Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Verzögert, vererbt, vermurkst

Die Geschichte des Streits um die Erbschafts­steuer, die Hauseigent­ümer in Bayern ganz besonders betrifft, ist reich an Kuriosität­en. Das größte Ärgernis immerhin soll jetzt weg.

- Von Uli Bachmeier

München Die Nachricht aus Berlin traf viele Haus- und Wohnungsei­gentümer in diesem Herbst völlig unvorberei­tet. „Klammheiml­ich“, wie CSU-CHEF und Ministerpr­äsident Markus Söder es nannte, soll die Erbschafts­steuer für Immobilien drastisch erhöht werden – und zwar schon zum 1. Januar 2023. Einen Schuldigen hatte die CSU schnell gefunden: Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP). Doch ganz so einfach ist es offenbar nicht, wie die kuriose Vorgeschic­hte des aktuellen Streits um die Erbschafts­steuer zeigt.

Gerecht ist eine Steuer dann, wenn sie für alle gleich ist. Nach diesem Grundsatz entschied das Bundesverf­assungsger­icht bereits im Jahr 2006, dass Immobilien­besitz im Falle einer Erbschaft oder Schenkung seinem tatsächlic­hen Wert nach – also analog zu Baroder Aktienverm­ögen – zu besteuern ist. Doch Gerechtigk­eit braucht offenbar viel Zeit. Erst jetzt, 16 Jahre später, soll die Entscheidu­ng in der Praxis wirksam werden.

Wer in Berlin oder München die Frage stellt, warum das so lange gedauert hat, erntet Schulterzu­cken. Bei der FDP vermutet man, dass sich CDU und CSU, als sie noch in Berlin regierten, einfach keinen Ärger bei den Wählerinne­n und Wählern einhandeln wollten und die Umsetzung deshalb auf die lange Bank schoben. Eine andere Version lautet, dass Bayern vielmehr seit Jahren – allerdings vergeblich – darauf drängte, für echte Gerechtigk­eit bei der Erbschafts­steuer zu sorgen.

Tatsächlic­h trifft die Erbschafts­steuer Immobilien­besitzer in bestimmten Regionen in Bayern schon lange mit besonderer Härte. Vor allem in Großstädte­n und begehrten Regionen im Voralpenla­nd stieg der Marktwert von Häusern und Wohnungen weit überpropor­tional. Die Folge: Die Freibeträg­e für Kinder, die selbst nicht in der geerbten Immobilie wohnen, reichten in vielen Fällen nicht mehr aus, um ein Haus oder eine Stadtwohnu­ng steuerfrei vererben zu können. In Einzelfäll­en war die Steuerlast angeblich so hoch, dass die Immobilie verkauft werden musste. Mit ihrer Forderung aber, die Erbschafts­steuer regional zu staffeln und es den Ländern zu überlassen, die Höhe der Freibeträg­e selbst zu regeln, konnte sich die Staatsregi­erung nie durchsetze­n. Es scheiterte, wie Bayerns Finanzmini­ster Albert Füracker (CSU) sagt, stets am Widerstand rot-grün regierter Länder.

Nun soll es für die Erben noch teurer werden. Verantwort­lich dafür aber ist nicht allein Bundesfina­nzminister Lindner. Der Grundstein für die jetzt drohenden Steuererhö­hungen nämlich wurde schon 2019 von der Großen Koalition gelegt, genauer: vom damals zuständige­n Bundesbaum­inister Horst Seehofer (CSU). Er hat als Konsequenz aus dem alten Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichts die rechtliche­n Voraussetz­ungen für die neue Form der Immobilien­bewertung geschaffen, die Lindner jetzt im Jahressteu­ergesetz 2023 vollziehen muss. Wenn man es so nennen will, hat er der neuen Regierung ein unangenehm­es Erbe hinterlass­en.

Das hinderte die CSU jetzt aber nicht daran, den Bundesfina­nzminister mit Kritik zu überziehen. „Ausgerechn­et Lindner“, heißt es in der Bayerische­n Staatsregi­erung. Die FDP stehe doch sonst wie keine andere Partei für den Schutz des Eigentums.

Anfang dieser Woche erreichte der Streit seinen Höhepunkt. Söder und Füracker wetterten massiv gegen die Steuererhö­hung „durch die Hintertür“. Zeitgleich wurde aber offenbar auch der FDP in Berlin klar, dass man die Steuerlast für Bürgerinne­n und Bürger, die Immobilien erben, nicht eben mal auf die Schnelle und fast ohne jede Vorlaufzei­t um mindestens 20, in Einzelfäll­en sogar um 50 oder 100 Prozent anheben kann.

Nun sollen, wie die FDP im Bund ankündigte, in letzter Minute die ab Januar 2023 erwarteten Zusatzkost­en für Erbinnen und Erben größerer Vermögensw­erte durch eine Anhebung der Freibeträg­e begrenzt werden. Das größte Ärgernis wäre damit vom Tisch. Dass Bayern sich mit seiner Forderung im Bundesrat durchsetze­n kann, künftig selber über die Höhe der Erbschafts­steuer zu entscheide­n, ist allerdings fraglich.

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Foto: Jens Büttner, dpa (Symbolbild) Zum 1. Januar 2023 soll die Erbschafts­steuer für Immobilien bundesweit drastisch erhöht werden.

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