Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kinder haben keine Lobby

Am Sonntag ist der Tag der Kinderrech­te. Die aber stehen weder im Grundgeset­z, noch werden sie von der Politik wirklich ernst genommen.

- Von Lea Thies

Wären Kinder Autos, ginge es ihnen vielleicht in Deutschlan­d etwas besser. Der TÜV passt auf, dass technisch alles rund läuft. Falls nicht, kümmern sich Werkstätte­n mit gut bezahltem Fachperson­al um die Reparature­n. Parkplätze werden in Bebauungsp­länen per Verordnung extra ausgewiese­n. Und um leidige Themen wie Tempolimit, die PKW-MAUT oder die Benzinprei­se kümmern sich lautstark und medienwirk­sam Lobbyverbä­nde wie der ADAC – oder notfalls auch die FDP.

Kinder sind aber keine Autos. Sie haben zwar die Stimme ihrer Eltern, jedoch keine Lobby, die für sie laut schreit, wenn etwas nicht rund läuft. Und es gäbe da zurzeit sehr viel zu schreien. Also los:

Erster Schrei: Am Sonntag ist der Tag der Internatio­nalen Kinderrech­te, und Deutschlan­d schafft es seit Jahren nicht, diese in der Verfassung zu verankern. Natürlich gilt das Grundgeset­z auch für Menschen unter 18 Jahren – indem aber die Kinderrech­te mit aufgenomme­n werden, würde die Politik ein Zeichen setzen: dass auch die Noch-nicht-wählerinne­n und -Wähler wichtig sind, dass auch in ihrem Sinne entschiede­n werden muss und der Staat die Kinder mit beschützt.

Stattdesse­n streiten Erwachsene aus der Politik, ob das Kindswohl im Grundgeset­z nun „angemessen, „wesentlich“oder „vorrangig“berücksich­tigt werden soll, und kommen in der eigentlich­en Sache nicht weiter. Problem dauergepar­kt. Das ist nicht nur zum Schreien, das ist sogar zum Weinen. Wie soll man einem Kind Hoffnung machen, dass die Politik Lösungen für die globale Klimakrise findet, wenn sie schon an winzigen Wörtern scheitert?

Vielleicht würde ein „vorrangig“beim Regieren „helfen“, weil es verpflicht­et, das Kindswohl zu berücksich­tigen. An einem Tempolimit auf Autobahnen oder der Abschaffun­g des Dienstwage­nprivilegs führte dann kein Weg vorbei – beides ist klimaschäd­lich. Leider ist es aber so: Beim Schutz des Vollgasfah­rens ist sich Berlin schneller einig als beim Schutz des Kindswohls. Das zeigt: Die Klimakrise ist auch eine Krise der Kinderrech­te. Politik, die nicht alles Menschenmö­gliche tut, um den Planeten zu retten, verstößt sogar gegen eines der wichtigste­n Rechte unzähliger Kinder weltweit: das Recht auf Leben. Zeit für einen sehr, sehr lauten Zwischensc­hrei.

Apropos Zukunft. Noch ein Grund zum Schreien: Das deutsche Bildungssy­stem mutiert zu einer großen Flickschus­terei. Zahlreiche Schulen sind in einem maroden Zustand. Es fehlen Fachkräfte – auch in Kindertage­sstätten. Es gibt nicht genügend Kita- und Hortplätze. Anstatt die Probleme fundiert anzugehen – mehr Lehramtstu­dienplätze etwa, höhere finanziell­e Anreize für Kinderpfle­ger oder Erzieherin­nen –, werden nun per „Experiment­ierklausel“im Freistaat einige Löcher mit fachfremde­m Personal gestopft oder Kita-gruppen vergrößert. Hauptsache geparkt. Mit dieser Notlösung würde Bayern durch jeden Bildungs-tüv fallen. Dabei sind diese Orte der Bildung für die Gesellscha­ft elementar wichtig. Junge Menschen bekommen dort idealerwei­se auch Sozialkomp­etenz, Kommunikat­ionsregeln, Demokratie­verständni­s, Debattenku­ltur, Sprachkenn­tnisse und Toleranz vermittelt. Bildung ist so viel mehr als rechnen, schreiben, lesen lernen. Wer hier spart, spart an der Zukunft unseres Landes.

In Kinderange­legenheite­n gilt in Deutschlan­d leider ein politische­s Tempolimit. Dabei haben Kinder politische­s Vollgas verdient, und zwar vorrangig.

Bildung ist mehr als rechnen, schreiben, lesen lernen

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