Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kinder haben keine Lobby
Am Sonntag ist der Tag der Kinderrechte. Die aber stehen weder im Grundgesetz, noch werden sie von der Politik wirklich ernst genommen.
Wären Kinder Autos, ginge es ihnen vielleicht in Deutschland etwas besser. Der TÜV passt auf, dass technisch alles rund läuft. Falls nicht, kümmern sich Werkstätten mit gut bezahltem Fachpersonal um die Reparaturen. Parkplätze werden in Bebauungsplänen per Verordnung extra ausgewiesen. Und um leidige Themen wie Tempolimit, die PKW-MAUT oder die Benzinpreise kümmern sich lautstark und medienwirksam Lobbyverbände wie der ADAC – oder notfalls auch die FDP.
Kinder sind aber keine Autos. Sie haben zwar die Stimme ihrer Eltern, jedoch keine Lobby, die für sie laut schreit, wenn etwas nicht rund läuft. Und es gäbe da zurzeit sehr viel zu schreien. Also los:
Erster Schrei: Am Sonntag ist der Tag der Internationalen Kinderrechte, und Deutschland schafft es seit Jahren nicht, diese in der Verfassung zu verankern. Natürlich gilt das Grundgesetz auch für Menschen unter 18 Jahren – indem aber die Kinderrechte mit aufgenommen werden, würde die Politik ein Zeichen setzen: dass auch die Noch-nicht-wählerinnen und -Wähler wichtig sind, dass auch in ihrem Sinne entschieden werden muss und der Staat die Kinder mit beschützt.
Stattdessen streiten Erwachsene aus der Politik, ob das Kindswohl im Grundgesetz nun „angemessen, „wesentlich“oder „vorrangig“berücksichtigt werden soll, und kommen in der eigentlichen Sache nicht weiter. Problem dauergeparkt. Das ist nicht nur zum Schreien, das ist sogar zum Weinen. Wie soll man einem Kind Hoffnung machen, dass die Politik Lösungen für die globale Klimakrise findet, wenn sie schon an winzigen Wörtern scheitert?
Vielleicht würde ein „vorrangig“beim Regieren „helfen“, weil es verpflichtet, das Kindswohl zu berücksichtigen. An einem Tempolimit auf Autobahnen oder der Abschaffung des Dienstwagenprivilegs führte dann kein Weg vorbei – beides ist klimaschädlich. Leider ist es aber so: Beim Schutz des Vollgasfahrens ist sich Berlin schneller einig als beim Schutz des Kindswohls. Das zeigt: Die Klimakrise ist auch eine Krise der Kinderrechte. Politik, die nicht alles Menschenmögliche tut, um den Planeten zu retten, verstößt sogar gegen eines der wichtigsten Rechte unzähliger Kinder weltweit: das Recht auf Leben. Zeit für einen sehr, sehr lauten Zwischenschrei.
Apropos Zukunft. Noch ein Grund zum Schreien: Das deutsche Bildungssystem mutiert zu einer großen Flickschusterei. Zahlreiche Schulen sind in einem maroden Zustand. Es fehlen Fachkräfte – auch in Kindertagesstätten. Es gibt nicht genügend Kita- und Hortplätze. Anstatt die Probleme fundiert anzugehen – mehr Lehramtstudienplätze etwa, höhere finanzielle Anreize für Kinderpfleger oder Erzieherinnen –, werden nun per „Experimentierklausel“im Freistaat einige Löcher mit fachfremdem Personal gestopft oder Kita-gruppen vergrößert. Hauptsache geparkt. Mit dieser Notlösung würde Bayern durch jeden Bildungs-tüv fallen. Dabei sind diese Orte der Bildung für die Gesellschaft elementar wichtig. Junge Menschen bekommen dort idealerweise auch Sozialkompetenz, Kommunikationsregeln, Demokratieverständnis, Debattenkultur, Sprachkenntnisse und Toleranz vermittelt. Bildung ist so viel mehr als rechnen, schreiben, lesen lernen. Wer hier spart, spart an der Zukunft unseres Landes.
In Kinderangelegenheiten gilt in Deutschland leider ein politisches Tempolimit. Dabei haben Kinder politisches Vollgas verdient, und zwar vorrangig.
Bildung ist mehr als rechnen, schreiben, lesen lernen