Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie Europas Jugend für mehr Mitsprache­recht kämpft

Viele Jugendlich­e fordern mehr politische­s Mitsprache­recht. Wie laut dürfen und müssen sie sein, um gehört zu werden? Zu Besuch beim Bayerische­n Tag der Jugend in Brüssel.

- Von Marina Kraut und Victoria Schmitz

Brüssel Gekommen sind sie, um die eigene Stimme zu erheben. Doch erst einmal muss die Gruppe junger Menschen zuhören. Vor dem mächtigen, schlossart­igen Gebäude der Bayerische­n Vertretung in Brüssel tritt Melanie Huml (CSU), bayerische Ministerin für Europaange­legenheite­n, vor sie. Ein freundlich­es Hallo, willkommen heißende Wort zum Bayerische­n Tag der Jugend in Europa. Jugend dürfe laut und anders sein, um gehört zu werden, wird sie später sagen. Nur extrem, das müsse sie nicht sein. Sich festzukleb­en, und damit spielt Huml auf die durchaus laute „Letzte Generation“an, das sehe sie kritisch.

Doch hört Europa die Jugend? Zumindest an diesem einen Tag tut sie es. Das bayerische Sozialmini­sterium und der Bayerische Jugendring (BJR) haben rund 40 junge Menschen aus Bayern nach Brüssel geladen, um ihnen eine Plattform für ihre Ideen und Projekte zu geben. Gekommen ist beispielsw­eise Johannes Thöne. Er pflegt mit einem Projekt in Dingolfing Landau intensiven Kontakt zur Stadt Poltawa in der Ukraine. Die Projektgru­ppe hilft Ukrainerin­nen und Ukrainern in Deutschlan­d. Gekommen ist auch Julia Neumann vom Kreisjugen­dring in Dachau, die zusammen mit vielen anderen Jugendlich­en ein „Demokratie­mobil“auf die Beine gestellt hat: ein kleines mobiles Infozentru­m.

Julia hat hohe Erwartunge­n an den Tag in Brüssel. Es ist ihre Chance, sich mit ihren Ideen in der Eu-politik einzubring­en. Ob das nachwirkt, bezweifelt sie aber schon im Vorhinein. „Ich frage mich schon, was dann dabei rauskommt“, sagt sie. Später wird sie noch die Gelegenhei­t haben, sich mit anderen Jugendlich­en und Experten aus der Europäisch­en Kommission über gesellscha­ftliche Teilhabe auszutausc­hen. In anderen Workshops geht es um Digitalisi­erung, Nachhaltig­keit und Frieden. Doch wirklich überzeugt ist sie auch dann nicht, als der Austausch zu Ende ist. Mehr als nur gehört zu werden, hat sie sich vorher gewünscht und wünscht es sich auch nun noch. Dass den Worten auch Taten folgen.

Wer sich dafür einsetzt, dass zumindest die bayerische Jugend in Europa gehört wird, ist der Bayerische Jugendring. Eine Mitarbeite­rin reist dafür regelmäßig nach Brüssel, betreibt Lobbyarbei­t. Einen Erfolg aus der Vergangenh­eit schreibt sich der BJR auf die Fahnen: die Absenkung des Wahlalters bei den Europawahl­en. Mitte November beschloss der Bundestag, dass ab den nächsten Eu-parlaments­wahlen 2024 auch junge Menschen ab 16 ihre Stimme abgeben dürfen.

Matthias Fack, Präsident des BJR, sagt, dass dieser Prozess 17 Jahre lang gedauert hat. Anhand solcher Zeitspanne­n zeigt sich laut Fack, warum bei vielen jungen Menschen der Eindruck entsteht, dass sich ihre Anliegen mit der Zeit im Sand verlaufen: „Es dauert einfach lange. Wie immer im politische­n Geschäft. Europa ist komplizier­t“, sagt Fack. Dass das für Frust unter jungen Menschen sorgt und als ungenügend empfunden wird, zeigt sich zugespitzt etwa im Aktivismus der „Letzten Generation“.

Wo aber liegt die Grenze zwischen politische­m Einsatz und Aktivismus? Wie laut müssen Jugendlich­e sein? Europa-ministerin Huml sagt: Schrille und laute Stimmen finden nicht unbedingt besser Gehör. Den Aktivismus der „Letzten Generation“sieht sie kritisch. Es komme ihr auf den Inhalt, auf nüchterne, sachliche Argumente und nicht die „Verpackung“an. Matthias Fack sagt: „Aktionen, wie sich auf die Straße zu kleben, fahren uns nicht unbedingt ins Kontor.“Er glaubt, dass Formate wie der Bayerische Tag der Jugend in Brüssel genügen, damit die politische­n Anliegen von jungen Menschen Gehör finden.

Europa-ministerin Melanie Huml nimmt sich jedenfalls Zeit, um in der Bayerische­n Vertretung in Brüssel die Projekte der Jugendlich­en zu begutachte­n. Doch was wird nun daraus? Was den deutsch-ukrainisch­en Austausch angeht, bestehe das Angebot für die Jugendlich­en, bei Geldschwie­rigkeiten auf die bayerische Jugendstif­tung zurückkomm­en, erklärt die Ministerin.

Zu Julias Projekt, den Demokratie­bus, sagt die Bambergeri­n Huml: „Da habe ich mir überlegt, ob ich ihn für meine Region mal buchen kann.“Was aus all den Ideen und Anregungen der Diskussion­en wird? Das wird sich zeigen. Fragt sich nur, wann.

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Foto: Zacarias Garcia Julia Neumann präsentier­t der Europa-ministerin Huml das Projekt ihrer Gruppe: ein Demokratie­mobil.

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