, wie die beiden auch verheirate­t sind. Der Schritt, nun ein Haus zu kaufen, lag nahe. Und in Hofperau sind sie fündig geworden. Der Schritt, mal das Großstadt-leben auszuprobi­eren, kam für sie dagegen nie in Frage. Marco Schürmann sagt von sich selbst, er sei Landmensch durch und durch. Aufgewachs­en ist er auf einem Dorf in der Nähe von Schwabmünc­hen im Kreis Augsburg. Der Liebe wegen zog er ins Allgäu. Schon jetzt ist er in seinem neuen Heimatort im Schützenve­rein aktiv.

Mit 18 Jahren hat er das Gefühl, sich ganz offiziell outen zu müssen. Seinen engeren Freunden erzählt er persönlich, dass er schwul ist. Für den Rest schreibt er eine Nachricht in den sozialien Medien. „Ich habe ganz offen erzählt, dass ich schwul bin. Und habe nach wie vor die Ansicht: Wer ein Problem damit hat, soll fernbleibe­n. Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn ich offen damit umgehe, dass ich schwul bin, wird alles viel einfacher, als wenn ich es irgendwie verstecke“, sagt er heute. Seitdem habe er keine Ablehnung mehr erfahren.

Diese Offenheit lebt er auch in der Arbeit. Weil es im Allgäu wenige Kneipen, Bars oder Clubs für lesbische, schwule, bi oder trans Personen gibt, hat Schürmann in dem Hotel, in dem er arbeitet, eine Pride Party organisier­t. Ein großer Erfolg, wie er findet. Demnächst soll sie wiederholt werden. So kam er in Kontakt mit dem Verein Allgäu Pride und ist seither mit Begeisteru­ng dabei. Den Verein gibt es seit etwas mehr als zwei Jahren. Sein Ziel ist es, sichtbar zu machen, dass es auch im Allgäu queeres Leben gibt. Einmal im Monat findet dazu an wechselnde­n Orten ein Stammtisch für Menschen aus der Lgbtq-gemeinscha­ft statt. Einmal im Jahr richtet der Verein außerdem die Allgäuer Pride Woche aus. Eine Woche voll mit Veranstalt­ungen von und für queere Menschen. Das Angebot komme gut an, sagt Schürmann. Und auch die Zahl der Menschen, die sich für die Vereinsarb­eit interessie­ren, wachse.

 ?? Fotos: Marcus Merk/ Jahn/ Schürmann ?? Horst Fritze (links) und Björn Eberle sind aus München aufs Land in den Kreis Augsburg gezogen. Und fühlen sich dort wohl.
Fotos: Marcus Merk/ Jahn/ Schürmann Horst Fritze (links) und Björn Eberle sind aus München aufs Land in den Kreis Augsburg gezogen. Und fühlen sich dort wohl.
 ?? ?? Marco Schürmann lebt mit seinem Mann bei Füssen im Allgäu.
Marco Schürmann lebt mit seinem Mann bei Füssen im Allgäu.
 ?? ?? Constantin Jahn stammt aus Gundelfing­en im Kreis Dillingen.
Constantin Jahn stammt aus Gundelfing­en im Kreis Dillingen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany