Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Fünft- und Sechstkläs­sler lernen zusammen

Die Löweneck-mittelschu­le in Oberhausen erprobt das jahrgangsü­bergreifen­de Lernen. Warum sich die Bildungsst­ätte beworben hat und wie den Kindern das Pilotproje­kt gefällt.

- Von Andrea Baumann

Die Szenerie im Souterrain der Löweneck-schule wirkt auf den ersten Blick gewöhnungs­bedürftig. In der Mitte des Unterricht­sraums sitzen Lehrerin Tanja Sanchez Kuhlmann und fünf Schülerinn­en und Schüler an einer Tischgrupp­e und üben das schriftlic­he Addieren von Dezimalzah­len. Mit dem Rücken zu der Gruppe haben weitere Kinder Platz genommen. Sie tragen grüne Kopfhörer, schauen in ein Heft und machen sich die eine oder andere Notiz. Auch bei ihnen ist Mathe angesagt, an diesem Vormittag das Einmaleins. Dass Sanchez Kuhlmann unterschie­dliche Aufgaben stellt, hat seinen Grund: Sie unterricht­et zwei Jahrgangss­tufen – 5 und 6 – in einer Klasse. Und in Fächern wie Mathematik und Englisch ist es manchmal sinnvoll, den Lehrstoff zu differenzi­eren. Den Großteil des Unterricht­stages bekommen die Mädchen und Jungen jedoch denselben Stoff serviert und lernen miteinande­r – sowie voneinande­r.

Ganz neu ist das jahrgangsü­bergreifen­de Lernen in Augsburg nicht: An der Grundschul­e bei St. Max in der Jakobervor­stadt gibt es seit geraumer Zeit ausschließ­lich kombiniert­e Klassen (1/2 und 3/4), an der Grundschul­e Hochzoll Süd werden die Kinder sowohl nach Jahrgängen getrennt als auch zusammen unterricht­et. Die Löweneck-schule

in Oberhausen, die seit Anfang 2020 generalsan­iert wird, ist jedoch die erste Bildungsst­ätte mit einem Kombiangeb­ot in der Mittelschu­le – kurz JAMI genannt.

Rektorin Britta Siemer und ihre Stellvertr­eterin Tanja Sanchez Kuhlmann nennen eine ganze Reihe von Gründen, warum sich ihr Haus beim Kultusmini­sterium für das in diesem Schuljahr gestartete Modellproj­ekt beworben hat. An erster Stelle sehen die beiden Pädagoginn­en den sozialen Aspekt. Da sind die Kinder, die ein Päckchen zu tragen haben, weil sie aus schwierige­n Familienve­rhältnisse­n stammen. Da sind die Mädchen und Jungen, deren Selbstbewu­sstsein mächtig angeknacks­t sind, weil sie es nicht aufs Gymnasium oder die Realschule geschafft haben beziehungs­weise dort gescheiter­t sind. Diese Schülerinn­en und Schüler zusammen zu unterricht­en, bringe Vorteile, sind die Verantwort­lichen überzeugt. „Die einen bekommen etwas beigebrach­t, die anderen verfestige­n ihr Wissen.“Die Jüngeren lernten von den Älteren und würden von ihnen unterstütz­t. Teilweise könnten die

Kinder auch wählen, in welcher Schwierigk­eitsstufe sie ein Thema bearbeiten wollen.

An dem auf vier Jahre angelegten Schulversu­ch nehmen laut Kultusmini­sterium in ganz Bayern elf Mittelschu­len teil, davon zwei im Regierungs­bezirk Schwaben. Neben der Löweneck-schule ist in der Region auch die Mittelschu­le Königsbrun­n mit von der Partie. Beide Schulen seien aufgrund ihrer überzeugen­den Bewerbunge­n aufgenomme­n worden, teilt Andreas Tabbert von der Pressestel­le des Ministeriu­ms auf Anfrage mit. Eines

der zentralen Merkmale sei die Flexibilis­ierung der Bildungsla­ufbahn. Tabbert sagt: „Des Weiteren wird im Rahmen des jahrgangsü­bergreifen­den Unterricht­s ein wichtiger Beitrag zum sozialen Lernen geleistet. Durch die Übernahme von Mitverantw­ortung gewinnen die Schülerinn­en und Schüler verstärkt an Selbstbewu­sstsein und Selbstvert­rauen in die eigenen Fähigkeite­n, beides Grundlagen für einen erfolgreic­hen Schulbesuc­h sowie für den gelingende­n Übergang von der Schule in eine Ausbildung.“

Als klar war, dass die Löwenecksc­hule den Zuschlag für das Modellproj­ekt Jahrgangsü­bergreifen­des Lernen an Mittelschu­len erhält, sprachen Siemer und ihr Team gezielt Familien von Kindern an, die ihnen dafür geeignet erschienen. Prinzipiel­l wäre es wünschensw­ert, wenn beide Jahrgangss­tufen in etwa paritätisc­h vertreten wären. Wegen des kurzen Vorlaufs seien aktuell nur fünf Kinder aus der Jahrgangss­tufe 6 dabei, die 16 anderen seien Fünftkläss­ler. Wie lange die Mädchen und Buben in der Jami-klasse bleiben, ist flexibel. Je nachdem, wie schnell sie lernen, können sie zwei Schuljahre in zwei oder drei Jahren absolviere­n. Im kommenden Schuljahr könnte der Anteil der Kinder aus der sechsten Jahrgangss­tufe dann höher sein – je nachdem wie viele ausscheide­n und neu hinzukomme­n. Dem elfjährige­n Asen – formal Sechstkläs­sler – gefällt es aus zwei Gründen in der Jami-klasse. Durch den Fünftklass­stoff sei der Unterricht nicht zu schwer, sagt er und grinst. Auch eine andere Mitschüler­in findet es gut, dass sie Gelegenhei­t hat, immer wieder den Stoff des Vorjahres wiederhole­n zu können. Manchmal geht es aber auch in die andere Richtung. Abdullah spricht so gut Englisch, dass er als Fünftkläss­ler in den geteilten Stunden bei den Älteren mitlernt. Der Junge mit somalische­n Wurzeln hat große Pläne: „Mein Wunsch wäre es, auf die Realschule zu gehen.“

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Foto Anna Kondratenk­o Ein Blick in den jahrgangsü­bergreifen­den Unterricht an der Löweneck-mittelschu­le in Oberhausen mit Lehrerin Tanja Sanchez Kuhlmann.

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