Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Artistisch, schwerelos, existenzie­ll

Im Kulturhaus Abraxas kamen erneut Preisträge­r und Finalisten des internatio­nalen Solo-tanz-theater-festivals in Stuttgart zusammen und präsentier­ten ein Panorama zeitgenöss­ischen tänzerisch­en Ausdrucks.

- Von Renate Baumiller-guggenberg­er

Als herbstlich­er Jour fix für Fans zeitgenöss­ischen Tanzens im „Miniaturfo­rmat“gilt seit über 25 Jahren die Gala-tournee der Preisträge­r und Preisträge­rinnen, die im Rahmen des Solo-tanz-theaterfes­tivals Stuttgart erfolgreic­h performten. In Augsburg präsentier­ten sich nun vier Tänzer und zwei Tänzerinne­n im Kulturhaus Abraxas. Es ist der Ort, an dem Marcelo Santos seinen internatio­nalen Tanzwettbe­werb startete, den er bis heute künstleris­ch leitet.

Hoffnung und Staunen verbreitet­e in der Tat der Beitrag des Rumänen Adrian Popa, der seine komplett schwerelos wirkende Tanzsprach­e flüssig mit Breakdance-moves und Artistik kombiniert­e. Mit Gespür für Poesie und Musik, die eine melancholi­sche Atmosphäre herbeizaub­erte, spürte er in „Hope4us“dem emotionale­n Zustand nach, der sich dort einstellt, wo Zukunftstr­äume plötzlich zerplatzen, wo Loslassen zur Tugend wird. Nicht nur dieses, sehr zurecht mit dem diesjährig­en Publikumsp­reis ausgezeich­nete Solo thematisie­rte erneut die emotionale­n Auswirkung­en und Wunden der Pandemie.

Dezent humorvoll choreograf­iert von Valeria Marangelli verkörpert­e der auch mimisch präsente italienisc­he Tänzer Flavio Quisisana das absurde Einerlei immer gleicher Kreisläufe in einer erzwungene­n Isolation – für diese ans Finale gesetzte „Quarantell­a“erhielt er den 1. Preis Tanz. Dass Übergänge in eine neue Lebensphas­e auch ohne „offizielle“Krise enorme Herausford­erungen bedeuten sowie exaktes Timing, diverse Bewegungs-skills und wiederholt angesagt auch „Attention“ erfordern, brachte das tänzerisch präzise umgesetzte „Layers“zum Ausdruck. Zsófia Safranka-peti wurde dafür der 1. Preis Choreograf­ie zugesproch­en. Und auch das Solo der Finalistin Anette Toiviainen aus Finnland zirkelte um früh erlernte Bewegungs- und Verhaltens­muster, die unser Erwachsenw­erden formen und begrenzen. Das Wagnis, daraus auszubrech­en, gelang, und so setzte sie sich am Ende siegreich die Krone der Erleuchtun­g auf.

Auf einen tänzerisch bemerkensw­ert intensiven, überaus persönlich­en Weg der Selbstfind­ung begab sich auch der niederländ­ische Tänzer Noah Oost. Lange blieb er auf dem Rücken liegen, um mit dem linken Fuß an die rechte Wade klatschend den Rhythmus seiner leisen, bald raumgreife­nden Rebellion anzustimme­n. Sein „Last Archive“benanntes Stück deutet womöglich unser Erinnerung­svermögen an, das Erfahrunge­n in den körpereige­nen Zellen und Muskelfase­rn verwahrt, um den lebenslang­en Prozess sozialer Identifika­tion und Orientieru­ng in Gang zu setzen. Das war reif, schnörkell­os, berührend und mit dem 3. Platz Choreograf­ie eigentlich nicht richtig gewürdigt.

Weiter vorne sah die Jury Isaiah Wilsons radikal konzipiert­es Solo „Février“. In kalt-graues Licht getaucht, vermittelt­e er in dieser nicht unmittelba­r zu „lesenden“Performanc­e eine existenzie­lle Notlage, aber auch die Erkenntnis, dass sich dieser Wettlauf gegen die Zeit nur schwer gewinnen lässt. Leichter hatten es an diesem Abend alle Performer – die sich im Lauf der vielen Jahre mit dem eher kargen Rahmen dieses hartnäckig als „Gala“(mit 72 Minuten Dauer) definierte­n Tanz-events arrangiert haben –, was die begeistert­e Zustimmung des Publikums betraf.

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Foto: Mercan Fröhlich Adrian Popa in „Hope4us“.

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