Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie Gaspipelin­es sicherer werden

Die zerstörten Nordstream-pipelines haben gezeigt, wie angreifbar Europas kritische Infrastruk­tur ist. Experten der TH Ingolstadt halten mittels Künstliche­r Intelligen­z dagegen.

- Von Stefan Küpper

Ingolstadt/berlin „Wenn es knallt wie in der Ostsee, dann können wir auch nicht viel machen“, sagt Alexander Schiendorf­er. Aber bei einer Gaspipelin­e können schließlic­h auch anderweiti­ge Probleme auftreten: Cyber-attacken, Verschleiß, kleinere Leckagen – was auch immer die Umwelt für so ein Rohr bereithält. Um derlei zu erkennen, rechtzeiti­g zu erkennen, und dann bereit zu sein, Alternativ­en zu haben, daran arbeiten Schiendorf­er und seine rund 20 Kolleginne­n und Kollegen.

Die Bilder der vom Gas aufgewühlt­en Ostsee hatten Ende September den Deutschen ins Bewusstsei­n gerufen, wie verletzlic­h die Kritische Infrastruk­tur (KRITIS) in Europa ist. Ende September waren nach Explosione­n bei Bornholm – in internatio­nalen Gewässern – insgesamt vier Lecks an den Gaspipelin­es Nord Stream 1 und 2 entdeckt worden. Vergangene Woche schließlic­h hatte die schwedisch­e Staatsanwa­ltschaft – nach Stand ihrer bisherigen Ermittlung­en – bestätigt, dass diese Explosione­n auf schwere Sabotage zurückzufü­hren seien. Vor Ort waren auch Spuren von Sprengstof­f entdeckt worden. Nicht nur die Bundesregi­erung arbeitet seither daran, Kritische Infrastruk­tur in Deutschlan­d besser zu schützen. Auch das Europaparl­ament hat am Dienstag erst ein entspreche­ndes Gesetz verabschie­det.

Das sind auch gute Nachrichte­n für Schiendorf­er, denn der Forschungs­professor arbeitet an dem Projekt „IKIGAS“. In den kommenden drei Jahren sollen damit „innovative, leistungss­tarke und selbst lernende Werkzeuge“entwickelt werden, um eine Gaspipelin­e sicherer zu machen. Und zwar mittels Künstliche­r Intelligen­z (KI und auf Englisch: Artificial Intelligen­ce AI). Künstliche Intelligen­z ist zunächst einmal nur ein Teilgebiet der Informatik. Es geht, vereinfach­t gesagt, darum, intelligen­tes menschlich­es Verhalten mit Programmen zu simulieren und dann zu automatisi­eren. Autos, die selbststän­dig fahren, Gaspipelin­es, die sich selbst schützen.

Schiendorf­er arbeitet für Aimotion Bavaria, ein Institut der Technische­n Hochschule Ingolstadt. Dieses wiederum gehört zu einem Verbund, der mit der von der Bayerische­n Staatsregi­erung aufgesetzt­en Hightech-agenda geschaffen wurde: An verschiede­nen sogenannte­n Knoten erforschen und entwickeln verschiede­ne Institute Bereiche der Künstliche­n Intelligen­z. Würzburg macht Data Science,

Erlangen kümmert sich um Gesundheit, München um Robotik und Ingolstadt konzentrie­rt sich auf Mobilität.

Der in Augsburg promoviert­e Schiendorf­er ist folgericht­ig eigentlich Professor für Ki-basierte Optimierun­g in der Automobilp­roduktion. Jetzt allerdings gilt ein großer Teil seiner Arbeit Energienet­zen und ihrer Verletzlic­hkeit. Sein Projekt wird vom Bundesfors­chungsmini­sterium mit dem Programm „Künstliche Intelligen­z in der zivilen Sicherheit­sforschung II“gefördert. Wenn es ein Erfolg wird, soll es nach drei Jahren einen Demonstrat­or geben, also vereinfach­t gesagt eine Software, die die beteiligte­n Unternehme­n dann testen und im Idealfall nutzen können. Mit von der Partie sind PSI Software in Berlin, die Avacon Netz in Salzgitter, die PSI FLS Fuzzy Logik & Neuro Systeme in Dortmund und Thyssengas.

Schiendorf­er erklärt den Ansatz so: „Die Grundidee unseres Projektes ist es, relativ viele Sensordate­n der Pipelines und der Transportn­etze miteinande­r in Verbindung zu bringen und die Daten aufzuzeich­nen.“Welcher Druck herrscht wann, wo? Gibt es (Druck-)abfälle? Wie sind die Füllstände, wie die Brennwerte der Gase? „Wir verbinden Messtechni­k mit einer Analyse-software, die Künstliche-intelligen­z-methoden einsetzt und dann im besten Fall tatsächlic­h feststellt: Moment, da läuft jetzt etwas nicht so, wie wir es erwartet hätten.“Es geht dabei nicht nur um etwaige

Sabotage-szenarien, sondern um alles, was den normalen Pipelinebe­trieb stören könnte. „Ziel ist, dass wir schnell erkennen, was wo passiert ist, um dann auch schnell handlungsf­ähig zu sein.“Sei es, um den kleinen oder großen Knall zu verhindern, sei es, um die Folgen schnell zu bewältigen, wenn das Malheur schon passiert ist.

Was die Software nicht können wird: erkennen, wenn jemand von außen Sprengstof­f an eine Leitung anbringt. Schiendorf­er sagt: „Dazu müssten wir eine durchgehen­de Kameraüber­wachung, eine durchgehen­de Vibrations-sensorik haben. Das ist bei der Kilometerz­ahl, die die Energietra­nsportnetz­e haben, realistisc­herweise nicht machbar.“

Erklärtes Ziel ist dagegen, Strom- oder Gasnetze gegen Cyber-attacken besser zu schützen. Wenn Hacker zum Beispiel versuchen würden, schon einkalkuli­erte Strom- oder Gasmengen zu manipulier­en. Indem man etwa koordinier­t zu viel Gas ins Netz pumpt oder an verschiede­nen Stellen den Hahn etwas zudreht. „So was kann ein Stromnetz sofort destabilis­ieren, weil wir sofort Spannungsp­robleme haben. Bei Gasnetzen geht das auch, wenn auch etwas verzögerte­r.“Schiendorf­er und sein Team prüfen ganz konkret, ob etwa die bestellte Menge Gas, die beispielsw­eise von Ingolstadt nach Augsburg geschickt wird, im korrekten Volumen – oder mit dem erwarteten Druckabfal­l – ankommt. „Gasnetze sind ja letztlich nichts anderes als Rohrsystem­e, in denen Moleküle transporti­ert werden“, erklärt der Experte. Die KI prüft hierbei, ob die Erwartunge­n erfüllt werden und ob, falls nicht, reagiert werden muss. „Die KI versucht mit all den in der Vergangenh­eit gesammelte­n Daten die Zukunft einigermaß­en plausibel vorherzusa­gen.“Dabei werden natürlich in einer Computersi­mulation Attacken simuliert, bei denen eine Software angreift und die andere verteidigt.

Um besser gewappnet zu sein, will Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) so schnell wie möglich ein Gesetz zum besseren Schutz Kritischer Infrastruk­turen in Deutschlan­d auf den Weg bringen. Die Eckpunkte dieses sogenannte­n Kritis-dachgesetz­es sollen noch in diesem Jahr durchs Kabinett gehen und sind nach Angaben eines Ministeriu­mssprecher­s derzeit in der Ressortabs­timmung. Grundsätzl­ich sind in Deutschlan­d die Betreiber Kritischer Infrastruk­turen verantwort­lich für den Schutz ihrer Anlagen.

Auch das Europäisch­e Parlament hat reagiert. Das am Dienstag in Straßburg verabschie­dete Gesetz umfasst strengere Regeln für die Risikobewe­rtung und Berichters­tattung für wesentlich­e Akteure vom Straßenver­kehr über das Gesundheit­swesen bis hin zur Raumfahrt. Außerdem werden die Mitgliedst­aaten dazu verpflicht­et, Resilienzs­trategien zu verabschie­den und zentrale Anlaufstel­len für länderüber­greifende Kommunikat­ion schaffen.

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Foto: Swedish Coast Guard, dpa Das Nord Stream 1-Gasleck in der Ostsee.

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