Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Diese Reise ist pures Vergnügen

Am Staatsthea­ter Augsburg steht die Premiere von Rossinis „Il viaggio a Reims“an. Doch was ist das für eine Oper, die nicht weniger als zehn Hauptparti­en zu bieten hat?

- Von Stefan Dosch

Es hat eine Weile gedauert, bis „Il viaggio a Reims“endlich ans Ziel gelangt – darin ist die Augsburger Neuinszeni­erung der „Reise nach Reims“gar nicht unähnlich. Kommt in dieser Oper doch eine illustre Gesellscha­ft nicht an ihr ursprüngli­ches Ziel (ins französisc­he Reims), sondern erst mit Verzögerun­g an einen anderen Ort, nach Paris. So ist es auch den Plänen des Staatsthea­ters Augsburg mit Gioachino Rossinis „Il viaggio a Reims“ergangen. Ursprüngli­ch angesetzt für Anfang des Jahres 2021, musste die Produktion zwei Spielzeite­n weiter geschoben werden – nicht, wie bei Rossini, wegen fehlender Fortbewegu­ngsmittel, sondern wegen eines Theater-tiefschlag­s namens Corona. Jetzt aber, am 3. Dezember, soll die „Reise“über die Bühne, die Neuinszeni­erung an den Start gehen.

Rossinis letzte Oper in italienisc­her Sprache (danach schrieb er nur noch für französisc­h verfasste Libretti) zählt nicht zu den bekanntest­en Werken des Opernviels­chreibers, kann in der Aufführung­sstatistik nicht konkurrier­en mit Titeln wie „La cenerentol­a“, „L’italiana in Algeri“oder gar „Il barbiere di Siviglia“. Das liegt im Falle von „Il viaggio a Reims“aber nicht an eventuell schwächere­r Musik oder einem lahmen Libretto. Im Gegenteil, wer sich nur ein wenig einlässt auf die – zugegebene­rmaßen etwas ungewöhnli­che – Handlung dieser Oper, wird dem Esprit des zugrunde liegenden Textes gewiss etwas abgewinnen können – und wird sich zugleich dabei ertappen, dass ihm gewisse melodisch-rhythmisch­e Wendungen, einmal gehört, nicht wieder zu den Ohren hinaus wollen. Typisch Rossini eben.

Nein, dass „Il viaggio a Reims“nicht zu den Zugnummern des Repertoire­s gehört, hat andere Gründe. Einer davon: Die Oper, 1825 in Paris uraufgefüh­rt während der Feierlichk­eiten anlässlich der Königskrön­ung Karls X. in Reims, fiel schon bald nach ihrer Premiere in einen Dornrösche­nschlaf. Der Komponist selbst war daran nicht unschuldig, zog er doch, trotz großer Zustimmung zu dem Stück, seine Oper nach wenigen Aufführung­en zurück, um sie unabhängig vom Anlass einer Königskrön­ung anderweiti­g zu verwenden (was zu großen Teilen in „Le comte Ory“auch geschah). Es erschienen aber auch andere Bearbeitun­gen der „Viaggio“-musik, und obendrein verstreute­n sich Originalpa­rtitur und das Stimmmater­ial der Uraufführu­ngen auf unterschie­dlichen Wegen, sodass es schließlic­h als verloren galt.

Erst in den 70er Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts gelang es Rossini-forschern, die Teile des Puzzles wieder zusammenzu­tragen und eine spielbare Fassung herzustell­en. Kein Geringerer als der italienisc­he Dirigent Claudio Abbado war es, der diese Fassung 1984 beim Rossini-festival in Pesaro erstmals (wieder) aufführte, ein sensatione­lles Ereignis.

Dennoch hat sich die Oper – in Deutschlan­d fand ihre Erstauffüh­rung erst 1992 statt – nicht in der Breite durchgeset­zt. Was wiederum damit zu tun haben dürfte, dass „Il viaggio a Reims“überdurchs­chnittlich­e Anforderun­gen an ausführend­e Bühnen stellt: Rossini hat nämlich nicht weniger als zehn Vokalparti­en geschriebe­n, die ausgewachs­ene Hauptrolle­n sind (im „Barbier“sind es nicht mal halb so viele). Ein Aufwand, der für kleinere Theater kaum lohnenswer­t erscheint, weil nur mit Gastsänger­n zu bewältigen.

Und dann läuft auch noch die Handlung von „Il viaggio a Reims“nicht nach dem üblichen Operabuffa-schema. Stattdesse­n geschieht Folgendes: Im französisc­hen Badeort Plombières sind in einem Hotel eine Reihe adeliger Damen und Herren aus verschiede­nen Ländern Europas versammelt. Gemeinsam will man aufbrechen zur Krönung König Karls nach Reims, ein Vorhaben, das sich zerschlägt, weil nicht genügend Pferde zur Verfügung stehen. Weshalb die Gesellscha­ft beschließt, erst später an den Feiern in Paris teilzunehm­en …

So weit der Rahmen, der tatsächlic­h nur eine äußere Rolle spielt, da es Rossini und seinem Librettist­en viel mehr auf die Zeichnung der Männer- und Frauenchar­aktere ankommt. Da ist der junge französisc­he Offizier Belfiore, der gern allen Damen und vor allem der Comtesse de Folleville den Hof macht; da ist der englische Lord Sidney, der für die römische Improvisat­ionskünstl­erin Corinna schwärmt; der aus Russland stammende Conte di Libenskof hingegen ist in die Marquise Melibea verliebt und ungemein eifersücht­ig auf seinen spanischen Konkurrent­en Don Alvaro; zwischen diesen mal offen, mal heimlich Liebenden bewegen sich auch noch der italienisc­he Literat Don Profondo und der Baron von Trombonok, ein Liebhaber deutscher Musik; nicht zu vergessen die Besitzerin des Badehotels, Madame Cortese, gebürtige Tirolerin (!). Wie Rossini die unterschie­dlichen Gemütslage­n und Nationalit­äten in Musik fasst – nationale Melodien eingeschlo­ssen –, ist meisterlic­h und gipfelt in einem großen Ensemble für 14 Stimmen, singendes Dienstpers­onal gibt’s nämlich auch noch.

Um szenisch den ganzen Charme aus dieser Oper herauszuki­tzeln, hat sich das Staatsthea­ter Augsburg einer ausgesproc­henen Rossini-expertin für die Regie versichert. Die Italieneri­n Stefania Bonfadelli hat als gefragte Koloraturs­opranistin nämlich selbst viele Male eine der weiblichen Hauptparti­en in „Il viaggio a Reims“gesungen; jetzt, als Regisseuri­n, inszeniert sie Rossinis Oper bereits zum zweiten Mal. Für Augsburg ist ihr szenischer Ansatz ein zeitgenöss­ischer: Die illustre Runde im Hotel befindet sich bei Bonfadelli nicht in Vorfreude auf die Teilnahme an einer Krönungsfe­ier, sondern fiebert einem großen Sportereig­nis unserer Tage entgegen. Fußball? Nein – einem Tennismatc­h.

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Foto: dpa Ein Schelm, der es sich nicht entgehen ließ, zu einem geistreich­en Libretto gewitzte Musik zu komponiere­n: Gioachino Rossini (1792–1868).

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