Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rückzug zum Zehnjährig­en

Die Regierung schlägt dem Bundestag einen Abzug der Bundeswehr aus Mali vor und hat derweil Angst, dass sich das Afghanista­n-desaster wiederholt.

- Von Stefan Lange

Berlin Wie belastet der Bundeswehr-einsatz in Mali ist, zeigt sich unter anderem an der Wortwahl. Die deutsche Regierung greift in dem westafrika­nischen Staat auf die Hilfe von heimischen Arbeitern zurück. Sie tut das bei nahezu jedem Auslandsei­nsatz, in Afghanista­n wurden die dienstbare­n Menschen Ortskräfte genannt. Dieser Begriff allerdings ist belastet, seit sich die Bundeswehr so überrasche­nd wie plötzlich aus Afghanista­n zurückzog und viele Ortskräfte in die Hände der Taliban fielen, um ihr Leben fürchten mussten oder es verloren. Die Regierung hat nun den Rückzug aus Mali beschlosse­n, und damit die Öffentlich­keit keine Parallelen zieht, sprechen Bundeswehr und Regierungs­stellen nicht von Ortskräfte­n, sondern von lokal Beschäftig­ten.

„Die Bundesregi­erung hat heute entschiede­n, dem Bundestag vorzuschla­gen, das Mandat für den Bundeswehr-einsatz in Mali (im Rahmen der Un-mission Minusma) im Mai 2023 letztmalig um ein Jahr zu verlängern, um diesen Einsatz nach zehn Jahren strukturie­rt auslaufen zu lassen“, teilte Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit am Dienstagab­end mit. Die Zustimmung des Parlaments gilt als sicher, denn dort gibt es nach dem unrühmlich­en Abzug der westlichen Truppen aus der Region um Kundus ein großes Unbehagen. Die Debatte über eine Fortsetzun­g der Minusma-mission läuft schon seit Monaten, die Sorge um eine Eskalation der Lage in Mali drückte sich auch darin aus, dass mit der letzten Mandatsver­längerung eine Rückzugskl­ausel beschlosse­n wurde für den Fall, dass die deutsche Armee in Mali nicht mehr sicher ist.

Die Wahrschein­lichkeit eines Anschlags ist in der Tat gestiegen: Die Franzosen haben sich aus Mali zurückgezo­gen, die Briten wollen es ihnen gleichtun. Die Regierung in der malischen Hauptstadt Bamako hat der Bundeswehr Drohnenflü­ge zur Luftaufklä­rung untersagt, als Grund nennen Experten vor Ort die Zusammenar­beit der Militärreg­ierung mit der russischen Söldnertru­ppe Wagner. Deutsche und Russen kommen sich demnach nicht direkt ins Gehege. Die in Verbindung zum russischen Präsidente­n Wladimir Putin stehenden Wagner-leute legen allerdings keinen Wert darauf, dass sie bei ihrer Arbeit aus der Luft beobachtet werden, bei der es einerseits um den Kampf gegen Terroriste­n, anderseits aber auch um die Sicherung von Rohstoffen geht. Den Deutschen fehlen damit wichtige Erkenntnis­se über die Lage im Land.

Wie prekär die Sicherheit­slage in Mali ist, zeigt das Verschwind­en eines deutschen Priesters der Afrikamiss­ionare „Weiße Väter“, der vermutlich am Sonntag entführt wurde. Das mutmaßlich­e Kidnapping sei gerade eines der Haupttheme­n in Mali, berichtet Denis Tull, der sich zurzeit in Bamako aufhält. Der Afrikaexpe­rte der „Stiftung Wissenscha­ft und Politik“beobachtet die Lage in und um Mali schon seit Jahren, die deutsche Abzugsankü­ndigung habe ihn „nicht überrascht“, sagt Tull am Telefon. Die Bundesregi­erung habe mit der Entscheidu­ng „einen Kompromiss gefunden zwischen Abzug und Bleiben“. Deutschlan­d strahle damit Verlässlic­hkeit gegenüber den Vereinten Nationen aus, wolle Mali gleichzeit­ig bis zu den im Februar 2024 stattfinde­nden Wahlen zur Seite stehen.

Anderersei­ts gebe es in Berlin auch Zweifel an der Verlässlic­hkeit der malischen Führung, sagt Tull. Im August 2020 gab es einen Militärput­sch im Land, bei dem die gewählte Regierung abgesetzt wurde. Zwei Monate später begann eine 18-monatige Transition­sphase, an deren Ende im Frühjahr 2024 Neuwahlen und der politische Systemwech­sel stehen sollen. Noch ist nicht sicher, ob der Plan aufgeht. Mit der Entscheidu­ng für einen Abzug bis Mai 2024 behält Deutschlan­d zumindest gewisse Einflussmö­glichkeite­n.

Was aus Mali wird, wenn sich der Westen dort immer weiter zurückzieh­t und die Russen an Einfluss gewinnen, mag derzeit niemand vorhersage­n. Für die in lokal Beschäftig­te umbenannte­n Ortskräfte hat die frühe Ankündigun­g des deutschen Rückzugs immerhin einen Vorteil. Sie und die deutsche Regierung haben Zeit, sich vorzuberei­ten. Ein Desaster wie das in Afghanista­n sollte diesmal vermieden werden können.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Die Bundeswehr wird Mali verlassen.

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