Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Fünft- und Sechstklässler lernen zusammen
Die Löweneck-mittelschule in Oberhausen erprobt das jahrgangsübergreifende Lernen. Warum sich die Bildungsstätte beworben hat und wie den Kindern das Pilotprojekt gefällt.
Die Szenerie im Souterrain der Löweneck-schule wirkt auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig. In der Mitte des Unterrichtsraums sitzen Lehrerin Tanja Sanchez Kuhlmann und fünf Schülerinnen und Schüler an einer Tischgruppe und üben das schriftliche Addieren von Dezimalzahlen. Mit dem Rücken zu der Gruppe haben weitere Kinder Platz genommen. Sie tragen grüne Kopfhörer, schauen in ein Heft und machen sich die eine oder andere Notiz. Auch bei ihnen ist Mathe angesagt, an diesem Vormittag das Einmaleins. Dass Sanchez Kuhlmann unterschiedliche Aufgaben stellt, hat seinen Grund: Sie unterrichtet zwei Jahrgangsstufen – 5 und 6 – in einer Klasse. Und in Fächern wie Mathematik und Englisch ist es manchmal sinnvoll, den Lehrstoff zu differenzieren. Den Großteil des Unterrichtstages bekommen die Mädchen und Jungen jedoch denselben Stoff serviert und lernen miteinander – sowie voneinander.
Ganz neu ist das jahrgangsübergreifende Lernen in Augsburg nicht: An der Grundschule bei St. Max in der Jakobervorstadt gibt es seit geraumer Zeit ausschließlich kombinierte Klassen (1/2 und 3/4), an der Grundschule Hochzoll Süd werden die Kinder sowohl nach Jahrgängen getrennt als auch zusammen unterrichtet. Die Löweneck-schule
in Oberhausen, die seit Anfang 2020 generalsaniert wird, ist jedoch die erste Bildungsstätte mit einem Kombiangebot in der Mittelschule – kurz JAMI genannt.
Rektorin Britta Siemer und ihre Stellvertreterin Tanja Sanchez Kuhlmann nennen eine ganze Reihe von Gründen, warum sich ihr Haus beim Kultusministerium für das in diesem Schuljahr gestartete Modellprojekt beworben hat. An erster Stelle sehen die beiden Pädagoginnen den sozialen Aspekt. Da sind die Kinder, die ein Päckchen zu tragen haben, weil sie aus schwierigen Familienverhältnissen stammen. Da sind die Mädchen und Jungen, deren Selbstbewusstsein mächtig angeknackst sind, weil sie es nicht aufs Gymnasium oder die Realschule geschafft haben beziehungsweise dort gescheitert sind. Diese Schülerinnen und Schüler zusammen zu unterrichten, bringe Vorteile, sind die Verantwortlichen überzeugt. „Die einen bekommen etwas beigebracht, die anderen verfestigen ihr Wissen.“Die Jüngeren lernten von den Älteren und würden von ihnen unterstützt. Teilweise könnten die
Kinder auch wählen, in welcher Schwierigkeitsstufe sie ein Thema bearbeiten wollen.
An dem auf vier Jahre angelegten Schulversuch nehmen laut Kultusministerium in ganz Bayern elf Mittelschulen teil, davon zwei im Regierungsbezirk Schwaben. Neben der Löweneck-schule ist in der Region auch die Mittelschule Königsbrunn mit von der Partie. Beide Schulen seien aufgrund ihrer überzeugenden Bewerbungen aufgenommen worden, teilt Andreas Tabbert von der Pressestelle des Ministeriums auf Anfrage mit. Eines
der zentralen Merkmale sei die Flexibilisierung der Bildungslaufbahn. Tabbert sagt: „Des Weiteren wird im Rahmen des jahrgangsübergreifenden Unterrichts ein wichtiger Beitrag zum sozialen Lernen geleistet. Durch die Übernahme von Mitverantwortung gewinnen die Schülerinnen und Schüler verstärkt an Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, beides Grundlagen für einen erfolgreichen Schulbesuch sowie für den gelingenden Übergang von der Schule in eine Ausbildung.“
Als klar war, dass die Löweneckschule den Zuschlag für das Modellprojekt Jahrgangsübergreifendes Lernen an Mittelschulen erhält, sprachen Siemer und ihr Team gezielt Familien von Kindern an, die ihnen dafür geeignet erschienen. Prinzipiell wäre es wünschenswert, wenn beide Jahrgangsstufen in etwa paritätisch vertreten wären. Wegen des kurzen Vorlaufs seien aktuell nur fünf Kinder aus der Jahrgangsstufe 6 dabei, die 16 anderen seien Fünftklässler. Wie lange die Mädchen und Buben in der Jami-klasse bleiben, ist flexibel. Je nachdem, wie schnell sie lernen, können sie zwei Schuljahre in zwei oder drei Jahren absolvieren. Im kommenden Schuljahr könnte der Anteil der Kinder aus der sechsten Jahrgangsstufe dann höher sein – je nachdem wie viele ausscheiden und neu hinzukommen. Dem elfjährigen Asen – formal Sechstklässler – gefällt es aus zwei Gründen in der Jami-klasse. Durch den Fünftklassstoff sei der Unterricht nicht zu schwer, sagt er und grinst. Auch eine andere Mitschülerin findet es gut, dass sie Gelegenheit hat, immer wieder den Stoff des Vorjahres wiederholen zu können. Manchmal geht es aber auch in die andere Richtung. Abdullah spricht so gut Englisch, dass er als Fünftklässler in den geteilten Stunden bei den Älteren mitlernt. Der Junge mit somalischen Wurzeln hat große Pläne: „Mein Wunsch wäre es, auf die Realschule zu gehen.“