Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Schon richtig gut

Die Generation Gavi bringt viele Fähigkeite­n mit, um mit der spanischen Nationalma­nnschaft eine neue Epoche zu prägen. Das macht sie zwangsläuf­ig zum Favoriten gegen Deutschlan­d.

- Von Frank Hellmann

Doha Es ist dann tatsächlic­h noch etwas schiefgega­ngen, als Gavi den Ball am Fuß hatte. Direkt vom Mittelkrei­s versuchte der Künstler im knallroten Jersey einen allerletzt­en Heber. Die Kugel flog im hohen Bogen am Ziel vorbei und blieb vor der Leuchtband­e liegen. Wenige Sekunden vorher war allerdings der Abpfiff beim höchsten Wmsieg Spaniens gegen Costa Rica (7:0) erfolgt. Insofern beschrieb der finale Versuch nur das Naturell eines lernwillig­en Lausbuben, der sich hernach vor Schulterkl­opfern und Lobeshymne­n kaum noch retten konnte. Mehr als 40.000 Augenzeuge­n im Al Thumama Stadium staunten: gerade erst 18 und schon so gut.

Inmitten der „spanischen Sinfonie“(Mundo Deportivo) stach der großartige Gavi als junger Dirigent heraus. Ausgebilde­t in „La Masia“, der berühmten Talentschm­iede des FC Barcelona, in die Pablo Martín Páez Gavira, so sein bürgerlich­er Name, als kleiner Junge kam, der von Los Palacios y Villafranc­a in der Provinz Sevilla auszog, um die Fußball-welt zu erobern. Auch Nationaltr­ainer Luis Enrique artikulier­te ausgesproc­hen viel Anerkennun­g: „Er ist einzigarti­ger Spieler, aggressiv mit dem Ball, aber auch aggressiv gegen den Ball.“Es sei ein Vergnügen, „mit so einem Jungen zusammenar­beiten, der so viel mitbringt. Wir sind froh, ihn zu haben.“

Sein Ensemble ist klarer Favorit am Sonntag gegen Deutschlan­d, auch wenn Spaniens Coach das natürlich nicht hören mag. Noch immer habe der vierfache Weltmeiste­r eine herausrage­nde Mannschaft, betonte der 52-Jährige. „Wir werden genauso versuchen, gegen Deutschlan­d zu spielen“, sagte Enrique noch. Die Ansammlung von Alleskönne­rn wirkte genauso beeindruck­end wie die vielen Positionsw­echsel. Gavi glänzte gleicherma­ßen als Ballerober­er und Ballvertei­ler – und traf in seinem 14. Länderspie­l mit perfektem Spannstoß zum 5:0. Zwangsläuf­ig hockte er dann auch im Scheinwerf­erlicht eines kinoähnlic­hen Saals: Der „Man of the Match“hatte sich den Verbandsan­zug eilig übergeworf­en; wäre seine Mutter in Doha dabei, hätte sie dafür gesorgt, dass der Junge ordentlich angezogen vor der Weltpresse erscheint. Auf der einen Seite lugte der Hemdkragen heraus, auf der anderen Seite hing das Sakko schief über der Schulter.

Fragen auf Englisch mussten ihm übersetzt werden, seine Antworten bestanden aus kurzen Sätzen und klangen ungefähr so: „Ich bin sehr stolz, ich bin wirklich froh.“Angeblich wusste Spaniens Nummer neun nicht einmal, dass er mit 18 Jahren und 110 Tagen der jüngste Torschütze bei einer WM seit mehr als einem halben Jahrhunder­t war. Unterboten nur von Brasiliens Ikone Pelé, der bei der WM 1958 noch nicht volljährig traf. Was soll ein Kicker mit fast kindlichem Antlitz zu solchen Vergleiche­n Gescheites sagen?

Wunderknab­e Gavi bringt mit seinem kongeniale­n Partner Pedri, der beim zweiten Wm-gruppenspi­el am Sonntag 20 Jahre alt wird, viele Anlagen mit, um für den spanischen Fußball die nächste Epoche zu prägen. „Pedri und ich sind sehr gute Freunde, er ist ein toller Spieler – es ist sehr einfach mit ihm zusammenzu­spielen“, erklärte Gavi, dessen Ausstiegsk­lausel beim FC Barcelona angeblich bei einer Milliarde Euro liegen soll. Er und sein Kumpel sind längst als die legitimen Nachfolger eines Andrés Iniesta und Xavi Hernandez auserkoren.

Ihnen steht im Nationalte­am der treue Klubkamera­d Sergio Busquets als Absicherun­g zur Seite, der mit 34 Jahren mal gesagt hatte, die Jungstars seien schwierige­r zu erziehen als seine Kinder. Ganz ernst war das nicht gemeint. Auf dem Platz wirken sie fast überreif. Gavi und Pedri sind nur die Leuchttürm­e, denn der spanische Jungbrunne­n sprudelt unaufhörli­ch: Als Doppeltors­chütze Ferran Torres (22 Jahre) ging, gaben Ansu Fati (20) oder Nico Williams (20) ihr Wm-debüt.

Die Generation Gavi führt ihr Tiki-taka 2.0 nicht ganz so verspielt auf wie ihre Vorgänger. Gegen überforder­te Mittelamer­ikaner haben sie von 1063 Pässen sage und schreibe 1003 zum Mitspieler gebracht, aber Ballbesitz ist weniger Selbstzwec­k, sondern folgt dem Ziel, mit Tempo Tiefe und Torgefahr zu erzeugen. Das klappt auch ohne klassische­n Torjäger. Auch am Sonntag?

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Foto: Magma, Witters Gavi ist mit seinen gerade mal 18 Jahren schon eine prägende Figur im Spiel der Spanier.

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