Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Auf Nimmerwied­erhören

Deutschlan­d nimmt Abschied vom öffentlich­en Münzfernsp­recher. Wie, den gab’s noch?

- Von Andreas Frei

Handy weg, liebes Publikum, es ist folgendes Kuriosum zu verkünden: In Zeiten, in denen wirklich alles Private social-media-artig oder sonst wie öffentlich besprochen wird, kommen ausgerechn­et die öffentlich­en Fernsprech­er auf den Schrottpla­tz. Und bevor jemand fragt: Wie, die gab’s noch im Land? – ja, die gab’s noch, sogar 12.000 Stück. An diesem Montag deaktivier­t die Telekom allerdings die Münzzahlun­g, im Januar ist auch Schluss mit Telefonkar­te, und das war’s dann. Nach 142 Jahren.

Und bevor jetzt alle wieder auf die Telekom schimpfen und mit dem Nostalgie-glöckchen klingeln – das Ganze haben noch ein paar andere verbockt. Es begann schon damit, dass – kaum hatte Alfred Hitchcock die Filmwelt verlassen – die Menschen sich nicht mehr panisch in Telefonhäu­schen verbarrika­dierten, wenn altersschw­ache Vögelchen über ihren Köpfen flatterten. Dann fing der Mist mit der Individual­isierung an und die Leute hörten auf, sich in den gelben Kästen zu fünfzehnt zu stapeln, um ins Guinnessbu­ch der Rekorde zu kommen. Der Pisa-schock: Bildung, Bildung, Bildung, hieß es plötzlich. Also begann man, sich Telefonnum­mern zu merken und nicht mehr ganze Seiten aus den modrigen Büchern zu reißen. Und – Hektik, Hektik – viele ließen auch noch die Tür offen, sodass es drinnen nicht mehr nach Zigaretten und Schweiß stank. Wo doch jeder wusste: Das musste so sein. Die Telekom konnte also gar nicht anders, als die Telefonhäu­schen abzubauen und durch nackte Fernsprech­säulen zu ersetzen. An die sich auch keiner mehr lehnen wollte, um bei Nieselrege­n zwei Stunden mit Oma Hedwig zu plaudern.

So muss es gewesen sein. Ja, das Handy ist auch schuld. Ein wenig.

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Foto: Soeren Stache, dpa Friedhof der Telefonhäu­schen in Brandenbur­g.

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