Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Jung, attraktiv, sexy am Rhein
Die Kölner Kunstmesse Art Cologne findet erstmals wieder ohne Hygieneauflagen statt. Erfreulich übersichtlich zeigt und verkauft sie Kunst vor allem des 20. und 21. Jahrhunderts. Happig wird’s bei Joseph Beuys.
Köln Wie schwierig war es doch gewesen, auf Deutschlands größter Kunstmesse, der Art Cologne, nichts zu übersehen bei einem Rundgang! Nur wer konzentriertsystematisch die Gänge in Schlaufen mit harten Kehrtwendungen ablief, konnte einigermaßen sicher sein, keinen Kojen-einblick verpasst zu haben. Jetzt, bei der ersten auflagenlosen Art Cologne in Zeiten von Corona, ist die Übersichtlichkeit geradezu vorbildlich: Auf beiden Etagen sind zwei Carrés durch farbige Spur ausgewiesen, ein großes nah am Hallenrand, ein kleines im Hallenzentrum. Das kürzt die Gehwege deutlich ab.
„Nur“180 Galerien sind zu bewältigen. Corona hat für Umschichtungen gesorgt: weniger internationale Platzhirsche, dafür mehr deutsche Aussteller, auch aus dem sammelfreudigen Rheinland. Und wo einst ausschließlich die Klassische Moderne, Postwarund zeitgenössische Kunst gehandelt wurden, da erhalten Auftritt nun auch: alte Kunst aus Orient und Fernost, Schmuck, Antiquitäten. Es passiert, dass ein (bereits am ersten Messetag verkaufter) Corpus Christi von 1300 neben einer Zero-skulptur zu hängen kommt.
Worauf der potenzielle Käufer immer stärker achten muss, wonach er geradezu zu fragen hat: Gelten die ausgewiesenen Preise nun mit oder ohne 19-prozentige Mehrwertsteuer? Läuft der Handelsweg über das Ausland oder wird von privat an privat vermittelt? Alles hat seine steuerlichen Auswirkungen und die möchten zur Vermeidung unliebsamer Überraschungen eruiert sein.
Solch eine Überraschung stellte sich eh schon ein, pünktlich zur Vernissage: Ein Rechercheteam des Kultur und das Magazin hatten einmal nachgeguckt, welche Galerien wie stark vom Corona-hilfsprogramm „Neustart Kultur“unterstützt wurden, oder besser ausgedrückt: profitiert haben. Eigen + Art etwa aus Leipzig, wo Neo Rauch das beste Pferd im Stall ist, habe 2020 Hilfsgelder von 80.000 Euro eingestrichen – bei einem geschätzten Umsatzzuwachs von einer Million Euro.
Nicht faul also fragt man nach in Köln, am Stand von Eigen + Art. Die Dame ist freundlich, redet stotternd viel, sagt aber reinweg nichts. Auch Johann König, Berliner Star-galerist, stottert, verweist auf eine Galerie, die es noch ärger getrieben haben soll, ringt sich dann aber zu dem bemerkenswerten Satz durch: Das Förderprogramm sei nicht vom Umsatz abhängig gemacht worden. Tja, Corona hat für clevere Unternehmungen ohne Bedarfsprüfung gesorgt, ganz legal. Aber nicht anständig. Am Anfang der Wertschöpfungskette, im Atelier, wurde mancher als Solo-selbstständiger
Auf eines aber scheinen Corona und auch der Krieg keinen Einfluss gehabt zu haben: auf die Preise. Sie sind wohl nur in Ausnahmefällen gesunken, keinesfalls auf breiter Front. Was 2019 eh schon teuer war, wird nun noch höher gehandelt. Selbst kleine Zeichnungen von Arnulf Rainer sind im niedrigsten fünfstelligen Bereich nicht mehr zu erhalten (Galerie Ruberl, Wien). Und spätestens seit Christo nicht mehr lebt, wird er teurer und teurer. In mittlerweile vergilbtes, einst klares Plastik gehüllt, kostet ein Strauß gelber Rosen 80.000 Euro. 1993 war dieser mehr ein Mitbringsel für gute Freunde gewesen – denn ein Kunstwerk. Benden & Ackermann (Köln/düsseldorf) benachteiligt. verkaufen die Rosen – und dazu alles, was speziell im Pop-bereich attraktiv, sexy, ikonenhaft scheint: Tom Wesselmann, Roy Lichtenstein, Mel Ramos. Es schaut am riesigen Stand schon ein wenig nach farbenfroher Kaufhaus-markenware aus. Immerhin tanzt Warhol mit einem „Elektrischen Stuhl“aus der Reihe. Der Siebdruck kostet 65.000 Euro.
Um noch mal auf Mel Ramos und seine langhaarigen Nackedeis zurückzukommen: Auch Hilger/ Wien hat eine Frischgebadete als Ölgemälde im Angebot – und man staunt, dass diese sich in Gesellschaft eines nahezu gleich großen Nürnberger „Tucher“-weißbierglases darbietet (220.000 Euro).
Nun aber wird es happig. Ein Steinway-flügel, auf dem Joseph
Beuys bei einer seiner Performances Erik Satie spielte, auf den er auch einen Teller plus Spielkreisel ablegte und ein winziges braunes Kreuz malte, soll bei Bastian/ Berlin 5,2 Millionen kosten, netto wohlgemerkt. Da können sich die glücklich schätzen, die das Instrument nicht beherrschen und sich mit einer feinen, zarten Beuyszeichnung zufrieden geben, etwa „Zwei Actricen“(1958) für brutto 92.000 € (Schwarzer, Düsseldorf).
Drei Generation Ernst zeigt Die Galerie/frankfurt: Max Ernst unter anderem mit dem späten, abstrakt-dynamischen Gemälde „Les jeunes et les jeux twistent“(1,4 Millionen Euro), seinen Sohn Jimmy Ernst (1920–1984) mit eigenständiger Bildsprache (3000 bis 38.000 Euro) und seine Enkelin Amy Ernst (*1953), die in Bildaufbau, Motivik und Techniken dem Großpapa behutsam huldigt.
Wechsel in die obere Etage mit junger und jüngster Kunst. Drei Frauen stechen besonders ins Auge, weil ihre Kunst dezidiert für sich selbst spricht: die 82-jährige Wienerin Martha Jungwirth, die soeben in der Kunsthalle Düsseldorf eine viel gerühmte Ausstellung hatte (kleine Malereien bei Ropac/salzburg um die 60.000 Euro), die Irin Claire Morgan (*1980), die sich von toten Tieren inspirieren lässt und bei Greve/ Köln tief beeindruckende Zeichnungen von stürzenden, toten, ja verwesenden Vögeln zeigt (14.000 Euro), schließlich die blutjunge Sophie Heinrich, die es unter anderem bei Tal R und Elizabeth Peyton zum Düsseldorfer Meisterklassenabschluss gebracht hat.
1991 in Köln geboren, konstruiert Sophie Heinrich mehrteilige Wandarbeiten in Schwarz-weiß auf grober, beiger Leinwand, die ihre Spannung erhalten durch die Wechselwirkung von präzis gezogenen Geraden und freien, durchlebten, atmenden, sensiblen Pinselzügen. Überhaupt nicht verwunderlich: Die Bundesrepublik Deutschland griff in Form des Kulturstaatsministeriums von Claudia Roth am Abend des ersten Messetags zu und kaufte eine kleinere Arbeit bei Pfab/düsseldorf an.