Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Es droht neuer Ärger um den Strompreisdeckel
Die Wirtschaft lobt die Maßnahmen zur Begrenzung der Energiepreiskosten. Doch bei der Frage, wer sie bezahlen soll, gibt es Streit. Ein Unternehmen nennt das Gesetz sogar verfassungswidrig.
München In der Krise wird die Abteilung in einem Unternehmen besonders wichtig, in der gerechnet wird: Welche Kosten müssen in das Budget für das kommende Jahr eingeplant werden? Wie viel muss gespart werden? Doch Antworten auf diese für Unternehmen existenziellen Fragen kann wegen der Entwicklung der Energiepreise derzeit kaum jemand seriös geben. Diese Unsicherheit bremst die Wirtschaft massiv aus, so erklärt es Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) am Donnerstag bei der Vorstellung der jüngsten Konjunkturumfrage des Verbandes in München.
Auch um diese lähmende Unsicherheit aus der Welt zu schaffen, hat die Bundesregierung in dieser Woche die Strom- und Gaspreisbremse endgültig auf den Weg gebracht. Ein Hilfspaket für Privathaushalte und kleinere Unternehmen im Umfang von 200 Milliarden Euro, für das auch Vbw-präsident Wolfram Hatz Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen ausdrücklich Anerkennung zollt. Haushalte und Unternehmen mit einem jährlichen Gasverbrauch von unter 1,5 Millionen Kilowattstunden müssen von März 2023 bis April 2024 höchstens 12 Cent brutto für die Kilowattstunde Gas bezahlen, den Rest übernimmt der Staat. Das gilt für 80 Prozent des Verbrauchs vom Vorjahr. Nur für die restlichen 20 Prozent müssen sie auch den Marktpreis bezahlen.
Der Strompreis soll auf 40 ct/ kwh brutto begrenzt werden, ebenfalls für 80 Prozent des Verbrauchs aus dem Vorjahr. Diese Regel gilt schon ab Januar 2023, ausgezahlt werden sollen die Beträge rückwirkend ab März 2023. Für große Industrieverbraucher (über 30.000 kwh im Jahr) sind die Regeln etwas anders: Hier liegt die Grenze bei 13 Cent zuzüglich Steuern, Abgaben und Umlagen für 70 Prozent des bisherigen Verbrauchs. Für das Gas sollen Unternehmen mit einem Verbrauch von mehr als 1,5 Mio. kwh im Jahr höchstens 7 ct/kwh (netto) für 70 Prozent ihrer bisherigen Verbrauchsmenge von 2021 bezahlen.
Was zunächst einmal die Planungssicherheit für Unternehmen deutlich erhöht, hat aber einen massiven Haken: Die Rechnung für diese Hilfen dürfte immens ausfallen. Deswegen sieht der Gesetzentwurf für die Strompreisbremse auch vor, die Maßnahme zumindest zu einem Teil über die Abschöpfung sogenannter Zufallsgewinne zu finanzieren, also Gewinne, mit denen die Energieerzeuger nicht gerechnet hatten.
Weil die Erzeugungskosten für den Strom für Gaskraftwerke parallel mit dem Gaspreis nach oben geschossen sind, konnten Kraftwerke mit niedrigeren Erzeugungskosten ihren Strom mit hohen Gewinnen verkaufen. Dazu zählen Wind-, Solar- und Wasserkraftanlagen, Abfallverbrennungsanlagen, Kernkraftwerke und Braunkohlekraftwerke. Weil der Strom immer den gleichen Preis hat, egal, welches Kraftwerk ihn erzeugt, bekommen sie den gleichen Preis wie das teuerste Gaskraftwerk, das zur Befriedigung der Stromnachfrage gerade noch benötigt wird. Bei diesen Kraftwerken sollen die Zufallsgewinne abgeschöpft werden, rückwirkend vom 1. September 2022 an und bis mindestens zum 30. Juni 2023.
Doch damit beginnen die Probleme. Denn das Verfahren, nach dem die fälligen Abgaben berechnet werden, ist komplex. Und die betroffenen Unternehmen warnen vor Rechtsunsicherheit vor allem in Bezug auf die geplante rückwirkende Abschöpfung. Der Hamburger Energieversorger Lichtblick nennt die Regelung unter Verweis auf ein in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten sogar „verfassungswidrig“. Der Gesetzentwurf verstoße gegen Eu-recht und verletze die Eigentumsgarantie, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) kritisiert vor allem, dass sich die Bundesregierung bei der Berechnung der Zufallsgewinne an den Erlösen, also Umsatzwerten, orientiert und nicht auf die Gewinne der Unternehmen abstellt. Viele Anlagenbetreiber hätten die Erlöse längst wieder reinvestiert. Im Ergebnis könnte das Gesetz in der bereits im Bundestag beratenen Form dazu führen, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien erheblich beeinträchtigt werde, so der BEE. Es herrsche große Verunsicherung bei allen Marktakteuren, Projekte würden verschoben oder ganz abgesagt. Am Ende könnte das Gesetz dazu führen, dass die Strompreise weiter steigen und die Strompreisbremse noch teurer wird als bisher.