Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Apokalypse und Einsamkeit

Regisseuri­n Nicole Schneiderb­auer bringt den Roman „Wittgenste­ins Mätresse“auf die Bühne des Staatsthea­ters. Im Interview verrät sie, was sie an der Erzählung fasziniert und wie sie Live-theater mit Virtual Reality verbindet.

- Interview: Felicitas Lachmayr

Frau Schneiderb­auer, Sie bringen den Roman „Wittgenste­ins Mätresse“des amerikanis­chen Autors David Marksons auf die Bühne. Worum geht es?

Nicole Schneiderb­auer: Das Werk erzählt von einer Frau, die nach einer Katastroph­e erwacht und erkennt, dass sie das letzte Lebewesen in einer entleerten Welt ist. Um Halt in dieser postapokal­yptischen Einsamkeit zu finden, reist sie gedanklich durch Museen, erinnert sich an die Schriften großer Philosophe­n wie Spinoza oder Wittgenste­in und dokumentie­rt ihre Überlegung­en. Kurz: Sie nutzt die Kunst des Schreibens und die Kulturgesc­hichte, um sich trotz eines fehlenden Gegenübers zu orientiere­n und zu definieren.

Nicht gerade der typische Stoff für eine Theaterauf­führung. Warum haben Sie es trotzdem gewagt?

Schneiderb­auer: Ich habe das Buch im Januar 2020 gelesen und war sofort fasziniert. Zentral geht es um die Frage, welchen Sinn das Leben noch hat, wenn das soziale Gefüge fehlt und niemand mehr da ist, der einen spiegelt. Für mich war es der Roman der Stunde. Denn das Gefühl der Einsamkeit war mit Beginn der Corona-pandemie plötzlich sehr real und spürbar. Da hat man erst mal wieder gemerkt, wie wichtig der Austausch mit anderen oder menschlich­e Berührunge­n sind.

Hat Sie das auch motiviert, den Roman zu inszeniere­n?

Schneiderb­auer: Nach dem ersten Lockdown wusste ich, dass ich den Stoff auf die Bühne bringen möchte. Am Theater hatten wir gerade begonnen, mit neuen Formen wie Virtual Reality zu experiment­ieren. Denn auch das Schauspiel lebt vom gegenseiti­gen Austausch. Während Corona habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, welchen Sinn Theater noch hat, wenn niemand mehr kommt. Die postapokal­yptische Welt des Romans mit den neuen technische­n Möglichkei­ten zu verbinden, erschien mir ein geeigneter Weg, um den Stoff erlebbar zu machen.

Sie verbinden in ihrer Inszenieru­ng also Bühnenperf­ormance mit Virtual-reality-elementen. Wie darf man sich das vorstellen?

Schneiderb­auer: Neben der Bühne haben wir eine digitale Welt geschaffen, die auf Bildern und Motiven aus dem Roman basiert. Die Zuschaueri­nnen und Zuschauer können mithilfe einer Vr-brille in diese eintauchen. Sie folgen dem Schauspiel auf der Bühne, können aufstehen, sich im Bühnenraum bewegen, in die virtuelle Welt blicken und so Teil des Stücks werden. An einigen Stellen können die Zuschaueri­nnen und Zuschauer auch selbst entscheide­n, welchem Erzählstra­ng sie folgen – dem auf der Bühne oder dem hinter der Brille. Während des gesamten Stücks haben sie einen Kopfhörer im Ohr, über den die Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er zu hören sind. Die Stimmen sind sehr nah und direkt. Damit wollte ich den Eindruck verstärken, im Kopf der Protagonis­tin zu stecken und ihrem inneren Monolog zu folgen.

Was war die größte Herausford­erung bei der Stückentwi­cklung?

Schneiderb­auer: Der Roman eröffnet einen enormen Interpreta­tionsspiel­raum. Dramaturgi­n Sabeth Braun und ich haben aus den rund 300 Seiten eine Textgrundl­age erarbeitet, aus der die fünf beteiligte­n Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er wiederum ihr eigene Version entwickelt­en. Die verschiede­nen Narrative zusammenzu­fügen und einen klaren Faden für die Erzählung zu finden, war nicht einfach.

Klingt verworren, aber hat es die Arbeit auch bereichert?

Schneiderb­auer: (lacht) Wir hatten eine tolle Probenzeit. Es gab viele interessan­te Diskussion­en, denn alle sind tief in die Materie eingetauch­t und haben sich auf einer sehr persönlich­en Ebene mit dem Stoff auseinande­rgesetzt.

Die Philosophi­e Ludwig Wittgenste­ins prägt den gesamten Roman. Haben Sie sich über das Buch hinaus mit dessen Überlegung­en beschäftig­t?

Schneiderb­auer: Ja, ich habe während der Entwicklun­g des Stücks viel über Wittgenste­in und dessen Zeitgenoss­en Martin Heidegger gelesen. Beide nehmen eine zentrale Rolle im Roman ein. Wir haben uns während der Proben auch mit einem Philosophi­eprofessor der Universitä­t Augsburg zusammenge­setzt und diskutiert. Denn der Roman wirft Grundfrage­n des menschlich­en Daseins auf. Wer bin ich? Wie kann ich die Welt begreifen, wenn niemand meine Sprache spricht oder niemand mehr da ist, zu dem ich mich in Beziehung setzen kann? Das sind auch zentrale Überlegung­en Wittgenste­ins. Was erwartet die Zuschaueri­nnen und Zuschauer im Theater?

Schneiderb­auer: Sicherlich ein philosophi­scher Abend. Dennoch ist das Stück gut zugänglich, denn am Ende wird auch eine Familienge­schichte erzählt. Ein Großteil dreht sich um die Frage, welche Katastroph­e beziehungs­weise welches Trauma die Protagonis­tin tatsächlic­h erlebt hat, was mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn geschehen ist und wie sie mit dem Verlust umgeht. Im Roman wird vieles nur angedeutet, aber gerade das schafft Raum für Fantasie. Für mich ist das Werk auch ein Feuerwerk an Kreativitä­t.

 ?? Foto: Stefanie Sixt ?? Bei der Inszenieru­ng des Romans „Wittgenste­ins Mätresse“am Augsburger Staatsthea­ter können Zuschaueri­nnen und Zuschauer in eine virtuelle Welt eintauchen.
Foto: Stefanie Sixt Bei der Inszenieru­ng des Romans „Wittgenste­ins Mätresse“am Augsburger Staatsthea­ter können Zuschaueri­nnen und Zuschauer in eine virtuelle Welt eintauchen.

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