Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Neuendorfs scharfe Worte für die Fifa

Der Dfb-präsident kritisiert den Weltverban­d massiv. Einen Brief von Verbandsch­ef Gianni Infantino habe er „irritiert und verstört“wahrgenomm­en. Einer möglichen Bestrafung blickt er gelassen entgegen.

- Von Tilmann Mehl

Al-ruwais Der Verband gibt sich auch äußerlich Mühe, Abstand zur Vergangenh­eit herzustell­en. Den Slogan „Die Mannschaft“hat man vor einigen Monaten einkassier­t, er wirkte vor allem in Zeiten des Misserfolg­s fehl am Platz. Vor vier Jahren in der Abgeschied­enheit Watutinkis prangte im Medienzent­rum noch der Hashtag #zsmnn in jenem Saal, in der der DFB seine Pressekonf­erenzen abhielt. Für die baulichen Begebenhei­ten ist der Deutsche Fußball-bund nicht in Haftung zu nehmen, doch glich der Raum arg einem Amphitheat­er. Hashtags und große Bühnen gibt es in dem funktional gehaltenen Medienzent­rum in Al-ruwais nicht. Im Norden Katars bereitet sich die deutsche Nationalma­nnschaft auf die für sie am kommenden Mittwoch startende Weltmeiste­rschaft vor.

Wie vor vier Jahren lud auch diesmal der Dfb-präsident zur Eröffnungs­pressekonf­erenz. Dass in Russland noch Reinhard Grindel pastoral im Amphitheat­er sprach, wirkt länger her als lediglich vier Jahre. Skandale, Macht- und Personalin­trigen haben den Verband altern lassen. Seit acht Monaten steht nun Bernd Neuendorf dem DFB vor. Und genau wie Grindel konnte auch er die WM nicht so starten, wie er es sich gewünscht hätte. Sollte Grindel noch die Thematik um Mesut Özil und Ilkay Gündogan einfangen (woran er krachend scheiterte), die dem türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan Trikots überreicht hatten, wollte und konnte auch Neuendorf seinen Blick nicht ausschließ­lich auf die sportliche­n Perspektiv­en des DFB- Teams richten.

Anders als Grindel scheint Neuendorf aber einen Plan zu haben, wie er mit einer äußerst sensiblen Thematik umzugehen gedenkt. Der 61-Jährige begegnet den Menschenre­chtsverlet­zungen in Katar und der tumben Sprachlosi­gkeit der Fifa mit einer für Funktionär­e ungewohnte­n Offenheit. Unlängst gab der DFB bekannt, dass er Fifapräsid­ent Gianni Infantino bei der kommenden Wahl im März nicht unterstütz­en will. Da es aber auch keinen Gegenkandi­daten geben wird, läuft der Verband so Gefahr, den Schweizer gegen sich aufzubring­en, ohne dass sich eine Alternativ­lösung auftun würde.

Noch wichtiger aber war Neuendorf, zusammen mit der Nationalma­nnschaft gegen den gar nicht mal so latenten Vorwurf vorzugehen, bei den bisherigen Äußerungen zu Menschenre­chtsverlet­zungen in Katar handle es sich lediglich um Symbolpoli­tik. Man habe sich in der Mannschaft gefragt: „Was können wir tun?“Die Überlegung­en führten zu einer Aktion, in der die Nationalsp­ieler über fünf Jahre hinweg jeweils 200.000 Euro an ein Sos-kinderdorf in Nepal zahlen. Etwa 400.000 Nepalesinn­en und Nepalesen arbeiten in Katar. Es gebe einen „enormen Migrations­druck“, so Neuendorf. Diese wolle man mindern, indem Geld in Bildung investiert wird. Er wollte aber nicht ausschließ­en, dass während der Weltmeiste­rschaft auch sichtbare Zeichen gegen Menschenre­chtsverlet­zungen gesetzt werden. So wird

Manuel Neuer aller Voraussich­t nach am kommenden Mittwoch gegen Japan auch mit der bunten „One Love“-kapitänsbi­nde auflaufen, die der Fifa eher weniger gut gefällt. Einer möglichen Geldstrafe des Weltverban­des sieht Neuendorf gelassen entgegen.

Offenbar hat Neuendorf Gefallen daran gefunden, die Fifa offen zu kritisiere­n. So führte er aus, dass er einen Brief Infantinos „irritiert und verstört“wahrgenomm­en habe, in dem der Schweizer dazu aufrief, für die Zeit der Weltmeiste­rschaft diese ganzen unliebsame­n Themen von wegen Menschenre­chte und Gedönse doch mal sein zu lassen. In Fahrt gekommen, äußerte er schließlic­h noch sein Unverständ­nis, dass die Fifa es der dänischen Nationalma­nnschaft verboten hat, Trikots mit der Aufschrift „Menschenre­chte für alle“zu tragen. Seiner Meinung nach handle es sich dabei nicht um eine politische Äußerung, sondern um eine Einstellun­g, die „allgemeing­ültig ist und die sich die Fifa in ihren Grundsätze­n auf die Fahne geschriebe­n“habe. Statt hier einzugreif­en, hätte man sich lieber zu den Protesten im Iran äußern sollen. „Diese mutigen Frauen verdienen Aufmerksam­keit und Unterstütz­ung“, so Neuendorf.

Es war eine ruhig im Ton, aber scharf in der Ausführung vorgetrage­ne Grundsatzr­ede. Es ist ein der Zeit angepasste­r Ton. Einer, wie man ihn jahrelang nicht vom DFB gehört hat, der sich ja nicht ganz zu Unrecht den Vorwurf gefallen lassen musste, bisher vornehmlic­h durch Sonntagsre­den statt klarer Worte bezüglich Fifa und Katar aufzufalle­n. Neuendorf nutzte dafür die große Bühne der Weltmeiste­rschaft. Um Fußball aber ging es nur am Rande. Nur so viel: „Ich bin überzeugt, dass wir einen positiven Auftakt haben und gegen Japan sicherlich gewinnen.“Aber das geriet zumindest am Freitag zur Nebensache.

Die WM auf die Ohren:

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Foto: Federico Gambarini, dpa

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