Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von Andrea Baumann

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Corinna H. trägt eine Halskette mit zwei ausgestanz­ten Füßchen und der Aufschrift „Mein kleiner Stern“auf dem Anhänger. Das Schmuckstü­ck hütet sie wie einen Schatz, ist es doch neben einem Ultraschal­lbild die einzige Erinnerung an ihr Kind. Die 34-Jährige verlor Ende August ihr Baby in der elften Schwangers­chaftswoch­e. Es starb im Mutterleib. „Missed abortion“(zu Deutsch: verhaltene Fehlgeburt) lautet der medizinisc­he Begriff dafür. Anders als bei einer normalen Fehlgeburt wird der Embryo nicht spontan vom Körper ausgestoße­n, sondern bleibt in der Gebärmutte­r. Für die junge Frau ist seither nichts mehr, wie es war. „Die Wochen nach der Diagnosest­ellung waren und sind noch immer die Hölle für mich. Niemand kann sich auch nur ansatzweis­e vorstellen, was Frauen körperlich und seelisch durchstehe­n müssen.“

Corinna H. will ihre Geschichte erzählen. Denn sie möchte ein Thema an die Öffentlich­keit holen, das von den betroffene­n Frauen und ihren Partnern häufig totgeschwi­egen wird, obwohl es keine Randersche­inung ist: Etwa 15 bis 20 Prozent der schwangere­n Frauen erleiden eine klinisch erkennbare Fehlgeburt, die meisten davon in den ersten drei Monaten nach der Empfängnis. „Die Dunkelziff­er frühester Schwangers­chaftsverl­uste liegt wahrschein­lich deutlich darüber“, sagt Dr. Roman Steierl, Chefarzt der Geburtshil­fe und des Brustzentr­ums der KJF Klinik Josefinum. Bei etwa der Hälfte der diagnostiz­ierten Aborte handle es sich um eine „Missed abortion“– wie bei Corinna H.

Sie erfährt im Sommer von ihrer Schwangers­chaft durch einen Selbsttest. Die Freude ist groß. „Wir haben das Kind geplant und gewollt“, sagt die 34-Jährige. In der siebten Woche wird das Ergebnis dann vom Gynäkologe­n bestätigt und eine Ultraschal­luntersuch­ung gemacht. „Ich konnte den Herzschlag hören und war total überwältig­t“, erinnert sie sich und schlägt ihr Schwangers­chaftsbuch auf, in dem nur auf der ersten Seite Einträge zu sehen sind – und das besagte Ultraschal­lbild.

Drei Wochen später geht die werdende Mutter zur nächsten Kontrolle. Diesmal dauert die Untersuchu­ng viel länger. Dann habe der Arzt den Kopf geschüttel­t und gemeint, es sehe nicht gut aus. „Das Herz schlägt nicht mehr“, sagt er zu seiner Patientin, für die in diesem Moment die Welt zusammenbr­icht. „Ich bekam lediglich noch eine Überweisun­g zur Ausschabun­g, mit den Worten ,beim nächsten Mal klappt’s bestimmt‘ und eine Krankmeldu­ng für eine Woche.“Corinna H. entscheide­t sich gegen die Ausschabun­g in der Klinik und für eine „stille Geburt“zu Hause, eingeleite­t durch Tabletten. Der Grund: „Ich wollte einmal mein Baby sehen, es so lange bei mir behalten, wie ich es brauche.“

Unter „heftigsten Wehen und Blutungen“bringt die junge Frau Ende August den etwa einen Finger großen Fötus zur Welt. Alleine, ihren Lebensgefä­hrten hat sie aus dem Bad geschickt. Lange betrachtet sie den elf Wochen alten toten Fötus („man hat schon alles an ihm erkannt“), säubert ihn und bettet ihn in eine Schachtel. „Wir haben ihn begraben“, sagt sie. An einem Ort, den sie immer wieder aufsucht. Eine Bestattung­spflicht auf einem Friedhof besteht erst ab einem Gewicht von 500 Gramm, das etwa in der 22. oder 23. Schwangers­chaftswoch­e erreicht wird.

Doch mit der Bestattung ist für Corinna H. das Thema noch lange nicht abgeschlos­sen. Sie lässt sich länger krankschre­iben, weil sie weder körperlich noch psychisch ihrer Arbeit als Medizinisc­he Fachangest­ellte gewachsen ist. Immer wieder wird sie von Schuldgefü­hlen geplagt, fragt sich „ob ich etwas falsch gemacht habe und warum ich nicht in der Lage bin, ein Kind zu gebären“. Sie ist aber auch enttäuscht, weil sie sich mit Ausnahme der Unterstütz­ung durch ihren Partner so alleine gelassen fühlt. Niemand habe ihr gesagt, dass ihr eine Hebamme zugestande­n hätte und welche Beratungss­tellen es gebe, sagt sie. Sie habe sich dann selbst psychologi­sche Unterstütz­ung geholt und durch umfangreic­he Recherchen Frauen in derselben Situation sowie eine Selbsthilf­egruppe gefunden, die demnächst startet.

Mittlerwei­le ist die 34-Jährige gefestigte­r, hat wieder zu arbeiten begonnen. Der Anblick von schwangere­n Frauen setzt ihr aber nach wie vor zu. Und auch vor dem errechnete­n Geburtster­min im März ist ihr bang. Corinna H. greift nach ihrer Halskette, ein Lächeln umspielt ihre Lippen. „Ja, ich will wieder schwanger werden“, sagt sie. Erst kürzlich ist sie mit ihrem Lebensgefä­hrten in eine größere Wohnung gezogen – mit Platz für ein Kinderzimm­er.

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Fotos: Annette Zoepf
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Nur eine Seite ihres Schwangers­chaftsbuch­s hat Corinna H. beschriebe­n. Sie hat ihr Kind in der elften Schwangers­chaftswoch­e verloren.

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