Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Diese Reise ist pures Vergnügen
Am Staatstheater Augsburg steht die Premiere von Rossinis „Il viaggio a Reims“an. Doch was ist das für eine Oper, die nicht weniger als zehn Hauptpartien zu bieten hat?
Es hat eine Weile gedauert, bis „Il viaggio a Reims“endlich ans Ziel gelangt – darin ist die Augsburger Neuinszenierung der „Reise nach Reims“gar nicht unähnlich. Kommt in dieser Oper doch eine illustre Gesellschaft nicht an ihr ursprüngliches Ziel (ins französische Reims), sondern erst mit Verzögerung an einen anderen Ort, nach Paris. So ist es auch den Plänen des Staatstheaters Augsburg mit Gioachino Rossinis „Il viaggio a Reims“ergangen. Ursprünglich angesetzt für Anfang des Jahres 2021, musste die Produktion zwei Spielzeiten weiter geschoben werden – nicht, wie bei Rossini, wegen fehlender Fortbewegungsmittel, sondern wegen eines Theater-tiefschlags namens Corona. Jetzt aber, am 3. Dezember, soll die „Reise“über die Bühne, die Neuinszenierung an den Start gehen.
Rossinis letzte Oper in italienischer Sprache (danach schrieb er nur noch für französisch verfasste Libretti) zählt nicht zu den bekanntesten Werken des Opernvielschreibers, kann in der Aufführungsstatistik nicht konkurrieren mit Titeln wie „La cenerentola“, „L’italiana in Algeri“oder gar „Il barbiere di Siviglia“. Das liegt im Falle von „Il viaggio a Reims“aber nicht an eventuell schwächerer Musik oder einem lahmen Libretto. Im Gegenteil, wer sich nur ein wenig einlässt auf die – zugegebenermaßen etwas ungewöhnliche – Handlung dieser Oper, wird dem Esprit des zugrunde liegenden Textes gewiss etwas abgewinnen können – und wird sich zugleich dabei ertappen, dass ihm gewisse melodisch-rhythmische Wendungen, einmal gehört, nicht wieder zu den Ohren hinaus wollen. Typisch Rossini eben.
Nein, dass „Il viaggio a Reims“nicht zu den Zugnummern des Repertoires gehört, hat andere Gründe. Einer davon: Die Oper, 1825 in Paris uraufgeführt während der Feierlichkeiten anlässlich der Königskrönung Karls X. in Reims, fiel schon bald nach ihrer Premiere in einen Dornröschenschlaf. Der Komponist selbst war daran nicht unschuldig, zog er doch, trotz großer Zustimmung zu dem Stück, seine Oper nach wenigen Aufführungen zurück, um sie unabhängig vom Anlass einer Königskrönung anderweitig zu verwenden (was zu großen Teilen in „Le comte Ory“auch geschah). Es erschienen aber auch andere Bearbeitungen der „Viaggio“-musik, und obendrein verstreuten sich Originalpartitur und das Stimmmaterial der Uraufführungen auf unterschiedlichen Wegen, sodass es schließlich als verloren galt.
Erst in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelang es Rossini-forschern, die Teile des Puzzles wieder zusammenzutragen und eine spielbare Fassung herzustellen. Kein Geringerer als der italienische Dirigent Claudio Abbado war es, der diese Fassung 1984 beim Rossini-festival in Pesaro erstmals (wieder) aufführte, ein sensationelles Ereignis.
Dennoch hat sich die Oper – in Deutschland fand ihre Erstaufführung erst 1992 statt – nicht in der Breite durchgesetzt. Was wiederum damit zu tun haben dürfte, dass „Il viaggio a Reims“überdurchschnittliche Anforderungen an ausführende Bühnen stellt: Rossini hat nämlich nicht weniger als zehn Vokalpartien geschrieben, die ausgewachsene Hauptrollen sind (im „Barbier“sind es nicht mal halb so viele). Ein Aufwand, der für kleinere Theater kaum lohnenswert erscheint, weil nur mit Gastsängern zu bewältigen.
Und dann läuft auch noch die Handlung von „Il viaggio a Reims“nicht nach dem üblichen Operabuffa-schema. Stattdessen geschieht Folgendes: Im französischen Badeort Plombières sind in einem Hotel eine Reihe adeliger Damen und Herren aus verschiedenen Ländern Europas versammelt. Gemeinsam will man aufbrechen zur Krönung König Karls nach Reims, ein Vorhaben, das sich zerschlägt, weil nicht genügend Pferde zur Verfügung stehen. Weshalb die Gesellschaft beschließt, erst später an den Feiern in Paris teilzunehmen …
So weit der Rahmen, der tatsächlich nur eine äußere Rolle spielt, da es Rossini und seinem Librettisten viel mehr auf die Zeichnung der Männer- und Frauencharaktere ankommt. Da ist der junge französische Offizier Belfiore, der gern allen Damen und vor allem der Comtesse de Folleville den Hof macht; da ist der englische Lord Sidney, der für die römische Improvisationskünstlerin Corinna schwärmt; der aus Russland stammende Conte di Libenskof hingegen ist in die Marquise Melibea verliebt und ungemein eifersüchtig auf seinen spanischen Konkurrenten Don Alvaro; zwischen diesen mal offen, mal heimlich Liebenden bewegen sich auch noch der italienische Literat Don Profondo und der Baron von Trombonok, ein Liebhaber deutscher Musik; nicht zu vergessen die Besitzerin des Badehotels, Madame Cortese, gebürtige Tirolerin (!). Wie Rossini die unterschiedlichen Gemütslagen und Nationalitäten in Musik fasst – nationale Melodien eingeschlossen –, ist meisterlich und gipfelt in einem großen Ensemble für 14 Stimmen, singendes Dienstpersonal gibt’s nämlich auch noch.
Um szenisch den ganzen Charme aus dieser Oper herauszukitzeln, hat sich das Staatstheater Augsburg einer ausgesprochenen Rossini-expertin für die Regie versichert. Die Italienerin Stefania Bonfadelli hat als gefragte Koloratursopranistin nämlich selbst viele Male eine der weiblichen Hauptpartien in „Il viaggio a Reims“gesungen; jetzt, als Regisseurin, inszeniert sie Rossinis Oper bereits zum zweiten Mal. Für Augsburg ist ihr szenischer Ansatz ein zeitgenössischer: Die illustre Runde im Hotel befindet sich bei Bonfadelli nicht in Vorfreude auf die Teilnahme an einer Krönungsfeier, sondern fiebert einem großen Sportereignis unserer Tage entgegen. Fußball? Nein – einem Tennismatch.