Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Meister ihres Fachs

Klarinetti­st Stephan Holstein und Pianist Frank Muschalle spielen Boogie in der Kiste.

- Von Sebastian Kraus

Als drei der bekanntest­en Boogiewoog­ie-pianisten 1938 in der Carnegie Hall in New York City auftraten, spielten sie nicht nur Count Basie und Sidney Bechet – selbst keine Kinder von Traurigkei­t – an die Wand, sondern ließen auch begeistert­e Zuschauer bis in die Kronleucht­er klettern. Das Publikum in der Kiste ist da deutlich gesitteter und Frank Muschalles Konzertflü­gel fast zu vornehm, entstand die Musik vor gut hundert Jahren doch in „Barrelhous­e“genannten Spelunken auf mitgenomme­nen Upright-pianos, denen der Direktheit des Klangs wegen gerne die Verkleidun­g abgenommen wurde.

„Was spielen wir eigentlich?“, fragte Klarinetti­st Stephan Holstein zu Beginn und gab mit Muschalle gute zwei Stunden lang die Antwort höchstselb­st: Boogiewoog­ie.

Ein klassische­s Blues-schema wird in erhöhter Geschwindi­gkeit und deutlich besser gelaunt interpreti­ert, die linke Hand spielt einen treibenden Walking Bass, die rechte halsbreche­rische Lines in den hohen Lagen, die Pedale bleiben unbenutzt, da die Füße zum Taktstampf­en benötigt werden.

Müßig zu erwähnen, dass in Barrelhous­es getrunken wurde, und das Duo brachte am Montagaben­d alle Facetten der Trunkenhei­t und Feierlaune auf die Bretter. Leicht angeschick­ert unterhalte­n sich Piano und Saxofon und liegen sich unisono singend in den Armen, hämmernde Bässe und leicht schiefe Akkorde schieben klassische Chicago-blues-nummern und energetisc­he Eigenkompo­sitionen an die Bar, an der eine heisere Klarinette zwischen ein paar Anzüglichk­eiten die nächste Runde bestellt.

Zu später Stunde erinnert ein sanft intonierte­s Saxofon daran, dass es an der Zeit ist, nach Hause zu gehen, und so nehmen sich die beiden Freunde in den Arm und geleiten sich zu sanften Balladen wie „Lonesome Road“und „Meet Me Where I Play The Blues“in den Sonnenaufg­ang.

Holstein und Muschalle spielen so, wie es nur die Meister ihres Fachs können: mit viel Understate­ment, Gefühl und blindem Verständni­s; unverstärk­t, aber immer so präsent, dass auch die letzte Ecke des Foyers mit ihrer Musik erfüllt wird. Am Ende hängt übrigens niemand aus dem brechend vollen Kisten-foyer an einem Kronleucht­er unter der Decke. Was aber nur daran liegen kann, dass es in der Puppenkist­e eben keine Kronleucht­er gibt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany