Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Verfahren wegen umstrittener Lieder endet ohne Urteil
Wegen der Lieder „Pisse“und „Querdenker klatschen“muss sich eine Augsburger Aktivistin vor Gericht verantworten. Verurteilt wird sie aber nicht. Der Prozess wird von einer Demo begleitet.
Rund 35 Demonstrierende stehen am Donnerstagvormittag vor dem Augsburger Strafjustizzentrum. Die Aktivistinnen und Aktivisten protestieren gegen ein Strafverfahren, das an diesem Tag am Amtsgericht verhandelt werden soll. Bei der Demonstration vor dem Gerichtsgebäude spielen sie ein Lied ab – den Song „Pisse“der Band Schnippo Schranke. Um das Lied geht es auch in dem Gerichtsverfahren. Angeklagt ist eine feministische Aktivistin, weil „Pisse“und zudem das Lied „Querdenker klatschen“bei einer Protestaktion des feministischen Streikkomitees im März auf dem Rathausplatz abgespielt wurden. Die Frau sollte, so lautete der Vorwurf, als Verantwortliche
der damaligen Aktion mit dem Abspielen der Lieder gegen von der Stadt erlassene Auflagen verstoßen haben.
Die Demo vor dem Gerichtsgebäude läuft am Donnerstag ruhig ab, weil die Stadt dieses Mal nichts gegen das Lied „Pisse“einzuwenden hat. Und auch im Gericht ist die Angelegenheit relativ schnell erledigt. Die von der Staatsanwaltschaft angeklagte Michaela Strattner verteidigt sich damit, dass Frauen, die Sorgearbeit leisten, ihre Bedürfnisse oft nicht richtig zum Ausdruck bringen könnten. Mit dem Lied „Pisse“werde darauf aufmerksam gemacht. Das habe zum Thema der Protestaktion im März gepasst, bei der es unter anderem um Geschlechtergerechtigkeit und Sorgearbeit gegangen sei. Der Vorwurf, man habe das Lied nur zu Unterhaltungszwecken abgespielt – was laut den Auflagen nicht zulässig war – treffe deshalb nicht zu. Auch den Vorwurf, mit dem Lied „Querdenker klatschen“werde zu Gewalt aufgerufen, streitet sie ab. Es werde lediglich ein Bedürfnis geäußert, so Strattner.
Richterin Susanne Scheiwiller hält die Sache offenkundig für nicht so gravierend, dass eine Strafe verhängt werden muss. Über die Lieder und deren Interpretation könne man wohl länger diskutieren, gibt sie allen Beteiligten zu verstehen. Deshalb gibt es kein Urteil, sondern eine Einstellung des Verfahrens. Michaela Strattner muss nun 600 Euro an den Sozialdienst SKF bezahlen, der in Augsburg
unter anderem das Frauenhaus betreut. Sobald sie bezahlt hat, ist die Sache für sie erledigt. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von 1200 Euro beantragt. Nach der Gerichtsentscheidung ist die Aktivistin erleichtert. Sie sagt: „Ich bin zufrieden und fühle mich in meiner Ansicht bestätigt.“Die 600 Euro, die sie zahlen müsse, würden für eine gute Sache eingesetzt.
Noch immer ist sie aber der Meinung, dass die Auflagen für den Protest „zu streng“gewesen seien. Trotz des „Einschüchterungsversuchs“wolle sie mit dem Streikkomitee im kommenden März wieder auf dem Rathausplatz protestieren. Die Polizei hatte hingegen betont, das Vorgehen bei der Demo im März sei normal und keine Schikane gewesen.