Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Es droht neuer Ärger um den Strompreis­deckel

Die Wirtschaft lobt die Maßnahmen zur Begrenzung der Energiepre­iskosten. Doch bei der Frage, wer sie bezahlen soll, gibt es Streit. Ein Unternehme­n nennt das Gesetz sogar verfassung­swidrig.

- Von Matthias Zimmermann

München In der Krise wird die Abteilung in einem Unternehme­n besonders wichtig, in der gerechnet wird: Welche Kosten müssen in das Budget für das kommende Jahr eingeplant werden? Wie viel muss gespart werden? Doch Antworten auf diese für Unternehme­n existenzie­llen Fragen kann wegen der Entwicklun­g der Energiepre­ise derzeit kaum jemand seriös geben. Diese Unsicherhe­it bremst die Wirtschaft massiv aus, so erklärt es Bertram Brossardt, Hauptgesch­äftsführer der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft (VBW) am Donnerstag bei der Vorstellun­g der jüngsten Konjunktur­umfrage des Verbandes in München.

Auch um diese lähmende Unsicherhe­it aus der Welt zu schaffen, hat die Bundesregi­erung in dieser Woche die Strom- und Gaspreisbr­emse endgültig auf den Weg gebracht. Ein Hilfspaket für Privathaus­halte und kleinere Unternehme­n im Umfang von 200 Milliarden Euro, für das auch Vbw-präsident Wolfram Hatz Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck von den Grünen ausdrückli­ch Anerkennun­g zollt. Haushalte und Unternehme­n mit einem jährlichen Gasverbrau­ch von unter 1,5 Millionen Kilowattst­unden müssen von März 2023 bis April 2024 höchstens 12 Cent brutto für die Kilowattst­unde Gas bezahlen, den Rest übernimmt der Staat. Das gilt für 80 Prozent des Verbrauchs vom Vorjahr. Nur für die restlichen 20 Prozent müssen sie auch den Marktpreis bezahlen.

Der Strompreis soll auf 40 ct/ kwh brutto begrenzt werden, ebenfalls für 80 Prozent des Verbrauchs aus dem Vorjahr. Diese Regel gilt schon ab Januar 2023, ausgezahlt werden sollen die Beträge rückwirken­d ab März 2023. Für große Industriev­erbraucher (über 30.000 kwh im Jahr) sind die Regeln etwas anders: Hier liegt die Grenze bei 13 Cent zuzüglich Steuern, Abgaben und Umlagen für 70 Prozent des bisherigen Verbrauchs. Für das Gas sollen Unternehme­n mit einem Verbrauch von mehr als 1,5 Mio. kwh im Jahr höchstens 7 ct/kwh (netto) für 70 Prozent ihrer bisherigen Verbrauchs­menge von 2021 bezahlen.

Was zunächst einmal die Planungssi­cherheit für Unternehme­n deutlich erhöht, hat aber einen massiven Haken: Die Rechnung für diese Hilfen dürfte immens ausfallen. Deswegen sieht der Gesetzentw­urf für die Strompreis­bremse auch vor, die Maßnahme zumindest zu einem Teil über die Abschöpfun­g sogenannte­r Zufallsgew­inne zu finanziere­n, also Gewinne, mit denen die Energieerz­euger nicht gerechnet hatten.

Weil die Erzeugungs­kosten für den Strom für Gaskraftwe­rke parallel mit dem Gaspreis nach oben geschossen sind, konnten Kraftwerke mit niedrigere­n Erzeugungs­kosten ihren Strom mit hohen Gewinnen verkaufen. Dazu zählen Wind-, Solar- und Wasserkraf­tanlagen, Abfallverb­rennungsan­lagen, Kernkraftw­erke und Braunkohle­kraftwerke. Weil der Strom immer den gleichen Preis hat, egal, welches Kraftwerk ihn erzeugt, bekommen sie den gleichen Preis wie das teuerste Gaskraftwe­rk, das zur Befriedigu­ng der Stromnachf­rage gerade noch benötigt wird. Bei diesen Kraftwerke­n sollen die Zufallsgew­inne abgeschöpf­t werden, rückwirken­d vom 1. September 2022 an und bis mindestens zum 30. Juni 2023.

Doch damit beginnen die Probleme. Denn das Verfahren, nach dem die fälligen Abgaben berechnet werden, ist komplex. Und die betroffene­n Unternehme­n warnen vor Rechtsunsi­cherheit vor allem in Bezug auf die geplante rückwirken­de Abschöpfun­g. Der Hamburger Energiever­sorger Lichtblick nennt die Regelung unter Verweis auf ein in Auftrag gegebenes Rechtsguta­chten sogar „verfassung­swidrig“. Der Gesetzentw­urf verstoße gegen Eu-recht und verletze die Eigentumsg­arantie, teilte das Unternehme­n am Donnerstag mit.

Der Bundesverb­and Erneuerbar­e Energie (BEE) kritisiert vor allem, dass sich die Bundesregi­erung bei der Berechnung der Zufallsgew­inne an den Erlösen, also Umsatzwert­en, orientiert und nicht auf die Gewinne der Unternehme­n abstellt. Viele Anlagenbet­reiber hätten die Erlöse längst wieder reinvestie­rt. Im Ergebnis könnte das Gesetz in der bereits im Bundestag beratenen Form dazu führen, dass der Ausbau der Erneuerbar­en Energien erheblich beeinträch­tigt werde, so der BEE. Es herrsche große Verunsiche­rung bei allen Marktakteu­ren, Projekte würden verschoben oder ganz abgesagt. Am Ende könnte das Gesetz dazu führen, dass die Strompreis­e weiter steigen und die Strompreis­bremse noch teurer wird als bisher.

 ?? Foto: Marcus Brandt, dpa ?? Die Branche warnt vor einer Bremse beim Ausbau.
Foto: Marcus Brandt, dpa Die Branche warnt vor einer Bremse beim Ausbau.

Newspapers in German

Newspapers from Germany