Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Von aufgedreht bis abgefahren
Der zweite Abend des Hybrass Festivals
Die drei Sets, die man am zweiten Hybrass-festival-abend miterlebte, die Gene Pritsker mit dem Tiroler Clemens Rofner (Komponist und Bassist), dem Drummer Simon Springer sowie Raphaela Selhofer am Klavier, die den agilen Festivalmacher Peter Oswald (Trompete) mit der Uni Big Band Augsburg und deren Gästen zusammenführten, wären allein mit Brass-funk-fusion nur unzureichend definiert. Kein Wunder, stand mit dem in Brooklyn lebenden Komponisten, E-gitarristen und Rapper Pritsker ein mehr als einzigartiger, total aufgedrehter, komplett „abgefahren“wirkender Künstler auf und (als Dirigent der Augsburger Uni Big Band) vor der Bühne. Irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn lässt sich dessen musikalischer Kosmos wohl verorten. Ungeniert verschmelzen darin Musiken aus jeder Kultur und jedem Genre, lassen Strawinsky ebenso wie Frank Zappa mit wegweisender Inspiration grüßen.
Pritsker produziert verrückte Musik, die Neugier, Wagemut und Offenheit verlangt, die gefährlich sein will, kein Etikett findet, die aber insbesondere in der mit „Ouverture“eingeleiteten digitalen Session Nr. 1 insbesondere nach pandemisch hartnäckiger Nervositäts-neurose klang und in akustische Dimensionen katapultierte, in denen man nicht lange verweilen wollte. Wer sich den Spaß macht, Pritskers Website zu besuchen, scrollt lange, um sein erstaunliches Werkregister zu erfassen, in dem sich in Summe über 800 (!) Kammeropern, Orchester- und Kammermusikwerke, elektroakustische Musik und Songs für Hiphopund Rock-ensembles sowie Big Bands finden.
So fügte er sich in Friedberg im Turbomodus als omnipräsenter Leiter des mit heißer Nadel gestrickten musikalischen Projekts, das den zweiten Teil des Brassabenteuers dominierte. Zur Freude des Publikums stellte es die souveräne spielerische Qualität der liebevoll als „Monster-bläser“gelobten Mitglieder der Uni Big Band Augsburg ins Zentrum, trompeterisch verstärkt von Peter Oswald, der später gar noch acht der von ihm unterrichteten Nachwuchsbläser und -bläserinnen aus Friedberg in das Stück „79/80“integrierte. Die Clemens-rofner-kompositionen, darunter das dynamisch raffinierte „Minimal Mmoopps“oder sein „Station Groove“, machten schnell den musikalischen Erfindungsreichtum und ein stilsicheres Gespür für heutigen, ziemlich anspruchsvollen und hinreichend experimentierfreudigen Big-band-sound deutlich.
Für das finale Set, in dem Pritsker zum sensationellen E-gitarristen und Rapper wechselte, findet sich innerhalb der Kritiker-notizen u.a. das Unwort „Freejazz-zirkus-punk-rock-opera-desaster“. Das war auch der Zeitpunkt, als Lachen die beste Reaktion schien und Irritation oder ein „Ohren zu und durch!“ersetzte. Denn spätestens angesichts unfassbar herrlich schräger Töne und Soundeffekte von Nummern wie „Teenage Prostitute“oder „Daddy Love“, für die Pritsker ziemlich cool bleibende, gewitzt swingende, singende oder auch jodelnde Gäste (aus dem Bigband-umfeld) auf die Bühne bat, war klar, dass man am besten nicht alles allzu tierisch ernst nehmen sollte, was dieser international besetzte Hybrass-festival-abend im Angebot hatte.