Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Eine Messerattacke ohne Motiv?
Ein 35-Jähriger greift in der Karolinenstraße einen wildfremden Passanten an und verletzt ihn schwer. Nun steht der mutmaßliche Täter wegen versuchten Mordes vor Gericht. Kann der Prozess klären, was ihn antrieb?
Felix M. (Name geändert) ist eine auffallende Erscheinung. Seine rotblonden Haare trägt er zu einem Pferdeschwanz gebunden, sein Kinnbart ist zu einem langen Zopf geflochten. Die ungewöhnliche Haar- und Barttracht wurde dem 35-Jährigen zum Verhängnis. Polizisten erkannten in Felix M. denjenigen Mann, der in der Nacht zum 27. März in der Karolinenstraße in Augsburg einen Passanten urplötzlich und offenbar völlig motivlos angriff und ihn mit einem sogenannten Fingermesser – ein seltenes Tatwerkzeug – schwer im Gesicht verletzte. Die blutige Attacke könnte für den 35-Jährigen schwerwiegende Folgen haben.
Staatsanwalt Thomas Junggeburth hat Felix M. in einem Prozess vor dem Augsburger Schwurgericht des versuchten Mordes angeklagt. Eine langjährige Gefängnisstrafe steht im Raum. Es war eine Nacht zum Sonntag, kurz nach Mitternacht, als Felix M. in der Karolinenstraße nahe dem Rathausplatz einen abgestellten Motorroller umstieß. Ein Passant, 30, das spätere Opfer, sprach den Randalierer deshalb an. Doch der hielt urplötzlich ein kleines Fingermesser in der Hand, schlug damit dem Passanten unkontrolliert, wie es in der Anklageschrift heißt, mehrmals gegen den Kopf. Dem Opfer gelang es, die Schläge teilweise mit den Armen abzuwehren. Trotzdem erlitt der 30-Jährige schwere Schnittverletzungen im ganzen Gesichtsbereich, hauptsächlich in der Augengegend. Das kleine Messer durchtrennte auch am linken Unterarm des Opfers Bänder und Sehnen. Der Passant blutete massiv.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ließ Felix M. nur deshalb von dem Opfer ab, weil er glaubte, ihm bereits tödliche Verletzungen zugefügt zu haben. Bei einem Fingermesser handelt es sich um ein nahezu griffloses Messer, das mit dem Zeigefinger gehalten wird. Es wird häufig von Jägern benutzt. Herauszufinden, was Felix M. in jener Nacht vor fast neun Monaten zu seiner Attacke auf einen wildfremden Menschen getrieben hat, wird Aufgabe des Schwurgerichts unter seinem Vorsitzenden Richter Roland Christiani sein. Am ersten Prozesstag gibt sich der Angeklagte zunächst schweigsam. Sein Verteidiger Jörg Seubert sagt in einer Erklärung, sein Mandant sei zur Tatzeit „massiv betrunken“gewesen, könne sich nur mehr erinnern, wie er am Morgen in seinem Erbrochenem aufgewacht sei.
„Mein Mandant streitet das Geschehen nicht ab. So muss es wohl gewesen sein. Er übernimmt die Verantwortung.“Der Angeklagte sei aber überzeugt, er habe niemanden umbringen wollen. Er habe zwar ein Fingermesser, dieses aber nie mit „nach draußen“genommen. Der Angeklagte werde sich entschuldigen und biete dem Opfer ein Schmerzensgeld von 5000 Euro an. Der damals schwer verletzte Passant wird neben seinem Anwalt Hansjörg Schmid am nächsten Prozesstag, 7. Dezember, vor Gericht aussagen. Nach der Attacke hatten die Ermittler an seiner Kleidung Haare sichergestellt, die der DNA des Angeklagten zugeordnet werden konnten.
Felix M. war am 5. April festgenommen worden, seitdem sitzt er in Haft. Die auffallende Täterbeschreibung hatte auf seine Spur geführt. Denn bei der Polizei war der 35-Jährige bekannt. In seiner Wohnung war es mehrmals wegen überlauter Musik zu Einsätzen gekommen. Im Oktober 2021 hatte sich Felix M. eine Auseinandersetzung mit Polizisten geliefert. Wegen tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte wurde er vom Amtsgericht inzwischen zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.
Laute, harte Metal-musik, so sagt Felix M. im Laufe seiner Anhörung, sei sein Leben und seine Zukunft. Seinen Beruf gibt er mit Künstler an. Er sei in der Metalszene aktiv, spiele in Bands, schreibe Texte, mit denen er allerdings „niemanden bekehren“wolle. „Diese Musik ist Balsam für meine Seele, sie entspannt mich“, meint der Angeklagte.
Und: Er höre diese Musik laut, auch zu Nachtzeiten. Er habe sich mit Metal ein eigenes Leben aufgebaut. „Das lief gut, bis Corona kam. Ich war auf dem Weg, davon leben zu können“, blickt er frustriert zurück. Die Metal-szene sei wie eine Familie für ihn. „In Augsburg habe ich kein soziales Umfeld.“Der Prozess ist auf sechs Verhandlungstage terminiert. Ein Urteil könnte am Ende Januar fallen.